Katastrophe im April 1927

Die Mississippi-Flut und ihre Lieder

06:04 Minuten
Die historische Schwarz-Weiß-Fotografie aus dem Jahr 1927 zeigt Wassermassen, aus denen vereinzelt Dächer eines Zeltcamps für Flüchtlinge herausragen.
Ein Zeltlager für Flüchtlinge vor der Großen Missisippi-Flut 1927. © imago / United Archives International
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Am 15. April 1927 begann es im langen Mississippi-Delta zu regnen, als käme die Sintflut. Hunderte starben, Hunderttausende mussten ihre Häuser verlassen. In eindrücklichen Texten vertonten die Sänger des Deltablues das Elend.
Es war genau am Karfreitag, als der Deich an der ersten Stelle brach – in einem Regen, wie man ihn seit Menschengedenken nicht erlebt hatte an den Ufern des Mississippi.
Als nach fünf Tagen und fünf Nächten der Regen schließlich aufhörte, schwoll der Fluss weiter an, noch 150 weitere Mal brach der Deich, bis eine Fläche von 70.000 Quadratkilometern unter Wasser stand – von Indiana im Mittelwesten bis zum Golf von Mexiko.
Hunderte Menschen starben, 700.000 mussten ihre Häuser verlassen. Es dauerte bis August, bis das Wasser vollends abgeflossen war.

Blues Stars reisen ins Katastrophengebiet

Bessie Smith klagte in ihrem "Homeless Blues":

"Alter Mississippi, in was für einen Mist hast du mich bloß gebracht?
Schlammlöcher voll Wasser gehen mir bis ans Kinn..."

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Bessie Smith war selbst wieder runtergefahren in die Gegend, aus der sie kam. Da die Große Flut im Süden in allen Zeitungen des Landes ein Thema war, ließen Plattenfirmen sich die Gelegenheit nicht entgehen und beauftragten ihre Bluesinterpreten, Stücke zur Katastrophe zu machen.
Nötig gewesen wäre das nicht, denn nach dem Wasser ergoss sich eine Welle von Liedern, vom Mississippi ausgehend, ins Land. Songs über Selbsterlebtes wurden gesungen und Erzählungen aus zweiter Hand.

Lieder voll Trauer und Zorn

Es waren Lieder voll Trauer und Zorn über die Angst oder über das Ertrinken: Denn wenn der Deich brach, dauerte es manchmal keine Viertelstunde, bis ein Dorf unter Wasser lag, und am Ende der Nacht waren ganze Kleinstädte weggespült – und die, die sich auf Dächer geflüchtet hatten, ebenfalls. 
"Das seltsamste, was ich je gesehen habe,
Katzen und Hunde auf Hausdächern, die den Strom hinunter trieben"
So beschrieb Casey Bill Weldon das Erlebte. 

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Es gab eine Menge zu erzählen: Davon, wie in Missouri Ausgangssperren verhängt wurden und die Menschen in ihren halb unter Wasser stehenden Häusern ausharren mussten; oder von der Arche, die ein Pastor in Arkansas zimmern ließ, und wie sie dann, als das Wasser kam, mit Mensch und Getier an Bord, nicht schwimmen wollte.  

Die Brücke trieb mit Menschen drauf vorbei

Sleepy John Estes sang von den eineinhalb Gallonen schlammigen Wassers, das er geschluckt habe, und jetzt könne er diese Brücke nicht vergessen, auf der weinend und schreiend Menschen standen, während sie auf dem Wasser an ihm vorbeitrieb... 

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Gesungen wurde meist aus persönlicher Sicht, so dass die Hörer die Trauer und den Hunger und die Wut derjenigen nachempfinden konnten, die ihr Zuhause verloren hatten, aber nicht mal selbst entscheiden durften, wohin sie weglaufen wollten. "Ich wollte ins Hügelland gehen, aber sie sperrten mich ein", sang Charley Patton.

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Die Sänger coverten sich gegenseitig, bis zu dreißig verschiedene Bluesstücke wurden aufgenommen. Viele Musiker, durch die Flut noch ärmer als zuvor, zogen in die Städte des Nordens und machten den Deltablues dann in der Fremde bekannt: Lonnie Johnson, Big Bill Broonzy, Charley Patton, Sleepy John Estes, Blind Lemon Jefferson, später Muddy Waters und John Lee Hooker – und diverse andere, deren Namen heute vergessen sind genau wie die Titel. Die meisten Lieder verloren sich über die Jahrzehnte, als hätte der Mississippi die Erinnerungen mit sich fortgespült.
Nur eines der Zeitzeugenstücke blieb gewissermaßen erhalten, so halbwegs jedenfalls, doch auch nur, weil Led Zeppelin „When the Levee Breaks" in den frühen Siebzigern aus seinem Kontext rissen und aus der verheerenden Katastrophe einen Ausbruch sexueller Obsession machten.
Das Original stammte von Kansas Joe McCoy & Memphis Minnie: Minnie hatte das Stück geschrieben, beide spielten Gitarre, er sang: "Du gemeiner alter Deich, lässt mich weinen und klagen"

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