Investigativ-Recherche für alle
In Sachen Non-Profit-Journalismus war Deutschland bislang ein weißer Fleck auf der Landkarte. Correctiv will das ändern. Die acht Journalisten in dem Berliner Büro finanzieren ihre Recherchen aus Stiftungsgeldern und Spenden - und stellen sie Medien kostenlos zur Verfügung. Doch wie unabhängig sind sie tatsächlich?
Was ist die Grundzutat einer erfolgreichen investigativen Recherche? Kaffee. Auch wenn es mit den ersten Kochversuchen im Berliner Büro von Correctiv noch ein bisschen hapert. Koffein ist nötig, um die langen schlaflosen Nächte zu überstehen, in denen Akten gewälzt und Datenbanken gefüttert werden. Die gerade veröffentlichte Stellenausschreibung von Correctiv warnt die Bewerber explizit vor eben diesen Nächten im Daten-Rausch.
Der Datenjournalismus ist das Herz der Arbeit von Correctiv: Daten sammeln, sie so aufbereiten, dass Erkenntnisse daraus gewonnen werden können – und diese dann veröffentlichen. Eine Sisyphus-Arbeit, für die im hektischen Alltagsgeschäft vieler Redaktionen keine Zeit bleibt.
An einem der noch kahlen Arbeitsplätze in dem hellen Großraumbüro sitzt Stephan Wehrmeyer, Daten-Journalist bei Correctiv. Über den Bildschirm seines Laptops flimmern kleinteilige Tabellen und Zahlenkolonnen. Woran genau Wehrmeyer arbeitet, darf er nicht verraten – alles noch streng geheim. Um die Themen wird ohnehin ein großes Geheimnis gemacht – nur ein Stichwort fällt immer wieder:
"Sparkassen, Sparkassen, Sparkassen… Ein Thema können wir nennen…",
verrät Reporter-Kollege Jonathan Sachse. Aber was genau in Sachen "Sparkassen" recherchiert werden soll, ist nicht aus ihm rauszubekommen. Insgesamt, da sind sich die Mitarbeiter einig, soll Correctiv nicht einzelne Phänomene aufdecken – sondern strukturelle Missstände offenlegen.
Daniel Drepper: "Ich interessiere mich vor allem für Sachen, wo in der Politik oder in Zusammenarbeit mit Unternehmen Steuergelder verschwendet werden, massiv Steuergelder verschwendet werden. Ich finde das super-faszinierend, wie Leute arbeiten, die hinter so einem schwarzen Vorhang sind und dann sich oder anderen Geld zuschieben, das ihnen nicht gehört. Und dann zu verstehen, wie das funktioniert und auch wie solche Leute denken, finde ich extrem spannend."
Nicht einfach, als gemeinnütziges Büro anerkannt zu werden
Daniel Drepper sitzt in der gemütlichen Sofa-Ecke des Büros, viel Zeit hat er nicht – in zehn Minuten beginnt das nächste Meeting, die Redaktion will die Grundlagen für das erste größere Recherche-Projekt besprechen.
Drepper arbeitet seit mehreren Jahren als investigativer Journalist, zuletzt war er Stipendiat am Zentrum für Investigativen Journalismus der New Yorker Columbia University. Dort hat er sich viel mit dem Modell des gemeinnützigen Journalismus beschäftigt – zum Beispiel mit dem New Yorker Recherchebüro ProPublica, dem großen Vorbild von Correctiv.
Jonathan Sachse: "Es gibt da so eine schöne Webseite: eine große Liste, mit einer schönen Karte. Da sieht man, dass Non-Profit-Journalismus in den USA schon sehr groß ist."
Deutschland hingegen war bislang ein weißer Fleck auf der Landkarte des Non-Profit-Journalismus. Correctiv ist das erste gemeinnützige Journalistenbüro hierzulande – finanziert ausschließlich über Stiftungsgelder und Spenden. Die fertigen Recherchen werden nicht verkauft, sondern ausgewählten Medien umsonst zur Verfügung gestellt. Die Medien sorgen dann dafür, dass die Themen das entsprechende Publikum erreichen. Für die Journalisten von Correctiv hat das Modell viele Vorteile, sowohl für die eigene Arbeit…
Daniel Drepper: "Wir haben wirklich überhaupt keinen Druck, irgendetwas zu veröffentlichen, nur um Klickzahlen zu bekommen, um Quote zu bekommen."
…als auch für den deutschen Journalismus im Allgemeinen:
David Schraven: "Wir erleben tatsächlich eine Krise im Journalismus, das ist die Verbreitungskrise im Journalismus. Es gibt ganze Bereiche, die nur noch aus einer Zeitung bestehen oder wo es gar keine Zeitung mehr gibt. Und wenn es gemeinnützigen Journalismus gibt, dann können da wenigstens kleine, spendenfinanzierte Redaktionen entstehen, und wenn es nur ein Blog mit zwei Leuten ist",
sagt Correctiv-Chef David Schraven zwischen einem Bissen ins Avocado-Brot und einem Schluck Club-Mate. Auch Schraven ist erfahrener Investigativ-Journalist, bis vor kurzem leitete er das Recherche-Ressort der Funke-Mediengruppe. Ganz einfach sei es für Correctiv allerdings nicht gewesen, als gemeinnütziges Büro anerkannt zu werden. Denn Journalismus gilt nach deutschem Recht nicht als gemeinnütziger Zweck. Correctiv argumentierte mit der Bildungsaufgabe des Büros dagegen an.
Widerspruch zur großgeschriebenen Unabhängigkeit?
Daniel Drepper: "Für mich ist das so, dass ich das Gefühl habe, wir machen einen Schritt mehr, als das im Journalismus normalerweise üblich ist. Wir sagen tatsächlich, wir arbeiten mit euch zusammen, wir wollen euch ausbilden, wir geben unser Wissen weiter, weil wir nun mal für die Volksbildung, so heißt das in dem Paragraphen, zuständig sind. Und deshalb machen wir den einen weiteren Schritt auf den Bürger zu, den man als normales Medium, das Profit erwirtschaften kann, normalerweise nicht machen kann."
Correctiv will also einen Journalismus mit den Bürgern, für die Bürger. Nur müssen die Bürger das natürlich auch wollen.
Jonathan Sachse: "Wir haben die Weisheit nicht gefressen. Das müssen wir ausprobieren. Das ist, glaube ich, auch 'ne Sache, die wir uns groß auf die Birne kleben müssen, das ist in vielen vielen Teilen echt ein Experiment."
Für ein Experiment arbeitet Correctiv allerdings auf ziemlich großem Fuß. Die Büroräume sind geräumig und einladend, von den derzeit acht Mitarbeitern soll bald auf 20 aufgestockt werden. Möglich wird der luxuriöse Start durch einen Großspender. Die Brost-Stiftung finanziert das Projekt die ersten drei Jahre. Ein Widerspruch zur großgeschriebenen Unabhängigkeit des Büros? Zumal im Vorstand der Brost-Stiftung auch Bodo Hombach sitzt – ein Mann mit SPD-Vergangenheit. Correctiv-Chef David Schraven widerspricht vehement.
"Wenn wir einen Skandal haben, der die SPD betrifft, der aufgedeckt werden muss, dann können wir das jederzeit machen und werden wir auch jederzeit machen. Das liegt dann auch immer an den Menschen, sind die in der Lage das durchzusetzen? Und da kann man sich meine Biografie anschauen: Wenn man David Schraven und Hannelore Kraft googlet, dann wird man sehen, dass ich schon in der Lage bin, Menschen anzugreifen."
Es wird unruhiger im Büro – wegen der Gäste, die gerade angekommen sind. Es sind die Medienpartner für das erste große Recherche-Projekt.
Natürlich bleiben sie anonym - und das Thema der Sitzung geheim. Mikros sind bei diesem Meeting unerwünscht.