Warum es liberale Katholiken in Polen schwer haben
Die katholische Kirche in Polen ist ins Lager der Nationalkonservativen geschwenkt. Die Aufbruchstimmung, die Papst Franziskus verbreiten will, stößt hier auf Ablehnung - für liberale Katholiken ein verheerendes Signal.
Andrzej Luter, Theologe, Publizist und Kinohistoriker zelebriert die Messe in der Kirche des heiligen Carlo Borromeo im Zentrum von Warschau. Seit Jahrzehnten ist er Gemeindepfarrer - doch in letzter Zeit hat sich seine Kirche sehr verändert.
"Also es war so: Als ich in den 80er Jahren ins Priesterseminar eintrat, 1984 war das genau, da hatte ich wirklich den Eindruck, ich trete in eine offene Kirche ein. Damals gab es eine einfache Aufteilung: Dort die Roten, die Kommunisten, hier die Kirche. Man traf sich, man sprach miteinander. So war die Zeit. Dann kam die Freiheit, und allmählich änderte sich alles."
Heute, sagt Andrzej Luter, verläuft die Trennlinie nicht zwischen Kirche und Staat, sondern mitten durch die Kirche hindurch. Die weltoffenen, zum Dialog mit allen gesellschaftlichen Gruppen bereiten Katholiken stehen einer rechtsnational orientierten Kirche gegenüber. Diese Kirche hat sich mit den Nationalkonservativen der PiS-Partei von Jarosław Kaczyński verbunden und glaubt, von dessen jüngstem Wahlsieg weiter zu profitieren. Andrzej Luter wird seit längerem angefeindet, auch weil er in weltlichen liberalen Zeitungen sein Ideal einer offenen Kirche propagiert. Luter befürchtet, dass er unter jungen Priestern immer weniger Gesprächspartner finden wird.
"Ich sehe einen gefährlichen Trend unter jungen Geistlichen. Viele von denen sind in rechten Internetportalen politisch sozialisiert."
Weltliche Medien diskutieren über Rolle der katholischen Kirche, kirchliche Medien nicht
Schon seit langem werden Debatten über Missstände in der katholischen Kirche nicht in kirchlichen Medien geführt, sondern außerhalb. Adam Szostkiewicz ist Redakteur bei Polityka, dem wichtigsten polnischen Wochenmagazin - linksliberal orientiert. Szostkiewicz, ein gläubiger Katholik, erreicht mit seinen Kirchenthemen so ein Millionenpublikum.
"Es ist doch paradox, wenn weltliche liberale Medien über die Rolle der katholischen Kirche in der Gesellschaft schreiben und wenn sie die Diskussionen in Gang bringen, die eigentlich in den kirchlichen Medien ausgetragen werden sollten. Dort sind diese Themen aber tabu. Dort lesen Sie nichts über die Verantwortung der Amtskirche für antisemitische Einstellungen oder über Pädophile unter Kirchenangehörigen. Sie lesen dort auch nichts über den spektakulären Abgang von drei bedeutenden Intellektuellen: Tomasz Polak, Stanisław Obirek und Tadeusz Bartoś. Alle drei haben ihr geistliches Amt aufgegeben, weil sie sich mit der neuen Positionierung der katholischen Kirche nach 1989 nicht abfinden konnten."
Der Schwenk der polnischen katholischen Kirche ins Lager der Nationalkonservativen spiegelt sich auch in ihrem Umgang mit dem Erbe des polnischen Papstes, Johannes Paul II.:
"Die Fassade ist phantastisch: Tausende von Denkmälern, hunderte von Schulen, Preise, Wettbewerbe mit seinem Namen. Überall ist Johannes Paul II. Aber die Themen, mit denen er als Pionier unsere Gesellschaft erzogen hat, im Sinne des II. Vatikanischen Konzils, einer Öffnung gegenüber der Moderne, diese Themen spielen keine Rolle mehr - etwa die Versöhnung der Polen mit den Juden. Die Distanz zu Johannes Paul II. äußert sich darin, dass man sich nicht mehr um den Dialog mit anderen, nichtchristlichen Religionen schert, nicht mit dem Judentum, nicht mit dem Islam."
Gegenüber der Warschauer Oper sitzt die Redaktion von Więź, einem Forum kritischer katholischer Laien. Gegründet hat die Zeitschrift 1958 Tadeusz Mazowiecki, später Solidarność-Berater und erster Ministerpräsident im freien Polen nach der Wende.
"Hier ist sein Schreibtisch, sein Sessel, sein Porträt an der Wand. Hier lebt sein Geist."
... sagt über den 2013 verstorbenen Mazowiecki der katholische Laie Zbigniew Nosowski, Soziologe und Chefredakteur von Więź. Auch Nosowski ist unzufrieden mit der Richtung, die die Mehrheit der polnischen Bischöfe vorgibt.
Polnische Katholiken wollen bewahren statt verändern
Die Ursachen für den gegenwärtigen Zustand sieht Nosowski in der Geschichte:
"Der polnische Katholizismus hat diese konservative und nationale Form im 19. Jahrhundert angenommen, als Polen zwischen Russland, Österreich und Preußen aufgeteilt war. Damals wurde der Katholizismus als dominierende Religion der Polen zum Ausweis nationaler Identität. Und damals ist diese dumme Formel Pole = Katholik entstanden. Mit diesem nationalkatholischen Denken haben wir es heute noch zu tun. Für mich ist das tragisch, denn katholisch heißt für mich universal, und hier stellt man das nationale Denken über alles."
Die Aufbruchstimmung unter Papst Franziskus findet in Polen unter diesen Bedingungen wenig Widerhall, auch wenn kein Bischof laut gegen den Papst aufbegehrt. Viele Priester murren gleichwohl über Franziskus, nationalkonservative Laien greifen ihn wegen seiner Reformideen auch offen an. Zgibniew Nosowski:
"Das Hauptproblem des polnischen Katholizismus ist die Überzeugung, es soll so sein, wie es ist, denn es ist so, wie es sein soll, während Franziskus daherkommt und sagt, es soll nicht so sein, wie es ist, und es ist auf keinen Fall so, wie es sein sollte. Ich glaube, wir müssen uns erneut grundlegende Fragen stellen - und die Mentalität und die Strukturen in unserer Kirche verändern."
Das versucht Nosowski weiterhin mit der Redaktion der katholischen Zeitschrift Więź. Vor allem aber findet die Debatte über die Rolle der katholischen Kirche in den nichtkatholischen, liberalen Blättern des Landes statt.