Mit 93 Jahren auf den Barrikaden
"Indignez-vous!" – "Empört Euch!" lautet der Titel eines kleinen Büchleins, das sich in Frankreich nicht nur zu einem Bestseller, sondern zu einem regelrechten gesellschaftlichen Phänomen gemausert hat. Autor ist Stéphane Hessel, der 93-jährige Résistance-Kämpfer, KZ-Überlebende und Mitverfasser der UN-Menschenrechts-Charta 1948.
Über eine halbe Million Franzosen halten das kleine Büchlein bereits in den Händen. Auf schmalen 14 Seiten, unterteilt in sechs kleine Kapitel, hat Stéphane Hessel den Nerv der Zeit getroffen. "Indignez-vous!", für Stéphane Hessel ein Manifest der Empörung und der Hoffnung:
"Man soll sich vorstellen, dass Schlimmes in dieser Welt passiert und man darf das nicht lassen, man muss sich dagegen empören, sich natürlich nicht nur empören, sondern auch daran denken, was kann man dagegen tun. Also gegen was: wir können schnell sagen, gegen grobe Ungerechtigkeit zwischen Reichen und Armen. Gegen grobe Gefährlichkeit gegen unseren Planeten, dass er zerstört wird durch menschliche Schrecklichkeiten. Grobe Fehler in der internationalen Politik. In Irak, in Afghanistan. Also gegen solche groben Fehler muss man sich empören, nicht nur um sie aufzusuchen, man muss finden, was einen persönlich empört, dann muss man sich einsetzen. Und der Einsatz, das Engagement sagen wir auf Französisch, ist auch eine Idee, die von Jean-Paul Sartre stammt. Er war der erste Philosoph, der sagte, wir sind persönlich verantwortlich und wir müssen uns einsetzen für das, was uns wichtig ist."
Es ist sicher kein Zufall, dass der Weg von der Métro zu Stéphane Hessels Pariser Wohnung über die Avenue Jean Moulin führt. Der große Résistance-Kämpfer war ein Weggefährte von Hessel im Nationalen Widerstandsrat. Das war damals, im Zweiten Weltkrieg, unter der Führung von General Charles de Gaulles. Heute schreiben wir das Jahr 2011, die von Nicolas Sarkozy regierten Franzosen blicken – laut einer Umfrage – weltweit am pessimistischsten in die Zukunft. Und Stéphane Hessel – wie immer mit Anzug; Krawatte und einem sanften Lächeln gekleidet - erinnert in seinem Manifest despektierlich daran, dass viele Prinzipien, mit denen die Résistance einst das moderne, demokratische Nachkriegs-Frankreich geschaffen hat, heute mit Füßen getreten werden.
"Komischerweise ist dieses kleine Buch in einem Moment herausgekommen, wo die Idee, dass wir in einer Krise sind, finanziell, wirtschaftlich, dass wir in Frankreich einen Präsidenten haben, der nicht mehr beliebt ist, dass Europa nicht so stark geworden ist, wie wir uns das gewünscht haben, all das – auch zum Beispiel, dass ein neuer Präsident in den Vereinigten Staaten sich noch nicht so groß ausgedrückt hat wie wir es gehofft haben, das alles gibt eine Atmosphäre, wo man gerne hört, dass man sich empören soll." (im Hintergrund Telefonklingeln)"
In Stéphane Hessels Wohnung steht seit Wochen das Telefon nicht mehr still, die Stimme des 93-Jährigen ertönt in unzähligen Sendungen und sein Gesicht prangt auf zahlreichen Titelseiten. Sein Buch kristallisiert sämtliche sozialen Bewegungen der letzten zehn Jahre: die Proteste gegen die Rentenreform, den Abbau der Sozialleistungen, die bröckelnde Chancengleichheit im Schulsystem, die Einwanderer ohne gültige Aufenthaltspapiere, das Anrecht der Bürger auf eine staatliche Energie-Grundversorgung, auf Schutz vor unkontrollierten Finanzmärkten. Das Verblüffendste dabei: Hessel zitiert in seiner aktuellen Analyse jedes Mal wortwörtlich das Manifest des Nationalen Widerstandsrates, mit dem General de Gaulle 1944 die Grundfeste Frankreichs gelegt hat! Als ob die Katholische Kirche plötzlich die Zehn Gebote neu entdeckt.
""Warum ist es nicht möglich, heute, diese selben Werte, als die wichtigsten wieder zu empfinden? Dieses Empfinden von vergangenen Werten, die aber immer noch wertvoll sind, macht, glaube ich, den Leser meines kleinen Büchleins, macht ihn irgendwie ungeduldig. Er sagt sich, na ja, wenn das möglich ist, was tun wir denn da? Es ist ein Anruf, sich einzusetzen."
Hessel ist liebenswert und streitbar zugleich, hebt als eingebürgerter Franzose die Stimme gegen die französische Regierung, verurteilt als Jude Israel für seine Gaza-Offensive 2009. Ein Unbeugsamer, der mit seiner Résistance-Vergangenheit und seinem lebenslangen Einsatz über jeden Zweifel erhaben ist, aber bis heute die Aktion der Schriftstellerei vorzieht. Gleichgültigkeit bezeichnet er als das Schlimmste überhaupt und plädiert in seinem "Indignez vous!" für einen pazifistischen Aufstand.
"Wenigstens gibt es jetzt eine aktive Minderheit, die es wirklich nicht annimmt, dass man immer weiter in dieselbe Richtung gehen soll. Immer weiter liberale, kapitalistische Politik, immer weiter Zerstörung von den Elementen, die der Planet braucht, um weiter die Menschen aufrecht zu erhalten. Also, es ist ein Moment da, wo man neue Antworten hört. Ich denke an Menschen wie Peter Sloterdijk oder Edgar Morin und andere Philosophen oder Wirtschaftler wie Amartya Sen oder Joseph Stiglitz, die gibt es jetzt, an die kann man sich wenden, um zu sagen: Nein, man braucht nicht weiter so dumm zu handeln, wie es in den letzten zehn Jahren der Fall gewesen ist."
"Man soll sich vorstellen, dass Schlimmes in dieser Welt passiert und man darf das nicht lassen, man muss sich dagegen empören, sich natürlich nicht nur empören, sondern auch daran denken, was kann man dagegen tun. Also gegen was: wir können schnell sagen, gegen grobe Ungerechtigkeit zwischen Reichen und Armen. Gegen grobe Gefährlichkeit gegen unseren Planeten, dass er zerstört wird durch menschliche Schrecklichkeiten. Grobe Fehler in der internationalen Politik. In Irak, in Afghanistan. Also gegen solche groben Fehler muss man sich empören, nicht nur um sie aufzusuchen, man muss finden, was einen persönlich empört, dann muss man sich einsetzen. Und der Einsatz, das Engagement sagen wir auf Französisch, ist auch eine Idee, die von Jean-Paul Sartre stammt. Er war der erste Philosoph, der sagte, wir sind persönlich verantwortlich und wir müssen uns einsetzen für das, was uns wichtig ist."
Es ist sicher kein Zufall, dass der Weg von der Métro zu Stéphane Hessels Pariser Wohnung über die Avenue Jean Moulin führt. Der große Résistance-Kämpfer war ein Weggefährte von Hessel im Nationalen Widerstandsrat. Das war damals, im Zweiten Weltkrieg, unter der Führung von General Charles de Gaulles. Heute schreiben wir das Jahr 2011, die von Nicolas Sarkozy regierten Franzosen blicken – laut einer Umfrage – weltweit am pessimistischsten in die Zukunft. Und Stéphane Hessel – wie immer mit Anzug; Krawatte und einem sanften Lächeln gekleidet - erinnert in seinem Manifest despektierlich daran, dass viele Prinzipien, mit denen die Résistance einst das moderne, demokratische Nachkriegs-Frankreich geschaffen hat, heute mit Füßen getreten werden.
"Komischerweise ist dieses kleine Buch in einem Moment herausgekommen, wo die Idee, dass wir in einer Krise sind, finanziell, wirtschaftlich, dass wir in Frankreich einen Präsidenten haben, der nicht mehr beliebt ist, dass Europa nicht so stark geworden ist, wie wir uns das gewünscht haben, all das – auch zum Beispiel, dass ein neuer Präsident in den Vereinigten Staaten sich noch nicht so groß ausgedrückt hat wie wir es gehofft haben, das alles gibt eine Atmosphäre, wo man gerne hört, dass man sich empören soll." (im Hintergrund Telefonklingeln)"
In Stéphane Hessels Wohnung steht seit Wochen das Telefon nicht mehr still, die Stimme des 93-Jährigen ertönt in unzähligen Sendungen und sein Gesicht prangt auf zahlreichen Titelseiten. Sein Buch kristallisiert sämtliche sozialen Bewegungen der letzten zehn Jahre: die Proteste gegen die Rentenreform, den Abbau der Sozialleistungen, die bröckelnde Chancengleichheit im Schulsystem, die Einwanderer ohne gültige Aufenthaltspapiere, das Anrecht der Bürger auf eine staatliche Energie-Grundversorgung, auf Schutz vor unkontrollierten Finanzmärkten. Das Verblüffendste dabei: Hessel zitiert in seiner aktuellen Analyse jedes Mal wortwörtlich das Manifest des Nationalen Widerstandsrates, mit dem General de Gaulle 1944 die Grundfeste Frankreichs gelegt hat! Als ob die Katholische Kirche plötzlich die Zehn Gebote neu entdeckt.
""Warum ist es nicht möglich, heute, diese selben Werte, als die wichtigsten wieder zu empfinden? Dieses Empfinden von vergangenen Werten, die aber immer noch wertvoll sind, macht, glaube ich, den Leser meines kleinen Büchleins, macht ihn irgendwie ungeduldig. Er sagt sich, na ja, wenn das möglich ist, was tun wir denn da? Es ist ein Anruf, sich einzusetzen."
Hessel ist liebenswert und streitbar zugleich, hebt als eingebürgerter Franzose die Stimme gegen die französische Regierung, verurteilt als Jude Israel für seine Gaza-Offensive 2009. Ein Unbeugsamer, der mit seiner Résistance-Vergangenheit und seinem lebenslangen Einsatz über jeden Zweifel erhaben ist, aber bis heute die Aktion der Schriftstellerei vorzieht. Gleichgültigkeit bezeichnet er als das Schlimmste überhaupt und plädiert in seinem "Indignez vous!" für einen pazifistischen Aufstand.
"Wenigstens gibt es jetzt eine aktive Minderheit, die es wirklich nicht annimmt, dass man immer weiter in dieselbe Richtung gehen soll. Immer weiter liberale, kapitalistische Politik, immer weiter Zerstörung von den Elementen, die der Planet braucht, um weiter die Menschen aufrecht zu erhalten. Also, es ist ein Moment da, wo man neue Antworten hört. Ich denke an Menschen wie Peter Sloterdijk oder Edgar Morin und andere Philosophen oder Wirtschaftler wie Amartya Sen oder Joseph Stiglitz, die gibt es jetzt, an die kann man sich wenden, um zu sagen: Nein, man braucht nicht weiter so dumm zu handeln, wie es in den letzten zehn Jahren der Fall gewesen ist."