"Eine nur so vor Energie berstende Literatur": "Zeit"-Literaturkritikerin zum Tod Ilse Aichingers
Schriftstellerin Ilse Aichinger ist tot
Bekannt wurde die österreichische Schriftstellerin und Lyrikerin Ilse Aichinger mit ihrem 1948 erschienen Roman "Die größere Hoffnung", der die Schrecken der NS- und Kriegszeit thematisierte. Nun ist Aichinger in ihrer Geburtsstadt Wien gestorben.
Die österreichische Dichterin Ilse Aichinger starb am Freitag mit 95 Jahren in Wien. Das sagte ihre Tochter Mirjam Eich in Berlin, wie die Deutsche Presse-Agentur berichtet. Aichinger galt als eine der sprachmächtigsten Autorinnen Österreichs.
In ihrem Text "Das vierte Tor" thematisierte Ilse Aichinger im Jahr 1945 erstmals in der österreichischen Literatur die nationalsozialistischen Konzentrationslager. Mit dem Essay "Aufruf zum Misstrauen", in dem sie 1948 anmahnte, den eigenen Wahrheiten zu misstrauen, erregte sie größere Aufmerksamkeit.
Ilse Aichinger wurde am 1. November 1921 in Wien geboren. Einer breiten Leserschaft bekannt wurde Aichinger in den 50er-Jahren mit ihrem 1948 erschienenen autobiografischen Debütroman "Die größere Hoffnung". Darin versuchte sie, die Schrecken der NS- und Kriegszeit zu verarbeiten. Es blieb Aichingers einziger Roman.
In den 50er-Jahren war Ilse Aichinger wiederholt zu Treffen der "Gruppe 47" eingeladen und erhielt 1952 für die Erzählung "Spiegelgeschichte" die Auszeichnung der Gruppe.
Eigenwillige, verrätselte Sprache
Die späteren Texte der Schriftstellerin wurden immer knapper und erschienen in Sammlungen von verstreut publizierten Erzählungen, Gedichten und Essays, so etwa Erzählungen wie "Eliza, Eliza" oder "Kleist, Moos, Fasane". Auch Gedichte gehörten zu ihrem Spätwerk.
Ilse Aichinger machte sich auch als Hörspielautorin einen Namen. Besondere Aufmerksamkeit fand ihr erstes Werk "Knöpfe", das sich um die eintönige Fabrikarbeit von Frauen drehte und 1957 in Berlin uraufgeführt wurde.
In eigenwilliger, geheimnisvoll verrätselter Sprache verband die Dichterin analytische Beobachtung und poetische Kraft.
Aichinger stammte aus einer jüdischen Familie, die Mutter war Ärztin, der Vater Lehrer. Traumatisch erlebte sie die Trennung von ihrer Zwillingsschwester, die mit einem der letzten Kindertransporte nach England geschickt wurde. Sie selbst überlebte die NS-Zeit mit ihrer Mutter in einem Versteck in Wien. Nach dem Krieg begann sie ein Medizinstudium, das sie abbrach.
Mehrfache Preisträgerin
Bei einer der Tagungen der "Gruppe 47" lernte Aichinger den Schriftsteller Günter Eich kennen, den sie 1953 heiratete und mit dem sie zwei Kinder bekam. Eines davon ist die Tochter Mirjam Eich.
Neben ihrem schriftstellerischen Wirken arbeitete Ilse Aichinger als Lektorin. Sie wurde unter anderem mit dem Nelly-Sachs-Preis, dem Georg-Trakl-Preis sowie dem Kafka-Preis ausgezeichnet.
Der Nachruf des Literaturkritikers Wolfgang Schneider auf Ilse Aichinger:
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