Mit A.L. Kennedy durch London

Liebe und andere Katastrophen

Die schottische Schriftstellerin A.L. Kennedy; Aufnahme von 2005 auf der Frankfurter Buchmesse
Die schottische Schriftstellerin A.L. Kennedy © AFP / John Macdougall
Von Laura Freisberg |
Seit mehr als 20 Jahren veröffentlicht die schottisches Schriftstellerin Allison Louise Kennedy, kurz A.L. Kennedy, Romane und Erzählungen. Seit einiger Zeit lebt sie in London. Dort hat Laura Freisberg sie für einen Spaziergang an der Themse getroffen.
"Eine der Geschichten in 'Der letzte Schrei' heißt: 'Dieser Mann' und spielt vor dem National Theatre. Das ist dieses weiße Betongebäude hier an der Southbank, das Richtung Houses of Parliament starrt. Also eine Geschichte habe ich dort angesiedelt, weil es wirklich eine nette Ecke von London ist und gerade bei schönem Wetter ist dieser Betonbau außergewöhnlich attraktiv, komischerweise."
Der britische Premier David Cameron – ein Macbeth?
Unterwegs mit der schottischen Schriftstellerin A.L. Kennedy entlang der Londoner South Bank, dem südlichen Teil des Themseufers. Es nieselt und ist kalt, aber sie ist eine gute Fremdenführerin, hat zu fast jedem Gebäude eine Geschichte zu erzählen. Obwohl sie London nicht besonders mag:
"Die Stadt ist sehr teuer, sehr dreckig, sehr laut und sehr verrückt. Ich habe zwar viele Freunde hier, aber ich wäre doch lieber in Schottland geblieben. Gerade jetzt macht das Land eine sehr spannende Zeit durch, es geht in eine ganz andere Richtung als hier in England. Im Grunde wird alles in Frage gestellt, was bisher die typisch britisch-feudale Politik war."
Seit über zwanzig Jahren veröffentlich A.L. Kennedy in regelmäßigen Abständen Romane und Erzählbände, außerdem schreibt sie Essays für Zeitungen und für BBC Radio, wo sie sogar eine Kolumne hat.
Während unseres Spaziergangs schimpft sie auf die aktuelle Regierung, vergleicht Politiker mit der machtgierigen, mörderischen Figur Macbeth aus dem gleichnamigen Stück von Shakespeare und lästert: Das beste an der Totenmesse für Margaret Thatcher in der St Pauls Cathedral war die Gewissheit, dass die ehemalige Premierministerin nun wirklich tot ist. Also: A.L: Kennedy – eine politische Autorin?
"Wenn ich für eine Zeitung schreibe schon – ansonsten trenne ich das. Obwohl das Buch, an dem ich gerade schreibe, schon etwas politischer wird, weil eine der Hauptfiguren in Whitehall für die Regierung arbeitet. Aber ansonsten – ich bin nicht parteipolitisch engagiert. Weil ich die politischen Parteien einfach furchtbar finde."
Enthäutet und bis aufs Blut entkleidet
Eigentlich ist ihr großes Thema aber die Liebe. Und besonders in ihren Erzählungen schreibt sie darüber so zauberhaft und treffend, dass es fast schon weh tut. Denn Liebe ist bei ihr nie eine leichte Angelegenheit, ebenso wenig wie Sex. Der kann verstörend sein, zeigen wie fremd sich zwei Menschen insgeheim sind – aber auch die Erlösung von der Einsamkeit, zumindest für ein paar Momente.
In ihrem neuen Erzählband „Der letzte Schrei" ist das Personal insgesamt etwas gealtert – mittelalte Menschen mit mittelalten Problemen, wie sie selbst sagt. Und vor der Furcht vorm Alleinsein kommt eine neue Furcht hinzu – die Furcht alleine zu sterben.
In der Geschichte "Baby Blue" irrt eine Frau mit Liebeskummer durch eine Stadt und landet schließlich in einem Sexshop, wo sie von der geschäftstüchtigen Verkäuferin bequatscht wird. Das riesige Angebot an Ersatzbefriedigungen in allen Größen, Farben und Formen macht aber nur deutlich, was nicht ersetzt werden kann: der geliebte Mensch.
Während wir vor dem blau erleuchteten Theater an der Themse stehen, liest A.L Kennedy den Absatz aus ihrer Geschichte vor, der vermutlich am besten beschreibt, welches heftige, elementare Gefühl all ihre Geschichten durchzieht:
"Die Grunderfahrung der Liebe ist der unverhältnismäßige Verlust jeden Schutzes. Und du klammerst dich an den Menschen, der bei dir ist, zur Sicherheit vor allem. Du klammerst dich an denjenigen, der dich beraubt hat, und der klammert zurück, weil er ebenso nackt ist – du hast ihn bis aufs Blut entkleidet. Du bist für ihn verantwortlich, zerbrechlich und enthäutet, wie er ist. Das lässt sich nicht ändern."
Thank you very much. - "Kein Problem."
A.L. Kennedy: Der letzte Schrei
Übersetzt von Ingo Herzke
Hanser Verlag, München 2015
208 Seiten, 19,90 Euro
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