Mit Allahs Hilfe lesen lernen
Die islamischen Madrasas sind in Ländern ohne Schulpflicht wie Indien und Pakistan eine wichtige Einrichtung für die arme Bevölkerung. Für Außenstehende waren solche Bildungseinrichtungen bisher weitgehend unzugänglich. Doch Wissenschaftler des Berliner Zentrums Moderner Orient präsentieren jetzt Fotografien und andere Materialien aus dem Innenleben der Studienzentren.
Auf den Landkarten für den islamischen Geographieunterricht gehören selbst Russland und Westpapua zur Welt des Islam. Und einzelne Wandzeitungen - in Englisch, Urdu, Hindi oder Arabisch - bestätigen auch weiter gehende Indoktrination.
Farish Noor: " Hier in diesem englischen Text gibt es einen Hinweis auf Noam Chomsky. Das zeigt, dass diese Jungs globale Debatten sehr wohl kennen. Humor kommt durchaus auch vor. Allerdings kann die Rhetorik zuweilen sehr extrem sein. Man findet Anti-Hindu Positionen ebenso wie Anti-Christliche oder Anti-Jüdische."
Der Politikwissenschaftler Farish Noor hat sich in Dar’ul Uloom im nordindischen Deoband umgesehen, eine Einrichtung mit rund 3000 Studierenden zwischen sechs und 20 Jahren. Seit dem 19. Jahrhundert wurden hier nicht nur islamische Rechtsgelehrte, sondern auch Beamte für die britische Kolonialregierung ausgebildet. Auch wenn die puristische, konservative und formalistische Haltung in Deoband aufgrund der immensen Schülerzahlen Schule gemacht hat, der Terrorismusverdacht sei eine politisch motivierte Unterstellung der hindunationalen Partei, so der Politikwissenschaftler Dietrich Reetz:
"In Indien, wo ja viele Gewaltkonflikte auch ausgetragen werden, hat man wohl bis heute keinen einzigen Studenten einer Madrasa verhaftet; sei es im Kaschmir-Konflikt oder sei es in Verbindung mit den Al Quaida Aktivitäten oder ähnlichen Dingen. Solche direkten Verbindungen von Madrasa-Absolventen sind vor allem aus dem pakistanischen und sehr spezifisch afghanischen Grenzkontext bekannt und aus Indien so gut wie gar nicht. "
Farish Noor: "Aus der Deoband Madrasa kommen dann hin und wieder doch auch sehr verstörende Töne. Etwa wenn ein junger Rechtsgelehrter eine Fatwa erlässt und verfügt, dass Frauen im öffentlichen Leben und vor allem in der Politik nicht die geringste Rolle spielen dürfen. Das war ein Skandal in den Medien. Und schließlich musste der Rektor der Einrichtung zurückrudern und die Fatwa für ungültig erklären."
Andere große Institutionen suchen in Sachen Lehrplan und Ausstattung eher den Anschluss an zeitgenössische Bildungsstandards und nehmen auch Mädchenbildung in Angriff. Deoband dagegen versteht sich als politisch und bezieht öffentlich Stellung.
Gleichzeitig erfüllt diese Einrichtung wie auch andere Madrasas heute bei den vorwiegend ärmeren Muslimen eine wichtige Rolle. Trotz 40 Prozent Analphabeten haben nämlich weder Indien noch Pakistan den Schulgang zur Pflicht gemacht.
Reetz: "Solange das Bildungsproblem generell nicht geklärt ist, glauben diese Schulen, sie haben einen Platz im Bildungswesen beider Länder und glaubt das auch die Bevölkerung, die u.a. auch unter Entwicklungsgesichtspunkten sie auswählt, weil dort lernen sie zumindest Lesen und Schreiben und sie haben einen bestimmten Abschluss, der ihnen vielleicht eine begrenzte, aber immerhin eine Lücke weist in den Arbeitsmarkt."
So werden die islamischen Studien zum Sprungbrett auch in gänzlich andere Berufskarrieren und zum Treffpunkt für junge Menschen aus allen Himmelrichtungen.
Farish Noor: " Auf diese Weise formieren sich dann später die äußerst effektiven pan-indischen Netzwerke der Rechtsgelehrten. In Zeiten, als es leichter war über Grenzen zu gehen, hatten sie dann auch ihre Kontakte mit Absolventen aus Malaysia und Indonesien. Es stellte sich also ein globales Netzwerk her, das von einer einzigen Interpretation des Islam geprägt war. "
Und in diesem Fall bestimmt nicht mehr die sunnitische Oberhoheit der Al Azhar Universität in Kairo. Seit zehn Jahren sind zwar die Bewegungsmuster durch Einreise- und Aufenthaltskontrollen außer Kraft gesetzt, sowohl in Indien als auch in Pakistan. Die Gewichtung weg vom arabischen Wissensmonopol ist dennoch spürbar.
Dietrich Reetz: "Als ich jetzt gerade in Malaysia und Indonesien unterwegs war und versucht habe, auch den Spuren von Deoband nachzugehen und von Absolventen indischer Seminare, habe ich oft zu hören bekommen, dass sie oft über Deoband nach Al Azhar gehen. Also viele der Muslime aus den anderen Ländern nutzen das als den Einstieg in den höheren islamischen Bildungsmarkt.
Und in gewisser Weise ist Al Azhar schon noch die Krone aus einer ganz bestimmten Perspektive heraus, aber gleichzeitig entsteht ein Paralleluniversum, was sozusagen durch eigene Werte, auch durch eine eigene Kultur, das ist nicht nur eine religiöse Frage; wir haben es hier auch mit einer Art Organisationskultur zu tun, die Länder und Grenzen übergreifend wirkt und damit ein eigenes Universum schafft, was in gewisser Weise mit dem Al Azhar Universum rivalisiert. "
Service:
Bilder aus dem Inneren indischer Madrasas präsentiert das Zentrum Moderner Orient in Berlin bis zum 31. Januar 2006. Dort gibt es Fotografien und eine 3D-Animation zu sehen. Am 15. Dezember 2005 um 18.00 Uhr wird Dr. Farish Noor dort über seine Einblicke in die Madrasas in Indien referieren.
Farish Noor: " Hier in diesem englischen Text gibt es einen Hinweis auf Noam Chomsky. Das zeigt, dass diese Jungs globale Debatten sehr wohl kennen. Humor kommt durchaus auch vor. Allerdings kann die Rhetorik zuweilen sehr extrem sein. Man findet Anti-Hindu Positionen ebenso wie Anti-Christliche oder Anti-Jüdische."
Der Politikwissenschaftler Farish Noor hat sich in Dar’ul Uloom im nordindischen Deoband umgesehen, eine Einrichtung mit rund 3000 Studierenden zwischen sechs und 20 Jahren. Seit dem 19. Jahrhundert wurden hier nicht nur islamische Rechtsgelehrte, sondern auch Beamte für die britische Kolonialregierung ausgebildet. Auch wenn die puristische, konservative und formalistische Haltung in Deoband aufgrund der immensen Schülerzahlen Schule gemacht hat, der Terrorismusverdacht sei eine politisch motivierte Unterstellung der hindunationalen Partei, so der Politikwissenschaftler Dietrich Reetz:
"In Indien, wo ja viele Gewaltkonflikte auch ausgetragen werden, hat man wohl bis heute keinen einzigen Studenten einer Madrasa verhaftet; sei es im Kaschmir-Konflikt oder sei es in Verbindung mit den Al Quaida Aktivitäten oder ähnlichen Dingen. Solche direkten Verbindungen von Madrasa-Absolventen sind vor allem aus dem pakistanischen und sehr spezifisch afghanischen Grenzkontext bekannt und aus Indien so gut wie gar nicht. "
Farish Noor: "Aus der Deoband Madrasa kommen dann hin und wieder doch auch sehr verstörende Töne. Etwa wenn ein junger Rechtsgelehrter eine Fatwa erlässt und verfügt, dass Frauen im öffentlichen Leben und vor allem in der Politik nicht die geringste Rolle spielen dürfen. Das war ein Skandal in den Medien. Und schließlich musste der Rektor der Einrichtung zurückrudern und die Fatwa für ungültig erklären."
Andere große Institutionen suchen in Sachen Lehrplan und Ausstattung eher den Anschluss an zeitgenössische Bildungsstandards und nehmen auch Mädchenbildung in Angriff. Deoband dagegen versteht sich als politisch und bezieht öffentlich Stellung.
Gleichzeitig erfüllt diese Einrichtung wie auch andere Madrasas heute bei den vorwiegend ärmeren Muslimen eine wichtige Rolle. Trotz 40 Prozent Analphabeten haben nämlich weder Indien noch Pakistan den Schulgang zur Pflicht gemacht.
Reetz: "Solange das Bildungsproblem generell nicht geklärt ist, glauben diese Schulen, sie haben einen Platz im Bildungswesen beider Länder und glaubt das auch die Bevölkerung, die u.a. auch unter Entwicklungsgesichtspunkten sie auswählt, weil dort lernen sie zumindest Lesen und Schreiben und sie haben einen bestimmten Abschluss, der ihnen vielleicht eine begrenzte, aber immerhin eine Lücke weist in den Arbeitsmarkt."
So werden die islamischen Studien zum Sprungbrett auch in gänzlich andere Berufskarrieren und zum Treffpunkt für junge Menschen aus allen Himmelrichtungen.
Farish Noor: " Auf diese Weise formieren sich dann später die äußerst effektiven pan-indischen Netzwerke der Rechtsgelehrten. In Zeiten, als es leichter war über Grenzen zu gehen, hatten sie dann auch ihre Kontakte mit Absolventen aus Malaysia und Indonesien. Es stellte sich also ein globales Netzwerk her, das von einer einzigen Interpretation des Islam geprägt war. "
Und in diesem Fall bestimmt nicht mehr die sunnitische Oberhoheit der Al Azhar Universität in Kairo. Seit zehn Jahren sind zwar die Bewegungsmuster durch Einreise- und Aufenthaltskontrollen außer Kraft gesetzt, sowohl in Indien als auch in Pakistan. Die Gewichtung weg vom arabischen Wissensmonopol ist dennoch spürbar.
Dietrich Reetz: "Als ich jetzt gerade in Malaysia und Indonesien unterwegs war und versucht habe, auch den Spuren von Deoband nachzugehen und von Absolventen indischer Seminare, habe ich oft zu hören bekommen, dass sie oft über Deoband nach Al Azhar gehen. Also viele der Muslime aus den anderen Ländern nutzen das als den Einstieg in den höheren islamischen Bildungsmarkt.
Und in gewisser Weise ist Al Azhar schon noch die Krone aus einer ganz bestimmten Perspektive heraus, aber gleichzeitig entsteht ein Paralleluniversum, was sozusagen durch eigene Werte, auch durch eine eigene Kultur, das ist nicht nur eine religiöse Frage; wir haben es hier auch mit einer Art Organisationskultur zu tun, die Länder und Grenzen übergreifend wirkt und damit ein eigenes Universum schafft, was in gewisser Weise mit dem Al Azhar Universum rivalisiert. "
Service:
Bilder aus dem Inneren indischer Madrasas präsentiert das Zentrum Moderner Orient in Berlin bis zum 31. Januar 2006. Dort gibt es Fotografien und eine 3D-Animation zu sehen. Am 15. Dezember 2005 um 18.00 Uhr wird Dr. Farish Noor dort über seine Einblicke in die Madrasas in Indien referieren.

Ein Schüler des Madrasa im indischen des Deoband lernt für seine Prüfungen.© Farish Noor/Zentrum Moderner Orient