Mit allen Ehren empfangen

Von Peter Philipp |
Willy Brandt (SPD) war als erster Bundeskanzler 1973 auf Staatsbesuch in Israel. Mehr als ein Vierteljahrhundert nach dem Ende des Holocaust fiel es Israel schwer, sich Verbindungen mit Deutschland vorzustellen. Trotzdem trug der Besuch zur Verbesserung der gegenseitigen Beziehung bei.
Mit militärischem Zeremoniell wird Bundeskanzler Willy Brandt am 7. Juni 1973 auf dem Tel Aviver Flughafen von seiner Amtskollegin Golda Meir empfangen. Beide kennen sich bereits persönlich, aber das Treffen ist alles andere als Routine: Zum ersten Mal kommt ein Bundeskanzler zum Staatsbesuch nach Israel. Ein Schritt zur Normalisierung zwischen beiden Ländern, die deutsche Politiker immer wieder herbeizureden versucht haben? Sicher nicht für die Demonstranten, die Brandt in Jerusalem erwarten.

Dass dieser Besuch Proteste provozieren würde, war vorhersehbar gewesen. Aber es sind weit weniger als erwartet. Auch den Skeptikern in Israel dürfte klar sein, dass Willy Brandt über jeden Zweifel erhaben ist. Sein persönlicher Werdegang hat das unter Beweis gestellt. Wie zum Beispiel auch sein Kniefall vor dem Denkmal des Warschauer Ghettos 1970:

"Ich bitte, als einer, der nun nicht zu den wildesten Anhängern Hitlers gehört hat, um es mal so zu sagen, ich bitte für mein Volk um Verzeihung."

In Israel stießen solche Worte auf offene Ohren. Und trotzdem fiel es 25 Jahre nach dem Ende des Holocaust vielen schwer, sich Beziehungen – gleich welcher Art – mit Deutschland vorzustellen. Bereits 1952 hatten der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer und Israels Premier David Ben Gurion mit dem Wiedergutmachungsabkommen einen wichtigen Schritt getan, an gegenseitige Staatsbesuche war aber nicht zu denken. Diplomatische Beziehungen wurden 1965 aufgenommen, unter dem Eindruck der Reaktion in der arabischen Welt verzichtete man darauf, dies durch offizielle Staatsbesuche weiter aufzuwerten.

1973 aber ist es endlich soweit. Seinen ersten offiziellen Besuch in Israel absolviert Bundeskanzler Willy Brandt unter anderem in Begleitung des Schriftstellers Günther Grass. Äußerlich ähneln Protokoll und Zeremoniell dem anderer Staatsbesuche in Israel.

Erster Programmpunkt ist der Besuch von Yad Va Shem, der Holocaust-Gedenkstätte in Jerusalem, dann aber wendet man sich den politischen Alltagsproblemen zu. Ein Hauptthema ist die latente Krise und Kriegsgefahr in der Region. Brandt ist nicht nach Israel gekommen, um Ratschläge oder gar Weisungen zu erteilen. Bei einer Pressekonferenz in Jerusalem betont er:

"Wir sind nicht dazu berufen und auch nicht in der Lage, eine Vermittlerrolle zu spielen. Aber das deutsche Interesse ist klar: Dieses deutsche Interesse gilt einer friedlichen Lösung, die von den unmittelbar Beteiligten ausgehandelt wird und akzeptiert werden kann."

Der damalige Informationsminister und heutige Staatspräsident Shimon Peres zeigt sich gegenüber französischen Medien zufrieden mit dem Besuch Brandts:

"Ich glaube wirklich, dass dieser Besuch Auftakt sein wird zu etwas völlig Neuem. Nicht nur, was das politische Klima betrifft, sondern vielleicht auch im Empfinden der Völker."

Der erste Kanzlerbesuch in Israel trägt tatsächlich maßgeblich zur Verbesserung der gegenseitigen Beziehungen bei, wenn auch nicht nur Befriedung des Nahen Ostens: Nur wenige Monate später bricht der Yom-Kippur-Krieg aus, bei dem Syrien und Ägypten Israel auf zwei Fronten einen empfindlichen Schlag versetzen.

Ministerpräsidentin Golda Meir muss in der Folge dieses Krieges ihren Rücktritt einreichen, und konnte den zugesagten Gegenbesuch in der Bundesrepublik nicht mehr abstatten. Das tat 1975 ihr Nachfolger Jitzchak Rabin. Ein nächster Schritt zu der von Bonn erhofften Normalisierung hin? Brandt findet 1973 eine nüchternere, aber treffendere Umschreibung:

"Die deutsch-israelischen Beziehungen - ich sage das auch jetzt mit der gebührenden Unterstreichung - müssen vor dem düsteren Hintergrund der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft gesehen werden, und genau dies meinen wir, wenn wir sagen: Unsere normalen Beziehungen haben den Charakter der Besonderheit."