Mit Bildung zur Versöhnung
Vor sechs Jahren gründete Jesuitenpater Walter Happel das Loyola-Gymnasium in Prizren. Religionsunterricht gibt es an der Privatschule nicht, dafür Koedukation. Und die Vermittlung von Werten, die das Zusammenleben stärken sollen.
"Guten Morgen! Guten Morgen!"
In einem hellen Klassenzimmer begrüßt ein kleiner untersetzter Mann die Klasse. Die Kinder erwidern lautstark die deutsche Begrüßung. Dass die Mädchen und Jungen schon ein paar Worte seiner Muttersprache sprechen, freut den Jesuitenpater Walter Happel sichtlich. Als der Musikunterricht beginnt, verlässt der Schulleiter die Klasse und setzt seinen täglichen Rundgang fort.
Vor der Tür hört Walter Happel noch ein wenig zu. Musikunterricht – das ist Wertevermittlung, sagt er:
"Bildung ist nicht nur wichtig für den Kosovo. Bildung ist weltweit wichtig und Bildung ist die Voraussetzung zur Akzeptanz des anderen, insbesondere, wenn der andere fremd ist."
Auf seinem Rundgang schaut Walter Happel ein bisschen nach dem Rechten: Einem Jungen, dessen Hemd aus der Hose hängt, bittet er, das zu ändern. Er duldet keinen Schlendrian: nicht im Kleinen bei einem heraushängenden Hemd, nicht im Großen bei Hass und Intoleranz. Das ist wichtig im Kosovo, im Jahre 12 nach dem Krieg zwischen den Albanern und Serben.
"Wir haben Kinder hier an der Schule, die haben den Krieg mit eigenen Augen miterlebt. Wir haben zwei Mädchen hier, deren Vater wurde vor den sehenden Augen der Kinder von der Soldateska massakriert. Ein Junge, dessen Mutter im einstürzenden Haus zusammen mit seinen Geschwistern zu Tode kam. Das sind tiefe Wunden und Verletzungen."
Im Kosovokrieg 1998/99 gingen nicht nur albanische Rebellen und serbische Truppen aufeinander los. Hier schossen Nachbarn plötzlich aufeinander, wurden Familien vertrieben, deren Häuser niedergebrannt, weil sie Serben waren oder Albaner, erzählt Happel. Unter diesem ethnischen Konflikt leidet das Land heute noch.
"Der Weg der Versöhnung ist schwierig und es wird erst dann gelingen, wenn ein gewisses Bildungsniveau erreicht ist. Denn nur gebildete Menschen können sich miteinander streiten und auseinandersetzen, ohne den ständigen Drang zu verspüren, zum Messer oder zur Pistole greifen zu müssen."
Mehr als die Hälfte der Bevölkerung des Kosovo ist jünger als 25 Jahre. Damit diese Jugend nicht länger perspektivlos heranwächst, hat der Jesuitenpater im Auftrag von Renovabis, der Solidaritätsaktion deutscher Katholiken mit den Menschen in Mittel- und Osteuropa, das humanistische Gymnasium 2005 gegründet.
"In ganz Kosovo gibt es einen Jesuiten und er sitzt jetzt vor Ihnen. Wenn jetzt bei einer Schule, bei fast 40 Lehrern aufgrund eines einsamen Jesuiten von einer Jesuitenschule redet, dann ehrt mich das zwar, aber eigentlich schicken die Eltern ihre Kinder auf eine Schule, von der sie annehmen und hoffen, dass es eine gute Schule ist."
In der Turnhalle kann man das eigene Wort kaum verstehen. Die Schreie und Rufe hallen durch den Raum. Gerade hat ein schwarzhaariges Mädchen einen Basketball im Korb versenkt. Ihre Teamkameraden - Mädchen und Jungen - jubeln. In einem muslimisch geprägten Land ist gemeinsamer Sportunterricht gewagt, sagt Happel, und wird an anderen Schulen auch nicht gemacht. Gemeinschaft, Gleichstellung, Ausbildung - das ist am Loyola wichtig. Konfessionszugehörigkeit spielt dagegen weder bei den Schülern noch bei den Lehrern eine Rolle.
"In dem Zusammenhang sei darauf hinwiesen, dass die Serben im Kosovo eine Minderheit sind. Es gibt auch die Goraner, es gibt die Bosniaken, es gibt die Türken, es gibt die Zigeuner … alles des sind Minderheiten und wir haben bei uns an der Schule Bosniaken, Türken, Albaner, Zigeuner – das die Serben fehlen, tja, ich kann sie nicht selber backen. Wir haben zwar am Anfang vorgehabt, bei drei Zügen einen Zug Slawisch zu haben, aber Serben haben sich überhaupt keine beworben."
Es gibt am Loyola, wie auch sonst im Kosovo, keinen Religionsunterricht. Und auch keine christliche Missionierung, sagt der Jesuitenpater.
"Ich bin natürlich auf einer Mission, denn mit unserer Pädagogik vermitteln wir Werte. Und wenn wir Latein unterrichten, dann vermitteln wir Werte, und wenn wir die Hälfte aller Plätze für Mädchen reservieren, dann vermitteln wir Werte."
Solche Wertevermittlung braucht lebendige Beispiele - Vorbilder wie Vlora Grajçevci. Die 25-jährige Lehrerin unterrichtet Latein und Deutsch:
"Früher haben immer nur die Jungs studiert. Die Mädchen mussten zu Hause bleiben, sie durften nicht in die Schule gehen und nach dem Krieg hat sich das ein bisschen geändert, aber die meisten brechen immer das Studium ab, die meisten Mädchen und heiraten dann."
Vlora Grajçevci hat Germanistik studiert, verdient ihr eigenes Geld, ist damit unabhängig. Die unverheiratete Muslima lebt nicht bei ihrer Familie, sondern mit Freundinnen in einer WG und zeigt so, dass es auch andere Lebenswege für Frauen geben kann.
"Unsere Schülerinnen zum Beispiel sagen, sie wollen studieren und dann fragen sie auch immer: Was denken Sie? Und das sind Fragen, die mir dann auch bestätigen, dass sie wirklich aus ihrem Leben etwas machen wollen."
Möglich ist dies allerdings nur mit einer guten Ausbildung. Doch das Schulsystem im Kosovo ist sehr schlecht: Die Schüler werden im Dreischichtsystem unterrichtet. Deshalb baut die Regierung neue Schulen, renoviert alte oder baut sie aus. Bis Ende 2011 soll so an allen Schulen nur noch in zwei Schichten unterrichtet werden. Das bedeutet, dass am Vormittag ein Teil der Jungen und Mädchen zur Schule geht und lernt, während der andere Teil frei hat. Am Nachmittag ist es umgekehrt. Um Schüler am Loyola-Gymnasium zu werden, muss man einen schriftlichen Test in Albanisch, Englisch und Mathematik absolvieren. Jedes Jahr bewerben sich doppelt so viele Schüler wie aufgenommen werden können. Die jüngste Tochter von Fadil Sahiti hat diese Aufnahmeprüfung bestanden. Seine drei älteren Kinder waren auf staatlichen Schulen:
"Der größte Unterschied ist für mich, dass die Kinder so unterrichtet werden, dass sie in der Lage sind, Fragen zu stellen. Fragen bedeutet, dass die Schüler analysieren. Sie ist couragiert, weiß zu analysieren und etwas auszuwerten – das sind alles Sachen, die nicht üblich sind im Kosovo."
Allerdings ist auch das Schulgeld von 80 Euro im Monat nicht üblich im Kosovo. Viele Schüler kommen aus Familien, die nicht einmal diese 80 Euro bezahlen können. Der Durchschnittsverdienst im Kosovo liegt bei circa 200 Euro. Damit am Loyola nicht nur Kinder aus gutbetuchten Haushalten das Privileg einer Elitebildung genießen, vergibt die Schule für circa ein Fünftel der Schüler jeden Jahrgangs Stipendien.
Mittagspause. Auf dem gepflegten Pausenhof drehen die Schüler ihre Runden, essen ihre Brote und erzählen selbstbewusst über ihre Schule:
"'Ich denke, unsere Schule ist sehr gut und es gibt nichts, was man besser machen könnte.' - 'Aber der Stress, den wir in der Prüfungszeit haben, ist manchmal zu viel. Es wäre besser, wir hätten nicht so viele Prüfungen in einer Woche.""
Die Abiturienten legen zuerst das kosovarische Zentralabitur ab, bei dem sechs bis acht Fächer im Multiple-Choice-Verfahren geprüft werden, dann folgen hausinterne Zusatzprüfungen in Deutsch als Fremdsprache, Mathematik und Geschichte. Nur so können sich die Schüler an deutschsprachigen Hochschulen bewerben. Anéta und Adrian haben schon konkrete Ziele.
Anéta: "Ich gehe jetzt zwei Wochen zu einem Praktikum nach München und mal sehen? Vielleicht die Ausbildung? Vielleicht auch irgendwelche Uni?"
Adrian: "Ich möchte Diplomatie studieren und ich bewerbe mich gerade für eine amerikanische Universität in Bulgarien und hoffe, dass ich da akzeptiert werde."
In einem hellen Klassenzimmer begrüßt ein kleiner untersetzter Mann die Klasse. Die Kinder erwidern lautstark die deutsche Begrüßung. Dass die Mädchen und Jungen schon ein paar Worte seiner Muttersprache sprechen, freut den Jesuitenpater Walter Happel sichtlich. Als der Musikunterricht beginnt, verlässt der Schulleiter die Klasse und setzt seinen täglichen Rundgang fort.
Vor der Tür hört Walter Happel noch ein wenig zu. Musikunterricht – das ist Wertevermittlung, sagt er:
"Bildung ist nicht nur wichtig für den Kosovo. Bildung ist weltweit wichtig und Bildung ist die Voraussetzung zur Akzeptanz des anderen, insbesondere, wenn der andere fremd ist."
Auf seinem Rundgang schaut Walter Happel ein bisschen nach dem Rechten: Einem Jungen, dessen Hemd aus der Hose hängt, bittet er, das zu ändern. Er duldet keinen Schlendrian: nicht im Kleinen bei einem heraushängenden Hemd, nicht im Großen bei Hass und Intoleranz. Das ist wichtig im Kosovo, im Jahre 12 nach dem Krieg zwischen den Albanern und Serben.
"Wir haben Kinder hier an der Schule, die haben den Krieg mit eigenen Augen miterlebt. Wir haben zwei Mädchen hier, deren Vater wurde vor den sehenden Augen der Kinder von der Soldateska massakriert. Ein Junge, dessen Mutter im einstürzenden Haus zusammen mit seinen Geschwistern zu Tode kam. Das sind tiefe Wunden und Verletzungen."
Im Kosovokrieg 1998/99 gingen nicht nur albanische Rebellen und serbische Truppen aufeinander los. Hier schossen Nachbarn plötzlich aufeinander, wurden Familien vertrieben, deren Häuser niedergebrannt, weil sie Serben waren oder Albaner, erzählt Happel. Unter diesem ethnischen Konflikt leidet das Land heute noch.
"Der Weg der Versöhnung ist schwierig und es wird erst dann gelingen, wenn ein gewisses Bildungsniveau erreicht ist. Denn nur gebildete Menschen können sich miteinander streiten und auseinandersetzen, ohne den ständigen Drang zu verspüren, zum Messer oder zur Pistole greifen zu müssen."
Mehr als die Hälfte der Bevölkerung des Kosovo ist jünger als 25 Jahre. Damit diese Jugend nicht länger perspektivlos heranwächst, hat der Jesuitenpater im Auftrag von Renovabis, der Solidaritätsaktion deutscher Katholiken mit den Menschen in Mittel- und Osteuropa, das humanistische Gymnasium 2005 gegründet.
"In ganz Kosovo gibt es einen Jesuiten und er sitzt jetzt vor Ihnen. Wenn jetzt bei einer Schule, bei fast 40 Lehrern aufgrund eines einsamen Jesuiten von einer Jesuitenschule redet, dann ehrt mich das zwar, aber eigentlich schicken die Eltern ihre Kinder auf eine Schule, von der sie annehmen und hoffen, dass es eine gute Schule ist."
In der Turnhalle kann man das eigene Wort kaum verstehen. Die Schreie und Rufe hallen durch den Raum. Gerade hat ein schwarzhaariges Mädchen einen Basketball im Korb versenkt. Ihre Teamkameraden - Mädchen und Jungen - jubeln. In einem muslimisch geprägten Land ist gemeinsamer Sportunterricht gewagt, sagt Happel, und wird an anderen Schulen auch nicht gemacht. Gemeinschaft, Gleichstellung, Ausbildung - das ist am Loyola wichtig. Konfessionszugehörigkeit spielt dagegen weder bei den Schülern noch bei den Lehrern eine Rolle.
"In dem Zusammenhang sei darauf hinwiesen, dass die Serben im Kosovo eine Minderheit sind. Es gibt auch die Goraner, es gibt die Bosniaken, es gibt die Türken, es gibt die Zigeuner … alles des sind Minderheiten und wir haben bei uns an der Schule Bosniaken, Türken, Albaner, Zigeuner – das die Serben fehlen, tja, ich kann sie nicht selber backen. Wir haben zwar am Anfang vorgehabt, bei drei Zügen einen Zug Slawisch zu haben, aber Serben haben sich überhaupt keine beworben."
Es gibt am Loyola, wie auch sonst im Kosovo, keinen Religionsunterricht. Und auch keine christliche Missionierung, sagt der Jesuitenpater.
"Ich bin natürlich auf einer Mission, denn mit unserer Pädagogik vermitteln wir Werte. Und wenn wir Latein unterrichten, dann vermitteln wir Werte, und wenn wir die Hälfte aller Plätze für Mädchen reservieren, dann vermitteln wir Werte."
Solche Wertevermittlung braucht lebendige Beispiele - Vorbilder wie Vlora Grajçevci. Die 25-jährige Lehrerin unterrichtet Latein und Deutsch:
"Früher haben immer nur die Jungs studiert. Die Mädchen mussten zu Hause bleiben, sie durften nicht in die Schule gehen und nach dem Krieg hat sich das ein bisschen geändert, aber die meisten brechen immer das Studium ab, die meisten Mädchen und heiraten dann."
Vlora Grajçevci hat Germanistik studiert, verdient ihr eigenes Geld, ist damit unabhängig. Die unverheiratete Muslima lebt nicht bei ihrer Familie, sondern mit Freundinnen in einer WG und zeigt so, dass es auch andere Lebenswege für Frauen geben kann.
"Unsere Schülerinnen zum Beispiel sagen, sie wollen studieren und dann fragen sie auch immer: Was denken Sie? Und das sind Fragen, die mir dann auch bestätigen, dass sie wirklich aus ihrem Leben etwas machen wollen."
Möglich ist dies allerdings nur mit einer guten Ausbildung. Doch das Schulsystem im Kosovo ist sehr schlecht: Die Schüler werden im Dreischichtsystem unterrichtet. Deshalb baut die Regierung neue Schulen, renoviert alte oder baut sie aus. Bis Ende 2011 soll so an allen Schulen nur noch in zwei Schichten unterrichtet werden. Das bedeutet, dass am Vormittag ein Teil der Jungen und Mädchen zur Schule geht und lernt, während der andere Teil frei hat. Am Nachmittag ist es umgekehrt. Um Schüler am Loyola-Gymnasium zu werden, muss man einen schriftlichen Test in Albanisch, Englisch und Mathematik absolvieren. Jedes Jahr bewerben sich doppelt so viele Schüler wie aufgenommen werden können. Die jüngste Tochter von Fadil Sahiti hat diese Aufnahmeprüfung bestanden. Seine drei älteren Kinder waren auf staatlichen Schulen:
"Der größte Unterschied ist für mich, dass die Kinder so unterrichtet werden, dass sie in der Lage sind, Fragen zu stellen. Fragen bedeutet, dass die Schüler analysieren. Sie ist couragiert, weiß zu analysieren und etwas auszuwerten – das sind alles Sachen, die nicht üblich sind im Kosovo."
Allerdings ist auch das Schulgeld von 80 Euro im Monat nicht üblich im Kosovo. Viele Schüler kommen aus Familien, die nicht einmal diese 80 Euro bezahlen können. Der Durchschnittsverdienst im Kosovo liegt bei circa 200 Euro. Damit am Loyola nicht nur Kinder aus gutbetuchten Haushalten das Privileg einer Elitebildung genießen, vergibt die Schule für circa ein Fünftel der Schüler jeden Jahrgangs Stipendien.
Mittagspause. Auf dem gepflegten Pausenhof drehen die Schüler ihre Runden, essen ihre Brote und erzählen selbstbewusst über ihre Schule:
"'Ich denke, unsere Schule ist sehr gut und es gibt nichts, was man besser machen könnte.' - 'Aber der Stress, den wir in der Prüfungszeit haben, ist manchmal zu viel. Es wäre besser, wir hätten nicht so viele Prüfungen in einer Woche.""
Die Abiturienten legen zuerst das kosovarische Zentralabitur ab, bei dem sechs bis acht Fächer im Multiple-Choice-Verfahren geprüft werden, dann folgen hausinterne Zusatzprüfungen in Deutsch als Fremdsprache, Mathematik und Geschichte. Nur so können sich die Schüler an deutschsprachigen Hochschulen bewerben. Anéta und Adrian haben schon konkrete Ziele.
Anéta: "Ich gehe jetzt zwei Wochen zu einem Praktikum nach München und mal sehen? Vielleicht die Ausbildung? Vielleicht auch irgendwelche Uni?"
Adrian: "Ich möchte Diplomatie studieren und ich bewerbe mich gerade für eine amerikanische Universität in Bulgarien und hoffe, dass ich da akzeptiert werde."