Mit dem Geisterzug zum Geisterflughafen

Von Claudia van Laak |
Beim Hauptstadtflughafen BER geht nichts voran. Und dabei haben diejenigen, die pünktlich fertig waren, das Nachsehen. Dazu gehört in allererster Linie die Bahn. Sie muss täglich Geisterzüge durch den unterirdischen Flughafenbahnhof fahren lassen, um ihn zu belüften.
Die S-Bahn fährt ein in den Bahnhof Berlin-Südkreuz. Sofort postieren sich Männer und Frauen in neongelben Warnwesten vor den Türen. Einlass erhält nur, wer einen extra angefertigten roten Besucherpass vorweisen kann.

60 Journalisten wollen mit der S-Bahn dorthin fahren, wo ein normaler Fahrgast nicht hin darf - durch den drei Kilometer langen Bahntunnel unter dem Flughafen BER zum verwaisten Airport-Bahnhof. Das geht nicht ohne Sicherheitsbelehrung von Projektleiter Peter Schulze:

"Die Befahrung des Flughafentunnels ist leider mit Reisenden nicht zulässig, deshalb befindet sich hier im Zug eine Anzahl in die Örtlichkeit eingewiesener Eisenbahner, die in einem eventuellen Gefahrenfalle die gruppenweise Führung übernehmen würden, dass wir alle in einen sicheren Bereich führen können."

Zwischenhalt in Wassmannsdorf. Letzte Absprache über Funk zwischen der Leitstelle und Lokführer Klaus Rühmann – dunkle Pilotenbrille, hellblaues, scharf gebügeltes Hemd.

"Hier ist der Bahnhof Wassmannsdorf, der Leerzug. Die Verständigung ist sehr gut. Vielen Dank. Gut, Ende."

Blickt Klaus Rühmann aus dem Führerstand seiner S-Bahn, sieht er eine niegel-nagelneue Strecke. Der Schotter frisch, die Gleise blinken in der Sonne. Superstrecke, sagt der 56Jährige, und super Tunnel unter dem Flughafen. Er breitet beide Arme aus:

"Weil der einfach absolut einladend ist. Der ist offen, der ist groß, der ist hell."
Klaus Rühmann posiert für die Fotografen, lächelt, scherzt. Er hat gute Laune. Endlich muss er nicht – wie sonst immer - mit einer leeren S-Bahn in den Flughafentunnel einfahren.

"Ich wünschte auch lieber, dass Fahrgäste mitfahren. Weil, letztendlich, sind es ja, ich will nicht sagen, unnütze Fahrten. Wir fahren ja leer. Unser Auftrag ist eigentlich, Leute von A nach B zu befördern."

Leere Fahrten, um den unterirdischen Flughafentunnel zu belüften, damit sich kein Schimmel bildet. Solange kein Flugzeug abhebt vom Airport BER, ist es auch am unterirdischen Bahnhof still. Das Bauwerk leidet.

"Also hier wird täglich in den Flughafen hineingefahren. In den Vormittagsstunden zwischen 10 und 14 Uhr, alle 20 Minuten. Bis Schönefeld, dann Leermachen des Zuges, dann fährt der Zug leer in den Flughafen rein, wendet, fährt bis Schönefeld und wird dort wieder besetzt."

Lokführer Rühmann scheucht die Journalisten aus dem Führerstand seiner S-Bahn. Nur noch vier Minuten Fahrtzeit bis zum Hauptstadt-Airport.

"Damit sind wir jetzt angekommen auf dem Flughafen BER."(Durchsage)

Draußen Frühlingssonne, drinnen um die Null Grad - im Tag und Nacht hell erleuchteten Geisterbahnhof. Der Fahrkartenautomat sorgfältig eingepackt in Noppenfolie. Leere Glasvitrinen mit der Aufschrift "Information". Die Lautsprecher mit dickem Filz umwickelt. Auf der digitalen Anzeigetafel steht: "Bitte Ansage beachten". Peter Schulze weiß auf die Minute genau, seit wann dieser Bahnhof betriebsbereit ist.

"Am 30.11. 2011, um 17. 00 Uhr."

Der 54Jährige zupft an seiner orangefarbenen Warnweste, schwenkt den weißen Stoffbeutel. Schulze hat den 636 Millionen Euro teuren Bau des unterirdischen Flughafenbaus geleitet.

"Das war der Vertragstermin. Der 30.11.2011 war der Termin, der im Vertrag stand zwischen der Bahn, dem Bund, Berlin, Brandenburg und der Flughafengesellschaft."

Peter Schulze strafft den Rücken. Er ist stolz darauf, dass er und seine Leute den Termin gehalten haben. Und gleichzeitig sauer auf den Flughafen, der die Fertigstellung gleich mehrmals verschoben hat – und immer noch keinen neuen Starttermin nennen kann.

"Det ganze Projektteam fühlt sich natürlich, ick sach mal, zweimal betrogen. Ick sach mal, die Stimmungslage bei der Bahn ist zu diesem Thema nicht besonders gut, es war wirklich kein einfaches Bauvorhaben."

Mikrofone strecken sich Peter Schulze entgegen, Kamerateams wuseln über den leeren Bahnsteig. Beliebtes Fotomotiv: Der Feuermelder mit der Aufschrift: "Out of order". Bahnmitarbeiter in neongelben Warnwesten sichern die Bahnsteige.

Ingulf Leuschel: "Der Bahnhof ist fertig, es sind keine Mängel da. Deswegen sind wir mit Ihnen hingefahren, schauen Sie sich um."

Ingulf Leuschel nennt sich: DB Konzernbevollmächtigter für Berlin. Auf Deutsch: Er ist der Bahn-Zuständige für die Hauptstadt. Dass am BER immer noch kein Flugzeug abhebt, kostet die Bahn jeden Monat zwei Millionen Euro. Wir fahren ja nicht nur mit Geisterzügen durch den Tunnel, sagt Leuschel. Wir müssen die Strecke auch bewachen.


"Die technischen Anlagen müssen ständig in Gang sein. Wir müssen die Weichen bewegen. Also wir müssen so tun, als ob wir richtigen Betrieb haben. Und richtiger Betrieb kostet Geld."

Der Regionalzug für die Rückfahrt fährt ein. Die digitale Anzeigetafel am verwaisten Bahnhof demonstriert, was sie kann: "RE 18990 Pressesonderzug, Berliner Hauptbahnhof, Abfahrt 12.15 Uhr" – steht da. Bevor Ingulf Leuschel einsteigt, zeigt er noch mit dem rechten Zeigefinger nach oben, legt den Kopf in den Nacken. Direkt hier drüber ist das Terminal, sagt er. "Das sind nur 50 Meter vom Zug bis zum Check-In-Schalter, wo gibt´s das schon." Irgendwann mal.

"Ach wissen Sie, die Eisenbahn ist jetzt 177 Jahre alt in Deutschland, wir haben sehr viel Geduld. Wenn die Bahn keine Geduld hätte, wär´s sehr traurig."

"Nächster Halt Berlin-Friedrichstraße, Umsteigemöglichkeit zur S-Bahn und zur U-Bahn."

"Ausstieg in Fahrtrichtung rechts. Tschüs. Tschüs." (Durchsagen)