Mit dem Humboldt-Forum leben

Von Reinhard Knodt |
Die Debatte ums Berliner Stadtschloss findet kein Ende, weil manche der Kommentatoren immer noch nicht akzeptieren, dass laut Parlamentsauftrag eine Lösung zwischen den Extremen zu finden war. Einerseits die Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses als Symbol der alten Preußenherrlichkeit und andererseits die Verwandlung dieses Symbols in ein Forum der Weltkulturen namens Humboldt-Forum, damit das Schloss gewissermaßen auch für Deutschlands neue Identität stehen kann.
Hier jetzt wieder Einseitigkeiten zu produzieren, von "Schlossattrappe" zu reden oder zu bemängeln, dass demnächst Südseekanus in einem ehemals politischen Gebäude zu sehen sein werden, ist nicht nur verspätet.

Zum anderen geht die Diskussion weiter, weil manche Blätter - und dazu gehört leider der "Spiegel" - geradezu peinlich erkennen lassen, dass sie, demokratisch gesprochen, gar nicht gutwillig sein wollen! Man hätte bewusst einen Skandal produzieren sollen, steht da, statt einem italienischen Nobody im Pensionsalter diesen Auftrag zu geben und damit die Möglichkeit zu verspielen, namhafte Architekten zu beauftragen. Tja, könnte man da sagen, das ist eben so in der Demokratie und eine gut aussehende Newcomerin hätte es nun sicher leichter. Andere Gründe führt die "Zeit" an: Der italienische Preisträger Franco Stella sei der Kompromisskandidat, der geholfen habe, die noch abstruseren Pläne Hans Kollhoffs zu verhindern. Man sehe an diesem Ergebnis, wohin es führe, wenn eine ängstliche politische Diskussion zu Vorgaben führe. Eine zugegeben geschickte Vernichtung des ersten und zweiten Preisträgers, die im Übrigen aber überzeugender wirken würde, ließe der Autor Hanno Rauterberg nicht zugleich durchblicken, dass er selber einen anderen persönlichen Favoriten hat. Den Preisträger dann assoziativ in die Nähe zum Faschismus zu rücken, indem man betont, dass keiner heute Franco Stella faschistisch nennen würde, obwohl seine Architektur natürlich trotzdem "totalitär" sei, ist zumindest eigentümlich.

Solche Argumente sind politisch jedenfalls frivol und die ganze Aufregung hätte allenfalls Berechtigung, wenn der Entwurf Stellas wirklich skandalös wäre. Aber das ist er nun wahrhaftig nicht. Denn: Vergleicht man die Entwürfe, die Preise erhielten, mit den ausgeschiedenen, dann stellt sich schnell heraus, dass ein weitgehender Konsens bestand. Offenbar schieden all jene Entwürfe aus, die versuchten, am Rekonstruktions-Auftrag vorbeizugehen oder aber durch schicke Applikationen zu glänzen - Entwürfe, die das Schloss nicht dort stehen lassen wollten, wo es ursprünglich stand, Entwürfe, die die Höfe abdeckten und ganze Opernhäuser einplanten, Entwürfe, die Zusatzbauten vorsahen oder die Kuppel zum Würfel umformten und Derartiges mehr. Und wenn man die restlichen - sagen wir ruhig - die am wenigsten exaltierten Entwürfe betrachtet, war die Frage eigentlich nur, ob es Kollhoff, Kleihues oder eben der jetzige Preisträger sein würde.

Mit all diesen Entwürfen würde man - immer der Parlamentsauftrag vorausgesetzt - also wirklich leben können. Auch dass einmal ein anderer in Berlin baut, als die üblichen zehn Verdächtigen, ist kein Unglück. Es grenzt wirklich an Provinzialität, so auf der Tatsache herumzuhacken, dass Franco Stella in Berlin unbekannter ist als sagen wir mal Calatrava. Er wird dank Berlin bekannt werden, kann man da nur sagen, und in Rekonstruktionsfragen ist es - wie sich im Neuen Museum zeigt - sowieso sehr zweifelhaft, ob Stararchitekten die Richtigen für derartige Aufträge sind.

Sehr interessant sind auch die "späten Einsichten", etwa dass angesichts des vorliegenden Ergebnisses eine Totalrekonstruktion besser gewesen wäre. Nun kann man da zwar mit Abstrichen beipflichten, aber angesichts des deutschen Politiktraumas dürfte das doch wohl eine eher utopische Lösung sein. Weiterhin ist ja wohl auch nicht verboten, dass der Entwurf Franco Stellas per Auftrag durch Ideen der anderen Preisträger verbessert wird. Vielleicht gewinnt dadurch der Ostabschluss mehr Auflockerung und auch der in der "Zeit" etwas unfair ins Zentrum gerückte Zwischengang ein wenig Wärme.

Es wäre jetzt also wirklich schädlich, die Diskussion journalistisch neu anzuheizen, und es wäre noch schädlicher, dies mit unlauteren Argumenten und in Wiederholung altbekannter Vorurteile zu tun. Es sei denn, man will, dass am Ende gar nichts passiert und grüner Rasen sprießt, wo einst das Stadtschloss stand, was übrigens nicht die schlechteste aller Möglichkeiten wäre, ja am Ende sogar eine recht gute; denn die wenig wahrscheinliche Alternative lautet doch: Die Regierung geht zu einem weltberühmten Architekten, bestellt ein Schloss fürs Volk und zahlt dafür.

Reinhard Knodt, geboren 1951 in Dinkelsbühl, Musikausbildung, Studium der Philosophie (Gadamer, Kaulbach, Riedel) in Heidelberg, Erlangen und Trinity College Dublin; viele Universitätsengagements in Europa und den USA (Collège International Paris, New School New York, Penn-State-University, KH Kassel, HDK Berlin u.a.). Herausgeber der Nürnberger Blätter, Rundfunkautor, freischaffend seit 1992. Begründung der Nürnberger Autorengespräche zusammen mit Peter Horst Neumann. Reinhard Knodt, der mehrere Preise erhielt, verfaßte Essays, Kritiken (Architektur, bildende Kunst) und Vorträge sowie über 50 Hörspiele, Hörbilder und Stundensendungen und Aufsätze, Kurzgeschichten, Essays und Kritiken. Reinhard Knodt lehrt seit 2005 an der UDK Berlin Kunstphilosophie. 2007 erhielt er von der bayerischen Akademie der Künste den Friedrich Baur Preis für Literatur zugesprochen.