Mit dem Suizid begann ihr Ruhm

Johann Kresnik im Gespräch mit Dieter Kassel |
Er habe versucht zu verstehen, warum sich die amerikanische Schriftstellerin vor 50 Jahren umbrachte, sagt der Theatermann Johann Kresnik, der ein Stück über sie auf die Bühne brachte. Plath konnte einfach nicht mehr, meint er. Als Kind wurde sie von der Mutter gedrillt, ihr Mann war ein Schürzenjäger, sie schmiss den Haushalt mit zwei Kindern allein und fand nur nachts Zeit zum Schreiben.
Dieter Kassel: Sie wurde nur 30 Jahre alt und ihr Ruhm begann erst nach ihrem Tod. Dafür hält er bis heute an, und bis heute ist das Werk von Sylvia Plath nicht von ihrem Leben zu trennen. Gabriela Jaskula erinnert deshalb an beides.

Einspielung Gabriela Jaskula: Ein Leben, das mit einem Selbstmord beginnt. Wenn man es erzählt jedenfalls. Als Sylvia Plath sich 1963 das Leben nahm, war sie 30. Hatte Gedichtbände veröffentlicht, einen einzigen Roman. So böse es ist: Mit dem Suizid begann ihr Ruhm. Oder anders formuliert: Ihr Schreiben ist von der Selbstzerstörung nicht zu trennen.

"Sterben ist eine Kunst", das wusste sie und beschrieb es im Gedicht. Das Gefühl, unzulänglich zu sein, fremd in der Gesellschaft der 1950er Jahre, beherrscht ihren einzigen Roman, "Die Glasglocke". Auch ihre Angst vor einer konventionellen Ehe, vor dem Leben in der nordamerikanischen Provinz. Aber England, wohin sie geradezu floh, rettete sie nicht, ihr Ehemann, der Dichter Ted Hughes, erst recht nicht. Vielleicht war sie nicht zu retten – wie die Österreicherin Ingeborg Bachmann nicht, die einen bis heute ungeklärten Tod starb.

Wie die Amerikanerin Anne Sexton nicht, die Plath persönlich kannte, offen bewunderte und 1974 ebenfalls den Freitod wählte. - Zwei Dichterinnen, die sich ausdrücklich auf Plath beziehen. Hier wie dort die gleiche Todessehnsucht, die gleiche, unbarmherzige Selbstkritik, die gleiche poetische Genauigkeit. Und auch bei der jüngeren Generation finden sich Anklänge: Die stacheligen Gedichte von Anne Duden, die Prosa von Marlen Haushofer, von Alissa Walser. Es gibt kaum eine Autorin des 20. Jahrhunderts, die so viele andere Künstler inspirierte und berührte wie Sylvia Plath.

Freilich: Leben und Werk sind hier nicht zu trennen, und so geht es immer auch um die "Schönheit des Scheiterns". Deshalb wird Plath von feministischen Autorinnen eher rational diskutiert, dafür umso heftiger: Elisabeth Bronfen steht dafür. Die Identifikation aber überwiegt. Bei weitem.

Freilich: Leben und Werk sind hier nicht zu trennen, und so geht es immer auch um die "Schönheit des Scheiterns". Deshalb wird Plath von feministischen Autorinnen eher rational diskutiert, dafür umso heftiger: Elisabeth Bronfen steht dafür. Die Identifikation aber überwiegt. Bei weitem.


Kassel: Gabriela Jaskula über die Schriftstellerin Sylvia Plath, die ihrem Leben vor genau 50 Jahren ein Ende setzte. Johann Kresnik hat 1985, damals am Theater Heidelberg, mit einem choreografischen Stück über Sylvia Plath großes Aufsehen erregt, und er hat im vergangenen Jahr, Anlass war da der 80. Geburtstag der Plath, dieses Stück in Darmstadt noch einmal auf die Bühne gebracht. Man kann also eine gewisse Beschäftigung mit dieser Dame erwarten, und deshalb wollen wir jetzt mit ihm reden. Guten Tag, Herr Kresnik!

Johann Kresnik: Guten Tag!

Kassel: Wir haben das gerade gehört, am Schluss, die Identifikation überwiegt. Würden Sie das selber so formulieren? Können Sie sich mit Sylvia Plath identifizieren.

Kresnik: Ich habe es versucht. Mich haben einfach diese Themen, das Leben von Sylvia Plath damals interessiert. Ich habe mit Georg Tabori darüber geredet, und habe dann die "Glasglocke" gelesen. Man kannte ja Sylvia Plath kaum in Deutschland. Und diese Biografie hat mich enorm interessiert, und ich dachte, wie kann ich das mit choreografischem Theater auf die Bühne bringen. Und ohne viel mit Text und so Sachen zu arbeiten, sondern einfach das Leben von ihr zu zeigen.

Kassel: Aber das ist ja schon das Interessante – jetzt haben Sie zum einen ihren einzigen Roman erwähnt, grundsätzlich vom Genre her natürlich Fiktion, und doch reden Sie über ihre Biografie. Sie haben gesagt, Sie wollten ihr Leben auf die Bühne bringen. Das heißt, auch Sie finden, Leben und Werk kann man nicht trennen in diesem Fall?

Kresnik: Nein, das hängt sehr nahe zusammen. Also alles zusammen. Sie war ja damals in Amerika schon ziemlich bekannt, aber hier kannte sie keiner. Und für mich war – ich habe ja viele Biografien von Frauen gemacht, und das war eigentlich mein Anfang, über Biografien zu arbeiten. Auf dem Theater, choreografisches Theater, das gab es ja eigentlich so im Ballett oder im Tanz überhaupt nicht.

Kassel: Ich habe erwähnt, Sie haben damals, 1985, Aufsehen erregt, das heißt, es gab sehr viel positive Resonanz. Es gab aber, wenn ich mich richtig erinnere, schon auch Kritik gerade von Frauen, von Feministinnen.

Kresnik: Na ja, zuerst hieß es, gab es Widerstand in Heidelberg, sogenannte Feministinnen, die über mich geschimpft haben. Die haben gesagt, wie kann denn so ein Macho wie Kresnik – so was zu machen ist eigentlich im Prinzip eine Sauerei. Gut, und dann wurde es ein Riesenerfolg, ein großer Erfolg, dann wurde ich sie nicht mehr los. Egal, in was für eine Kneipe ich kam, dann saßen immer vier, fünf Mädchen um mich herum und hämmerten auf mich ein, und wir hatten wirklich, es gab weltweit Gastspiele auch mit Sylvia Plath.

Und das Komische war, in Kanada haben die Frauen, die etwas älteren Frauen gesagt: Auf der Bühne darf man keinen Selbstmord zeigen, das wäre unästhetisch, das geht nicht. Also, es hat sehr viele Diskussionen ausgelöst. Auch, wie wir in London gastiert haben drei Wochen, war die Freundin von Sylvia Plath da und die Schwester von Ted Hughes. Und nach der Vorstellung haben sie sich fast die Haare ausgerissen, weil jeder eine andere Behauptung aufstellte. Die Freundin sagte, Ted Hughes wäre schuld an ihrem Selbstmord gewesen, und die Schwester von Ted Hughes sagte, nein, das war Sylvia Plath selbst, die hätte sich sowieso umgebracht. Also, das Stück hat sehr viele Diskussionen unter den Frauen ausgelöst.

Kassel: Haben Sie eigentlich den Gedanken, ich weiß gar nicht, wie Sie persönlich auch diesen Begriff überhaupt definieren. Haben Sie den Gedanken, die Wahrheit über Sylvia Plath auf die Bühne gebracht zu haben? Denn vieles, was nach ihrem Leben passiert ist, gerade um das Erscheinen ihres Romans herum, hat ja fast auch was von einem Krimi, und irgendwann fragt man sich bei diesen vielen Meinungen, was ist eigentlich die Wahrheit?

Kresnik: Ich habe versucht, also ihr Leben zu begreifen. Der Druck der Mutter, in Amerika unbedingt unheimlich gut in ihren Abschlüssen in der Schule zu sein, dann die Bekanntschaft mit Ted Hughes, und jeder wusste doch, dass Ted Hughes nun kein einfacher Mann war, sondern der jagte jeder Schürze nach. Genau, wie er ihre Freundin hatte auch und so, die sich ja auch umgebracht hatte dann. Und habe versucht, zu verstehen mit zwei Kindern, nur noch nachts zu schreiben, tagsüber den Haushalt zu machen und Ted Hughes zu bedienen. Habe versucht zu verstehen, wieso sie so weit gekommen ist. Natürlich, sie war eine sehr sensible Erscheinung auch, und das alles zusammen hat geführt, dass sie nicht weiter konnte. Sie konnte einfach nicht mehr weiter.

Kassel: Gab es eigentlich – Sie haben ja selber vorhin beschrieben, Sie sind auch unter anderem durch dieses Stück über die Plath überhaupt dazu gekommen, sich intensiv mit den Frauenbiografien zu beschäftigen, und da kam ja später noch viel mehr. Da kam, ich will hier gar nicht vollständig werden, aber da kam unter anderem Frida Kahlo, da kam aber auch Ulrike Meinhof und dann kam unter anderem auch Hannelore Kohl. Ich habe eine Idee, deshalb frage ich Sie Folgendes. Ich persönlich habe eine Antwort, vielleicht haben Sie ja keine. Sehen Sie irgendeine Parallele zwischen der Biografie von Hannelore Kohl und der von Sylvia Plath?

Kresnik: Na ja, Hannelore Kohl ist natürlich auch so eine Erscheinung gewesen, die eigentlich von einem unglaublich mächtigen Mann, Helmut Kohl, einfach unter den vier Wänden stehen gelassen wurde. Sie war einfach nicht mehr für Kohl da. Und sie hat das Ganze nicht ertragen, auch ihre Kinder hatten, mit denen hatte sie Probleme. Wenn ihr Sohn in der Türkei geheiratet hat, wurde sie nicht einmal eingeladen. Sie hat sich verschanzt eigentlich. Es gibt schon viele Parallelen. Das Ende war eigentlich, sie konnte auch nicht mehr weiter, sie wollte auch nicht mehr weiter. Das hat Ähnlichkeiten mit Sylvia Plath.

Kassel: Man könnte fast sagen, wenn man das unsachlich und einfach ausdrücken will, Kresnik ist ein Frauenversteher, denn Sie haben ja tatsächlich so oft die Biografien von Frauen choreografisch auf die Bühne gebracht.

Kresnik: Ich habe sieben Stücke gemacht über Frauen!

Kassel: Warum eigentlich?

Kresnik: Die alle hatten irgendwie, irgendwie, alles hing zusammen, natürlich der Weg von Ulrike Meinhof und Sylvia Plath kann man nicht verfolgen, das ist anders. Aber Ulrike Meinhof war für mich ein westdeutsches Zeugnis der Politik damals. Und jeder hat sich aufgeregt, wenn ich das mache. Ich weiß nicht, warum Choreografinnen wie Reinhild Hoffmann, Susanne Linke oder die Verstorbene aus Wuppertal nie Biografien gemacht haben …

Kassel: Pina Bausch meinten Sie.

Kresnik: Ich habe mal Pina Bausch gefragt, wieso machst du eigentlich nie etwas über Frauen, eine Geschichte? Hat sie zu mir ins Gesicht gesagt, sagt sie, ich kann das nicht. Das ist sehr merkwürdig, dass ein Mann wie ich, der ja nun – ich bin ich ja ein richtiger Typ, so, ne, ich kann ja alles und so, aber dass ich da diese Sensibilität gefunden habe in den Biografien der Frauen wie auch in den Biografien von fünf, sechs Malern, die ich gemacht habe. Keiner traut sich, ein Stück über Vogeler, Nussbaum, Goya, Picasso und so Sachen zu machen. Ich habe mich versucht, wirklich in die Figuren hineinzudenken, alles zu studieren, was es über diese Figuren gibt, und da schienen mir die Biografien der Frauen fast gequälter.

Kassel: Warum faszinierte Sie gerade dieses Gequälte so sehr?

Kresnik: Das sind alles eigentlich große Persönlichkeiten gewesen, ob das Rosa Luxemburg oder Ulrike Meinhof oder La Malinche oder Plath waren – weil, über Männerschicksale redet man so viel. Und mich haben die Gefühle dieser Frauen sehr interessiert, warum denken sie so, warum haben sie das gemacht und warum sind sie bis zum Ende gegangen. Die sind für mich gravierender gewesen als wie so mancher Mann.

Kassel: Das heißt, man hat dann auch so den Eindruck bei allen, Sie haben ja schon gesagt, Meinhof, Plath zum Beispiel, bei allen Unterschieden, dass Frauen im 20. Jahrhundert, wenn sie denn etwas so Besonderes gemacht haben, es sind ja verschiedene Dinge, es tatsächlich schwieriger hatten als Männer.

Mit dem Suizid begann ihrer RuhmKresnik: Ja, auf jeden Fall. Das sieht man heute noch, obwohl die Emanzipation der Frau weit fortgeschritten ist, aber noch immer nicht gleichgestellt, dem Mann gleichgestellt ist. Sie haben es noch schwieriger, aber sie haben sich schon ziemlich viel durchgesetzt, das muss ich ehrlich sagen.

Kassel: Wir reden heute Vormittag hier im Deutschlandradio Kultur mit dem Choreografen und Regisseur Johann Kresnik über die Schriftstellerin Sylvia Plath. Eigentlich tun wir das, Herr Kresnik. Jetzt sind wir ein bisschen davon abgekommen. Lassen Sie uns zu ihr zurückkehren. Sie haben ja selber nun schon mehrmals ihren einzigen Roman erwähnt, aber wie steht es denn mit ihrem anderen Werk, mit ihrer Lyrik, mit ihren Tagebüchern? Haben Sie dazu auch einen Zugang?

Kresnik: Ja, natürlich. Sie ist eine ganz große Lyrikerin. Und wie ich die Sylvia Plath studiert habe, musste meine ganze Gruppe auch diese – alles lesen über Sylvia Plath, was es gibt, damit man überhaupt wusste, um was es geht. Und die Leute, die mit mir gearbeitet haben, haben sehr schnell begriffen und verstanden, vor allem die Mädchen, was in dieser Frau eigentlich vorgeht. Und vor allem ihre Lyrik ist großartig.

Kassel: Der Regisseur und Choreograf Johann Kresnik über Sylvia Plath und andere Frauen. Die amerikanische Autorin schied, wir haben es erwähnt, vor genau 50 Jahren, wie man so euphemistisch sagt, freiwillig aus dem Leben. Und wir stellen heute Nachmittag, kurz nach 14 Uhr 30 den jetzt schon so oft erwähnten Roman "Die Glasglocke" noch einmal vor. Herr Kresnik, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!

Kresnik: Bitte sehr! Danke!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.