Lukas Rietzschels Roman wird Theater-Hit
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Vor einem Jahr war "Mit der Faust in die Welt schlagen" das Buch der Stunde. Zurzeit erobert Lukas Rietzschels Debütroman über einen jungen Neonazi die Bühne. Nach der Uraufführung in Dresden hatte nun eine weitere Fassung in Düsseldorf Premiere.
Um es gleich vorab zu sagen, Lukas Rietzschels Roman und das gleichnamige Stück liefern keine Erklärungen oder gar Rechtfertigungen für den Rechtsruck im Osten, sie zeigen unkommentiert einen Ausschnitt aus der ostdeutschen Gesellschaft. Allerdings einen, von dem wir wenig wissen. "Mit der Faust in die Welt schlagen" stellt uns Leute vor, die wir nicht kennen, die wir auch gar nicht kennen lernen wollen: Jugendliche, darunter Nazis aus der sächsischen Provinz.
Enttäuschungen detailliert erzählt
Die Dresdner Inszenierung von Liesbeth Coltof erzählt detailliert von den Enttäuschungen der neuen Zeit, davon, wie die Eltern sich ein Haus bauen, wie ankommen wollen in einer hübschen kleinen Bausparkassenwelt. Allein, es gelingt ihnen nicht. Wie fast alle älteren Figuren scheitern sie an der neuen Zeit, trennen sich, verlieren das Haus. Andere werden arbeitslos, gehen in den Westen, noch andere bringen sich um.
Vor einer Leinwand-DDR-Industriekulisse erlebt man mit, wie fast alle überfordert sind von den Veränderungen. Für die Kinder bedeutet das, dass sie keine Vorbilder haben, niemanden, der ihnen eine Orientierung bietet. Am ehesten tun dies junge Großmäuler wie Menzel, der Dorfnazi.
Der – beziehungsweise die, denn in Dresden wird Menzel von Ursula Hobmair gespielt - scheint Antworten zu haben: "Du hast es immer noch nicht verstanden, oder? Entweder du gehörst dazu oder du lässt es. Ganz oder gar nicht!"
Schnaps trinken und die neuen Feinde bekämpfen
Mit Menzel kann man was erleben: Schnaps trinken, Blödsinn machen, im Wald herumschießen, Sorben verprügeln und schließlich die neuen Feinde, die Flüchtlinge, bekämpfen. Die Szenen, in denen Tobias mit erschreckender Folgerichtigkeit zu einem rechten Gewalttäter wird, sind schwer auszuhalten. Das ist streckenweise extrem spannend, fassungslos schaut man zu und hofft, es käme ein weiser Nathan aus der Gasse und führte die Jungen zurück auf den rechten Weg.
Aber Nathan kam nicht bis Neschwitz, und so zieht Tobias, eben noch ein niedlicher Schulanfänger mit Zuckertüte, seine radikalen Trugschlüsse: "Vater war mit uns in die Tagebaue gefahren, Hoyerswerda, Weißwasser, alte Fabriken, dieses ganze untergegangene, verlassene Zeug. Traurige eingefallene Scheiße. Abriss, Leerstand, kein Mensch auf der Straße, die Schulen, die sie schlossen, die Arztpraxen, die Sparkassen, die Kreise, die Gemeinden, die Städte, für Scheiß-Griechenland war Geld dagewesen. Für irgendwelche unnötigen Umgehungsstraßen. Ich frage mich echt, was zuerst da war, diese Straßen, die die Orte umgingen und damit leerfegten oder die leeren Orte, an denen einfach jeder vorbeifahren wollte?"
Begegnung mit einem, der ein Nazi wird
Am Jungen Schauspiel Düsseldorf fehlen Szenen wie diese. Die Fassung von Regisseur Martin Grünheit und Dramaturg David Benjamin Bückel reduziert Rietzschels Text auf die Gruppendynamik der jungen Männer und verzichtet weitgehend auf das Dorf Neschwitz, auf das große geschichtliche Tableau des Umbruchs, auf verschwindende Industrie und die DDR-Biografien der Beteiligten.
Das ist ein bisschen schade, denn diese Ebene ist das Fundament des Romans. So bleibt die Begegnung mit dem Osten letztlich doch wieder nur eine Begegnung mit einem, der ein Nazi wird, mit einer Toncollage aus AfD-Zitaten und Videos der Brandanschläge von Hoyerswerda. Und auch die Rietzschels Buch und der Dresdner Inszenierung eigene Melancholie eines siechen Dorfes im Osten entgeht dem Düsseldorfer Publikum.
"Dieses ganze System ist am Arsch. Diese ganze Gesellschaft, in der dir jeder vorschreiben will, wie du dich zu verhalten, was du essen, wie viel du trinken, wie schnell du fahren darfst. Du bist ein Rassist, du bist ein Sexist. Die sollen alle Mal die Fresse halten. Und dann kriege ich einfach nur Lust draufzuschlagen, mit der Faust. Einfach rein, bis alles blutet."
Komisch, albern und trotzdem schockierend
Aber der Schock darüber, dass Tobias am Ende eine Flüchtlingsunterkunft anzündet, ist genauso heftig wie in Dresden. Seine Wirkung erzielt er hier aber vor allem daraus, dass die Inszenierung bis dahin enorm komisch ist und man die beiden Brüder irgendwie ins Herz geschlossen hat. Die beiden Darsteller, Ali Aykar und Paul Jumin Hoffmann, sind regelrecht spielwütig! Sie albern herum, setzen ihre Körper ein, nutzen eine Videokamera, machen Musik.
Der Abend kommt teilweise so humorvoll und unbefangen daher, wie man es vielleicht von "Tschick" kennt. Genau das könnte ein Weg sein, die jungen Düsseldorfer an das Thema "Osten" heranzuführen. Das scheint auch nötig, denn Neschwitz liegt nicht irgendwo im Ausland, sondern mitten in Deutschland.