Mit der Verhütungspille gegen Pickel
Viele gynäkologische Arztpraxen verteilen von der Pharmaindustrie finanzierte Broschüren. Darin wird suggeriert, die Anti-Baby-Pille helfe Teenagern gegen schlechte Haut. Solchen PR-Praktiken müssen dringend Grenzen gesetzt werden, meinen die Medizinjournalisten Marita Vollborn und Vlad Georgescu.
Einige Arzneimittelhersteller bewerben orale Verhütungsmittel als wirksame Medikamente gegen schlechte Haut. So lesen pubertierende Mädchen in Internetforen und Illustrierten für Teenager, dass ihnen die Pille einen vermeintlichen Zusatzsegen bietet: reine Haut, schöneres Haar.
Auf diese Weise sensibilisiert besuchen sie erstmals einen Frauenarzt. Doch dort begegnet ihnen im Wartezimmer wieder Werbung. Viele gynäkologische Arztpraxen verteilen Broschüren, die von der Pharmaindustrie finanziert werden, um über die vermeintliche dermatologische Wirkung der Pille zu informieren.
Dabei ist nicht eine einzige Verhütungstablette in Deutschland für Mädchen im Alter von 12 bis 18 Jahren für die Therapie von Akne zugelassen. Im Gegenteil: Niemand weiß wirklich, welche Gefahren den Kids drohen, sofern Pickel per Verhütungspille bekämpft werden sollen. Diskutiert werden ein höheres Brustkrebsrisiko und das mögliche Auftreten lebensbedrohlicher Thrombosen.
Das Heilmittelwerbegesetz untersagt diese Methoden der Pharma-PR ausdrücklich. Entsprechend müssten Staatsanwaltschaften ermitteln – was jedoch kaum geschieht. Die Zulassungsbehörden wiederum kennen das Problem, sind aber nicht für die Strafverfolgung zuständig.
Warum die Behörden nicht zusammenspielen, ist unverständlich. Immerhin geht es um weitaus mehr als um die Pille: Die Pharmabranche testet die Grenzen der Ethik innerhalb der deutschen Ärzteschaft.
Deren Rolle, so der Medizinprofessor Thomas Heinemann, der gleichzeitig Mitglied des Deutschen Ethikrats ist, bestehe nicht nur im Verabreichen von Tabletten. Ärzte müssen den PR-Avancen der Pharmaindustrie Grenzen setzen – im Beratungsgespräch und bevor sie ein Rezept ausstellen. Jugendliche sind auf diese Hilfe angewiesen. Denn die Selbstbestimmung der Kids ist keinesfalls ausgereift.
Gewiss, viele Ärzte agieren ethisch verantwortungsbewusst. Einige Pharmahersteller tun das nicht. Kritische Berichterstatter werden mit Klagedrohungen eingeschüchtert, selbst große Medien erhalten bei unliebsamen Beiträgen Anwaltspost.
Was die Unternehmen fürchten, ist ein ramponiertes Image und schlechte Geschäfte. So einigte sich beispielsweise ein deutscher Hersteller in den USA außergerichtlich mit Klägerinnen, die wegen unerwünschter Nebenwirkungen seiner Verhütungsmittel Schadenersatz verlangt hatten, und zahlte ihnen mehr als 110 Millionen Dollar. Wenig Geld im Vergleich zu mehr als einer Milliarde Euro, die das Unternehmen jährlich mit seinen Verhütungspillen umsetzt.
In diesem Kontext erscheinen die Werbeversprechen an die Adresse von Kindern und Jugendlichen in einem ganz anderen Licht. Die Pille, die verhütet und zugleich gegen Akne helfen will, lotet nicht nur die ethischen Grenzen der Ärzteschaft aus. Sie soll die Teens zu nachhaltigen Konsumenten der oralen Verhütungsmittel erziehen – und allen Risiken zum Trotz.
Sind wir dagegen machtlos? Nein. Wie ein Staat vorgehen kann, demonstriert Großbritannien.
Dort verfolgt eine eigene Antikorruptionsbehörde Verstöße im Gesundheitswesen. Wer erwischt wird, hat ausgedient. Pharmakonzerne bezahlen Strafen in dreistelliger Millionenhöhe, involvierte Ärzte verlieren das Recht auf weitere Berufsausübung und erhalten Geldstrafen. Und weil sie diese nach einem Berufsverbot nicht mehr berappen können, geht letztendlich ihr Privatvermögen an den britischen Staat. In schweren Fällen werden sie gar ins Gefängnis geschickt.
Wenn pharmazeutische Hersteller schon Präparate für Kinder und Jugendliche empfehlen, dann sollten sie für diese Patientengruppe auch erfolgreiche klinische Tests vorlegen können und sich mit den Einwänden ihrer Kritiker auseinandersetzen. Weder die Unternehmen, noch Ärzte oder Eltern dürfen stillschweigend und unüberlegt jungen Leuten Medikamente weiterreichen, die ursprünglich für Erwachsene gedacht waren.
Marita Vollborn, 1965 geboren, studierte Agronomie an der Humboldt-Universität zu Berlin sowie Journalistik an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover. Sie ist freie Wissenschafts- und Wirtschaftsjournalistin und leitet seit 2001 zusammen mit Vlad Georgescu das international erscheinende Biotech-Webzine LifeGen.de. Zusammen mit Vlad Georgescu schrieb sie "Die Joghurt-Lüge. Die unappetitlichen Geschäfte der Lebensmittelindustrie" und "Kein Winter, nirgends. Wie der Klimawandel Deutschland verändert".
Vlad Georgescu, 1966 geboren, studierte Chemie an der TU Hannover und Journalistik an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover. Er ist freier Wissenschafts- und Wirtschaftsjournalist und leitet zusammen mit Marita Vollborn seit 2001 das international erscheinende Biotech-Webzine LifeGen.de. Er ist Mitglied der Wissenschaftspressekonferenz (WPK). Gemeinsam mit Marita Vollborn schrieb er "Die Joghurt-Lüge. Die unappetitlichen Geschäfte der Lebensmittelindustrie" und "Kein Winter, nirgends. Wie der Klimawandel Deutschland verändert".
Auf diese Weise sensibilisiert besuchen sie erstmals einen Frauenarzt. Doch dort begegnet ihnen im Wartezimmer wieder Werbung. Viele gynäkologische Arztpraxen verteilen Broschüren, die von der Pharmaindustrie finanziert werden, um über die vermeintliche dermatologische Wirkung der Pille zu informieren.
Dabei ist nicht eine einzige Verhütungstablette in Deutschland für Mädchen im Alter von 12 bis 18 Jahren für die Therapie von Akne zugelassen. Im Gegenteil: Niemand weiß wirklich, welche Gefahren den Kids drohen, sofern Pickel per Verhütungspille bekämpft werden sollen. Diskutiert werden ein höheres Brustkrebsrisiko und das mögliche Auftreten lebensbedrohlicher Thrombosen.
Das Heilmittelwerbegesetz untersagt diese Methoden der Pharma-PR ausdrücklich. Entsprechend müssten Staatsanwaltschaften ermitteln – was jedoch kaum geschieht. Die Zulassungsbehörden wiederum kennen das Problem, sind aber nicht für die Strafverfolgung zuständig.
Warum die Behörden nicht zusammenspielen, ist unverständlich. Immerhin geht es um weitaus mehr als um die Pille: Die Pharmabranche testet die Grenzen der Ethik innerhalb der deutschen Ärzteschaft.
Deren Rolle, so der Medizinprofessor Thomas Heinemann, der gleichzeitig Mitglied des Deutschen Ethikrats ist, bestehe nicht nur im Verabreichen von Tabletten. Ärzte müssen den PR-Avancen der Pharmaindustrie Grenzen setzen – im Beratungsgespräch und bevor sie ein Rezept ausstellen. Jugendliche sind auf diese Hilfe angewiesen. Denn die Selbstbestimmung der Kids ist keinesfalls ausgereift.
Gewiss, viele Ärzte agieren ethisch verantwortungsbewusst. Einige Pharmahersteller tun das nicht. Kritische Berichterstatter werden mit Klagedrohungen eingeschüchtert, selbst große Medien erhalten bei unliebsamen Beiträgen Anwaltspost.
Was die Unternehmen fürchten, ist ein ramponiertes Image und schlechte Geschäfte. So einigte sich beispielsweise ein deutscher Hersteller in den USA außergerichtlich mit Klägerinnen, die wegen unerwünschter Nebenwirkungen seiner Verhütungsmittel Schadenersatz verlangt hatten, und zahlte ihnen mehr als 110 Millionen Dollar. Wenig Geld im Vergleich zu mehr als einer Milliarde Euro, die das Unternehmen jährlich mit seinen Verhütungspillen umsetzt.
In diesem Kontext erscheinen die Werbeversprechen an die Adresse von Kindern und Jugendlichen in einem ganz anderen Licht. Die Pille, die verhütet und zugleich gegen Akne helfen will, lotet nicht nur die ethischen Grenzen der Ärzteschaft aus. Sie soll die Teens zu nachhaltigen Konsumenten der oralen Verhütungsmittel erziehen – und allen Risiken zum Trotz.
Sind wir dagegen machtlos? Nein. Wie ein Staat vorgehen kann, demonstriert Großbritannien.
Dort verfolgt eine eigene Antikorruptionsbehörde Verstöße im Gesundheitswesen. Wer erwischt wird, hat ausgedient. Pharmakonzerne bezahlen Strafen in dreistelliger Millionenhöhe, involvierte Ärzte verlieren das Recht auf weitere Berufsausübung und erhalten Geldstrafen. Und weil sie diese nach einem Berufsverbot nicht mehr berappen können, geht letztendlich ihr Privatvermögen an den britischen Staat. In schweren Fällen werden sie gar ins Gefängnis geschickt.
Wenn pharmazeutische Hersteller schon Präparate für Kinder und Jugendliche empfehlen, dann sollten sie für diese Patientengruppe auch erfolgreiche klinische Tests vorlegen können und sich mit den Einwänden ihrer Kritiker auseinandersetzen. Weder die Unternehmen, noch Ärzte oder Eltern dürfen stillschweigend und unüberlegt jungen Leuten Medikamente weiterreichen, die ursprünglich für Erwachsene gedacht waren.
Marita Vollborn, 1965 geboren, studierte Agronomie an der Humboldt-Universität zu Berlin sowie Journalistik an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover. Sie ist freie Wissenschafts- und Wirtschaftsjournalistin und leitet seit 2001 zusammen mit Vlad Georgescu das international erscheinende Biotech-Webzine LifeGen.de. Zusammen mit Vlad Georgescu schrieb sie "Die Joghurt-Lüge. Die unappetitlichen Geschäfte der Lebensmittelindustrie" und "Kein Winter, nirgends. Wie der Klimawandel Deutschland verändert".
Vlad Georgescu, 1966 geboren, studierte Chemie an der TU Hannover und Journalistik an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover. Er ist freier Wissenschafts- und Wirtschaftsjournalist und leitet zusammen mit Marita Vollborn seit 2001 das international erscheinende Biotech-Webzine LifeGen.de. Er ist Mitglied der Wissenschaftspressekonferenz (WPK). Gemeinsam mit Marita Vollborn schrieb er "Die Joghurt-Lüge. Die unappetitlichen Geschäfte der Lebensmittelindustrie" und "Kein Winter, nirgends. Wie der Klimawandel Deutschland verändert".