Mit der Zeit ermüdend

Von Christoph Leibold |
Nette Gags, wenig dahinter? Dieter Dorn setzt in Schimmelpfennigs "Idomeneus" auf Effekte. Das Publikum sitzt auf der Bühne, die Schauspieler auf den Rängen. Die Schauspieler wollen kein Happy End à la Mozart, sondern überlegen: Was wäre, wenn Idamantes doch für seinen Vater Idomeneo gestorben wäre? Alles sehr gründlich, aber ermüdend - ebenso die Inszenierung.
Verkehrte Theaterwelt: Für die Uraufführung von Roland Schimmelpfennigs "Idomeneus" zur Wiedereröffnung des Münchner Cuvilliés Theaters hat Dieter Dorn das Publikum auf die Bühne gesetzt. Die Schauspieler agieren im Zuschauerraum. Das für knapp 25 Millionen Euro sanierten Rokoko-Schatzkästchen mit seinen roten stoffbespannten Wänden, dem üppigen Stuck und den vergoldeten Schnitzereien wird so zur Kulisse.

Doch Dieter Dorn geht es natürlich nicht allein darum, das Cuvilliés Theater in seinem wieder erstrahlenden Glanz zu präsentieren. Die Platzierung der Schauspieler in den Stuhlreihen des Zuschauerraums ist ein durchaus einleuchtender, dem Stück dienender Einfall, der anfangs fasziniert.

In "Idomeneus" erzählt Roland Schimmelpfennig nicht einfach die Geschichte der Mozart-Oper "Idomeneo" nach. Er schickt 14 namenlose Personen auf die Bühne, Männer, Frauen, Junge, Alte - bunt gemischt (in der Uraufführung von Dieter Dorn stecken sie in Alltagskleidung von heute, die vorwiegend in dunklen Tönen gehalten ist und den Figuren bewusst keine Individualität verleiht), die sich auf die Suche nach den Möglichkeiten des Mythos machen, die jenseits der bekannten Handlung liegen.

Bei Mozart lernen wir Idomeneo als griechischen Feldherrn kennen, der siegreich aus dem trojanischen Krieg heimkehrt und im Sturm mit seiner Flotte unterzugehen droht. In seiner Not gelobt er Poseidon für den Fall seiner Errettung, er werde den Ersten opfern, der ihm begegnet, sowie er Land betritt.

Tatsächlich wird Idomeneo gerettet – der Erste, der ihn an der heimatlichen Küste grüßt, ist Idamantes, sein Sohn. Die Tragödie ist vorprogrammiert. Bei Mozart kommt es am Ende jedoch zum Happy-End, herbeigeführt durch einen klassischen Deus-ex-Machina.

In seiner Bearbeitung des Stoffes (in der Idomeneo Idomeneus heißt) interessiert sich Roland Schimmelpfennig vor allem für die menschlichen Neigungen und Regungen, die im Mythos archetypisch vorformuliert sind - zu allererst die Todesangst von Idomeneus, deretwegen er sich auf absurdes Gelöbnis einlässt, den erstbesten zu opfern, dem er an Land begegnet.

Schimmelpfennig lässt die Figuren Varianten der Geschichte ersinnen, Alternativen zum Verlauf der Handlung, die sie auf die Bühne imaginieren, oft mit zusammengekniffenen Augen, als würden sie sich ausmalen, wie das, was sie herbeireden, oben auf der Bühne passieren könnte: Wie wäre es, wenn beispielsweise Idomeneo, seinen Sohn gleich nach der Landung niedergestreckt hätte? Was, wenn das Volk ihn dafür aufgehängt hätte?

All diese Überlegungen werden von den Figuren angesprochen, manchmal auch angespielt, und dann wieder verworfen: "So war es nicht. So ist es nicht gewesen. Es war so…" und schon folgt die nächste Variante.

Dieses Durchexerzieren der verschiedenen Möglichkeiten des Mythos hat allerdings etwas allzu gründliches. Spätestens nach der Hälfte der Aufführung hat man das Prinzip durchschaut. Die anfängliche Faszination weicht der Ermüdung. Zumal die Handlungs-Varianten, die Schimmelpfennig ins Spiel bringt, nicht besonders überraschend sind.

Ähnlich verhält es sich mit der Inszenierung: Zu Beginn wirkt die Verkehrung von Zuschauerraum und Bühne wie ein gelungener Coup. Dorn nützt alle Möglichkeiten, die Schauspieler im Rokoko-Raum zu gruppieren. Er verteilt sie bis hinauf in den dritten Rang.

Das ist meist hoch ästhetisch, aber nicht immer wirklich aussagekräftig, und mit der Zeit sind auch hier alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Am Ende bleibt es bei der Variation des immer gleichen.