Mit einem Kochkurs an der VHS

Integration geht durch den Magen

Arabischer Bulgur-Salat
Eine typisch arabische Speise: Der Bulgur-Salat © imago stock&people
Von Anke Petermann |
Es war ein Kochkurs der besonderen Art, den die Volkshochschule im rheinland-pfälzischen Jugenheim angeboten hatte: Drei arabische Frauen kochten mit zehn Kursteilnehmern. Die Frauen waren aus Syrien geflohen und zeigten nun, was sie am Herd können. Das sorgte nicht nur für einen vollen Magen bei den Teilnehmern.
"Gemüse und Fleisch ist drüben im Kühlschrank."
"Petersilie - Kühlschrank?"
Aus Kühlschrank und Vorratsraum des Jugenheimer Gemeindehauses suchen die drei arabischen Köchinnen gemeinsam mit den zehn Kursteilnehmern die zuvor eingekauften Zutaten zusammen. Die 13, darunter ein Mann, wollen sich duzen. Roken zeigt auf eine Tüte mit gelben Linsen:
"Später, später das auch."
"Linsensuppe? Okay."
Alexandra und Moritz nicken. Außerdem haben die Syrerinnen Roken, Amira und Halima kalten Bulgur-Salat und Gemüse-Reis mit Hackfleisch geplant, als Nachspeise Grieß-Auflauf. Keine langen Vorreden, es geht direkt los: Die Gerichte sollen von vier Teams parallel gekocht werden, jeder schaut dabei dem anderen in die Töpfe.
"Bin Chef Roken!"
Roken freundet sich mit der ungewohnten Chefinnenrolle schnell an. Die syrische Kurdin trägt Lippenstift, Röhrenjeans und ihren dunklen Zopf ohne Kopftuch. Sie streift Latex-Handschuhe über und hackt Zwiebeln, schnell, gleichmäßig, fein. Alexandra versucht mitzuhalten, vergeblich:
"Du machst das super, ich nicht so. Ist das denn klein genug oder muss ich noch kleiner?"
"Nein."
Alexandra: "Ich find', das ist ein tollerer Kurs, als wenn ich irgendwo hingehe und mir von einem Deutschen etwas über arabisches Essen erzählen lasse. Und ich wollte die Frauen kennenlernen."

Mit Tierlauten und Humor ist jede Koch-Frage zu klären

Seit zwei Jahren kreuzen sich auf den Jugenheimer Gassen die Wege von Roken und Alexandra, zwei etwa gleichaltrige junge Mütter in ihren Dreißigern.
"Und wir grüßen uns auch immer, und ich kenn' die Gesichter, und ich würde auch gern die Namen kennen, und man ist dann auch persönlicher miteinander, wenn man schon was miteinander erlebt hat."
Amiras Team brät Hackfleisch an. Aus welchen Fleischsorten? Amira schaut fragend, die Endfünfzigerin tut sich schwer mit dem Deutschen. Doch mit Tierlauten und Humor ist die Frage auch zu klären.
"Muh, Mäh – halbe, halbe."
"Das Haché macht man bei uns auch so, sie macht halt noch Erbsen rein, also ich mach' das auch so. Es sind die Gewürze, die es ausmachen, die Handarbeit ist die gleiche", ...
... meint Ingrid. Die 76-jährige pflegt bis heute alte Kontakte zu armenischen Flüchtlingen, die vor fast vierzig Jahren nach Jugenheim kamen und mittlerweile in eine Nachbarstadt gezogen sind. Dass Fremdes vertraut werden kann und Integration durch den Magen geht, hat Ingrid längst erfahren. Sie hat sich eine weiße Küchenschürze umgebunden und ist neugierig auf die arabische Welt im eigenen Dorf, samt Kreuzkümmel und Kardamom.
"A interessiert es mich, wie dort gekocht wird. B habe ich schon Etliches gegessen, was die Damen gekocht haben, und ich koch' halt gern. Mir macht das Spaß. Man kann nur lernen. Andere Kulturen – wenn sie schon hier leben und man die Chance hat, dann sollte man gucken, dass man's lernt."

Es wird geraten und gerätselt - aber nicht gerührt

Mit Ingrid an der Seite wagt sogar Amira ein paar Worte Deutsch. Im Nachbar-Team stellt Halima Grieß und Mandeln zur Seite. Die Mittvierzigerin macht sich Sorgen, weil ein Teil der Familie in Syrien zurückbleiben musste. Ihr Bruder, Bürgerkriegsflüchtling wie sie, wurde aus Jugenheim nach Bulgarien abgeschoben. Schlaflose Nächte, keine gute Voraussetzung fürs Deutschlernen. Doch als Küchenchefin für einen Tag lässt sich die Syrerin nichts anmerken von ihrem Kummer. Sie gibt Zucker in einen Topf, Wasser darüber – aufkochen, ohne zu rühren, signalisiert sie. Ihre Kochschülerinnen schauen fragend.
"Warum nicht rühren?"
Halima: "Nicht gut."
Es wird geraten und gerätselt, mit Händen und Füßen gestikuliert. Am Ende ist klar, Halima stellt Läuterzucker her: Zuckersirup, aromatisiert mit Orangenblüten- und Rosenessenz.
"Kalt in der Flasche – keine Problem: eine Monate, zwei Monate, keine Problem!"
Praktisch, weil ungekühlt lange haltbar. Die Frauen nicken, manche erinnern sich an Großmutters Rezepte. So fremd erscheint die arabische Küche gar nicht, zumindest die Maßeinheiten ähneln sich, findet Reingard, man rechnet nicht in Gramm.
"Das geht mit 'halbes Glas, vielleicht 'n bisschen mehr', das ist wie bei meiner Oma."
Und noch was wie bei Oma: viel Handarbeit ist zu leisten.
"Wir enthäuten die Mandeln, wir ziehen die Mandeln aus."
Weiße, gehackte Mandeln will Amira später für ihren Gemüsereis rösten. Sie schon vorbereitet zu kaufen, wäre viel zu teuer. Ganze Mandeln mit Haut zu verarbeiten - kein Problem, wenn alle puhlen helfen und man Zeit ins Kochen investiert, außerdem …
"…sehr kommunikativ. Bei uns geht das immer so zack-zack-zack, und ich denke, da können wir doch lernen, dass wir uns mal Zeit nehmen."

Die Teilnehmer wachsen zum Team zusammen

Genau wie die arabischen und iranischen Familien, die Antoinette kennengelernt hat. In der Kreisverwaltung Mainz Mainz-Bingen, Abteilung Asyl und Integration, ist sie Ansprechpartnerin für die vielen Ehrenamtler, die Flüchtlinge betreuen.
"Die sind ja viel gastfreundlicher als wir. Wenn man zu denen nach Hause kommt, kriegt man erst mal einen Tee oder Kaffee, mal ein bisschen durchschnaufen, und dann die ernsten Dinge des Lebens besprechen, das finde ich schön!"
Bislang kannten sich die Kochkurs-Teilnehmer allenfalls flüchtig, doch je länger sie gemeinsam schnippeln, häckseln, rühren, lachen und Rezepte austauschen, desto stärker wachsen sie zum Team zusammen.
"So soll es sein, glaube ich, wie bei der Großfamilie."
Moritz hat die meiste Zeit seinen Sohn Benedict auf dem Arm und einarmig assistiert. Um ihn herum wuseln die siebenjährige Lamar und der fünfjährige Suher. Trotz der Herausforderung, mit dem viergängigen Menu voranzukommen, bleibt Zeit, ein paar Worte über Persönliches zu wechseln. Lamars und Suhers Mutter Roken erzählt von ihrem Praktikum in einer Jugenheimer Großküche.
"Aber alles: für Essen und sauber machen und Waschmaschine, groß Waschmaschine", ...
... die große Spülmaschine zu beladen gehört dazu. Lange sah es in Jugenheim so aus, als ob nur die Männer es allmählich in Ausbildung und Arbeit schafften.
"Wenn sie aber da jetzt das ein Praktikum in der Großküche hat, und hat das unterschrieben, dann hat sie richtig was in der Hand, wo sie sich bewerben kann", ...
... meint Reingard, die Roken als Köchin für ein Talent hält. Die Kurdin hackt soeben Petersilie im Handumdrehen in winzige Blättchen. Tomatenmark gibt dem Bulgur einen ansprechenden Orange-Ton, verrät sie und schichtet den großen Salat-Berg auf eine Glasplatte, dekoriert ihn am Fuß mit Zitronenscheiben, den Gipfel mit einem Petersilie-Büschel. Handy-Kameras werden gezückt.
"Ahhh!"
"Lecker!"
... freut sich Lamar. Inzwischen hat die kochende Großfamilie Besuch bekommen.
"Und, wie läuft's?" - "Guuut!"

Mit Feuereifer beteiligen sich auch die Kinder

Die Pfarrerin mit ihrem Baby, die Ärztin und andere Paten der dörflichen Willkommensinitiative schauen vorbei. 19 Leute zählt Lamar, als es ums Tischdecken im Saal neben der Küche geht.
"Ich mag ja auch ne Arbeit machen!"
Mit Feuereifer schleppt die Siebenjährige Besteck herbei. Die Köchinnen gruppieren die vier Gerichte zum kleinen Buffet. In der Mitte die Schüssel mit dampfender gelber Linsensuppe, am Rand der Grieß-Auflauf mit Kokosflocken und Mascarpone, oben drauf die handgeschälten und gehäckselten Pistazien. Alle bewundern das Speise-Stillleben auf dem kleinen Tisch abseits der großen gedeckten Tafel.
Die drei arabischen Küchenchefinnen sonnen sich in Anerkennung und der gesamte VHS-Kurs wundert sich, wie zehn Ungeübte in vier Stunden eine solche Vielfalt auf den Tisch zaubern konnten.
"Piep, piep, Mäuschen,/ bleib in deinem Häuschen,/ wir essen unsern Teller leer,/ da bleibt auch gar kein Krümel mehr./ Piep, piep, piep/ – recht guten Appetit!"
Ein Tischspruch vor 19 Leuten – in der großen familiären Runde hat Suher keine Scheu. Sein halbes Leben hat der Fünfjährige in Jugenheim verbracht. Gemeinsam mit seiner Schwester schlägt er Breschen in den orangefarbenen Bulgur-Berg und den Erbsen-Reis mit Muh- und Mäh-Hackfleisch, oben drauf die mühsam enthäuteten Mandeln. Alexandra freut sich, dass ihr Sohn Benedict nach dem Essen mit Rokens Kindern Suher und Lamar spielt.
"Ja, es ist absolut gelungen. Und es ist auch richtig schön, dass noch Leute zu der Tafel dazu gestoßen sind, so überraschenderweise, die gar nicht mitgekocht haben. Und es ist auch schön, dass es für alle gereicht hat."
Die am Herd geknüpften Kontakte, glaubt Alexandra, werden bleiben. Trifft man sich jetzt im Dorfladen oder demnächst auf dem Weihnachtsmarkt, vertieft das einfach die Bekanntschaft. Jugenheim wäre aber nicht Jugenheim, wenn der VHS-Kochkurs eine einmalige Aktion bliebe. Das Willkommensdorf: eine Ideenmaschine für Integration. Was neu überlegt wird, hat Uli Röhm als Koordinator der Initiative bei Tisch erlauscht.
"Wir haben ein paar Leute auf der Warteliste, so dass man eine gleiche oder ähnliche Veranstaltung wie heute noch mal durchführen kann. Und unsere Ärztin am Dorf war der Meinung, sie könne das mit ihrem Praxisteam zusammen mal organisieren, und die alle einladen. Das sind alles noch unausgereifte Ideen, die heute entstanden sind, die man jetzt mal mit den Erfahrungen des heutigen Tages versucht umzusetzen."
Vielleicht machen die Frauen aus ihren Fähigkeiten eine Geschäftsidee, auch das eine Möglichkeit. Integration geht durch den Magen – Fortsetzung folgt. Nur zwei Zutaten sind unabdingbar: eine Scheibe Neugier und eine Prise Aufgeschlossenheit. Beides derzeit im Sonderangebot.
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