Mit geschlossenen Lippen
Werner Bräunigs Band "Gewöhnliche Leute" gibt nicht nur Einblicke in das Alltagsleben der DDR, sondern erzählt die Geschichte eines vom System zurechtgestutzten Autors. Nachdem sein Roman "Rummelplatz" 1965 von der SED verboten worden war, wagt der Autor in diesen späteren Erzählungen wenig. Er redet sozusagen mit geschlossenem Mund.
Als 2007 Werner Bräunigs Roman "Rummelplatz" veröffentlicht wurde, kündigte der Aufbau Verlag das Erscheinen des berühmten Buches, das bis dahin weder im Osten noch im Westen publiziert war, als "literarische Sensation" an.
Bräunig hatte sich in diesem, in der Wismut spielenden Roman, an Themen herangewagt, die in der DDR Tabu waren: kritische Sicht auf die Arbeits- und Lebensbedingungen in der Wismut, Darstellung von Karrierismus unter den Jugendlichen, Beschreibung des Personenkults um Stalin, Aufzählung von Ungerechtigkeiten in der DDR-Rechtssprechung sind nur einige Themen, die Bräunig aufgreift. Er verstand Kritik an den politischen und sozialen Verhältnissen in der DDR als Notwendigkeit, um Veränderungen zu bewirken.
Der Roman sollte die Entwicklung des gespaltenen Deutschland in den ersten Nachkriegsjahren beschreiben. Aber wie Bräunig dies zu tun gedachte, ging den Kulturverantwortlichen entschieden zu weit. Auf dem 11. Plenum des ZK der SED 1965 wurde er wegen Verunglimpfung der Arbeiterklasse heftig kritisiert und das Buch verboten.
Nach der Sensation, die die Veröffentlichung von "Rummelplatz" darstellte und der großen Aufmerksamkeit, die der Roman zu Recht erfuhr, legt der Aufbau Verlag nun Bräunigs Erzählungsband "Gewöhnliche Leute" vor. Dieser Band konnte 1969 (in erweiterter Fassung 1971) in der DDR erscheinen.
Neben den bekannten Erzählungen "Die Straße", "Gewöhnliche Leute", "Die einfachste Sache der Welt", "Der Hafen der Hände", "Der schöne Monat August", "Unterwegs" und "Stillegung" enthält die Neuausgabe nun weitere fünf Geschichten aus dem Nachlass ("Rundschreiben an die Vereinigten Spannbetonwerke", "Stalins Blick", "Damals in kurzen Hosen", "Der Besuch", "Früher waren wir andere Kerle"). Eine erneute Sensation ist dieser Band nicht.
Bräunig, der in "Rummelplatz" die Verhältnisse in der DDR mit realistischen Mittel beschrieb, ohne sich an die Vorgaben des sozialistischen Realismus zu halten, begegnet uns in dem nun vorliegenden Band als Autor, der mit geschlossenen Lippen spricht. Er vermeidet, was die Offiziellen der Kulturpolitik als Kritik an den Verhältnissen interpretieren könnten. Christoph Hein sprach angesichts des Erscheinens von "Rummelplatz" von einer gewissen Naivität des Autors. Er hätte wissen können, dass der Roman nicht gedruckt werden würde.
Dem Buch allerdings tat diese vermeintliche "Naivität" sehr gut. An dem Erzählungsband "Gewöhnliche Leute" lässt sich nun ablesen - und Angela Drescher beschreibt dies in ihrem Nachwort - wie das Talent Werner Bräunig zurechtgestutzt wurde. Die Beschreibung der gewöhnlichen Leute in den bereits bekannten Erzählungen findet in einem sehr harmonischen DDR-Alltag statt.
"Mit seinen Erzählungen muss Bräunig Erleichterung ausgelöst haben", heißt es in Dreschers Nachwort. Erleichterung deshalb, weil man nicht wusste, was die Kritik beim Autor bewirkt hatte. "Gewöhnliche Leute" liest sich heute wie ein Zeugnis der DDR-Zensur. Seit den Vorwürfen, die gegen sein Romanprojekt erhoben wurden, ist sich Bräunig seiner künstlerischen Mittel nicht mehr sicher. Er umgeht in den Erzählungen jegliche Konflikte und schreibt, was man von ihm erwartet.
Dafür wird er in der Presse gelobt. Aber der Preis für das Lob ist hoch. Bräunig wusste, dass er positiven Zuspruch erfuhr, weil er sich konform verhielt. Die Idealisierung der gesellschaftlichen Wirklichkeit in der DDR, die er in seinen Geschichten vornimmt, ist Ausdruck seiner Desillusionierung. Alkoholkrank und innerlich zerrissen, stirbt Bräunig 1976 mit 42 Jahren in Halle.
Rezensiert von Michael Opitz
Werner Bräunig: Gewöhnliche Leute. Erzählungen
Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Angela Drescher
Aufbau Verlag, Berlin 2008
273 Seiten, 19,95 Euro.
Bräunig hatte sich in diesem, in der Wismut spielenden Roman, an Themen herangewagt, die in der DDR Tabu waren: kritische Sicht auf die Arbeits- und Lebensbedingungen in der Wismut, Darstellung von Karrierismus unter den Jugendlichen, Beschreibung des Personenkults um Stalin, Aufzählung von Ungerechtigkeiten in der DDR-Rechtssprechung sind nur einige Themen, die Bräunig aufgreift. Er verstand Kritik an den politischen und sozialen Verhältnissen in der DDR als Notwendigkeit, um Veränderungen zu bewirken.
Der Roman sollte die Entwicklung des gespaltenen Deutschland in den ersten Nachkriegsjahren beschreiben. Aber wie Bräunig dies zu tun gedachte, ging den Kulturverantwortlichen entschieden zu weit. Auf dem 11. Plenum des ZK der SED 1965 wurde er wegen Verunglimpfung der Arbeiterklasse heftig kritisiert und das Buch verboten.
Nach der Sensation, die die Veröffentlichung von "Rummelplatz" darstellte und der großen Aufmerksamkeit, die der Roman zu Recht erfuhr, legt der Aufbau Verlag nun Bräunigs Erzählungsband "Gewöhnliche Leute" vor. Dieser Band konnte 1969 (in erweiterter Fassung 1971) in der DDR erscheinen.
Neben den bekannten Erzählungen "Die Straße", "Gewöhnliche Leute", "Die einfachste Sache der Welt", "Der Hafen der Hände", "Der schöne Monat August", "Unterwegs" und "Stillegung" enthält die Neuausgabe nun weitere fünf Geschichten aus dem Nachlass ("Rundschreiben an die Vereinigten Spannbetonwerke", "Stalins Blick", "Damals in kurzen Hosen", "Der Besuch", "Früher waren wir andere Kerle"). Eine erneute Sensation ist dieser Band nicht.
Bräunig, der in "Rummelplatz" die Verhältnisse in der DDR mit realistischen Mittel beschrieb, ohne sich an die Vorgaben des sozialistischen Realismus zu halten, begegnet uns in dem nun vorliegenden Band als Autor, der mit geschlossenen Lippen spricht. Er vermeidet, was die Offiziellen der Kulturpolitik als Kritik an den Verhältnissen interpretieren könnten. Christoph Hein sprach angesichts des Erscheinens von "Rummelplatz" von einer gewissen Naivität des Autors. Er hätte wissen können, dass der Roman nicht gedruckt werden würde.
Dem Buch allerdings tat diese vermeintliche "Naivität" sehr gut. An dem Erzählungsband "Gewöhnliche Leute" lässt sich nun ablesen - und Angela Drescher beschreibt dies in ihrem Nachwort - wie das Talent Werner Bräunig zurechtgestutzt wurde. Die Beschreibung der gewöhnlichen Leute in den bereits bekannten Erzählungen findet in einem sehr harmonischen DDR-Alltag statt.
"Mit seinen Erzählungen muss Bräunig Erleichterung ausgelöst haben", heißt es in Dreschers Nachwort. Erleichterung deshalb, weil man nicht wusste, was die Kritik beim Autor bewirkt hatte. "Gewöhnliche Leute" liest sich heute wie ein Zeugnis der DDR-Zensur. Seit den Vorwürfen, die gegen sein Romanprojekt erhoben wurden, ist sich Bräunig seiner künstlerischen Mittel nicht mehr sicher. Er umgeht in den Erzählungen jegliche Konflikte und schreibt, was man von ihm erwartet.
Dafür wird er in der Presse gelobt. Aber der Preis für das Lob ist hoch. Bräunig wusste, dass er positiven Zuspruch erfuhr, weil er sich konform verhielt. Die Idealisierung der gesellschaftlichen Wirklichkeit in der DDR, die er in seinen Geschichten vornimmt, ist Ausdruck seiner Desillusionierung. Alkoholkrank und innerlich zerrissen, stirbt Bräunig 1976 mit 42 Jahren in Halle.
Rezensiert von Michael Opitz
Werner Bräunig: Gewöhnliche Leute. Erzählungen
Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Angela Drescher
Aufbau Verlag, Berlin 2008
273 Seiten, 19,95 Euro.