Freiheit heißt nicht, dass man tun kann, was man will
06:54 Minuten
Freiheit im Sinne Hegels beruhe immer auf der Auswahl des Vernünftigen, sagt der Philosoph Klaus Vieweg. Daher sei die temporäre Begrenzung der Bewegungsfreiheit wegen des Coronavirus vernünftig – „unter dem Blickwinkel des höheren Rechts auf Gesundheit und Leben“.
Ute Welty: Als Georg Friedrich Wilhelm Hegel vor 250 Jahren geboren wird, brechen immer wieder Seuchen aus: Pocken, Pest, Fleckfieber. 1831 stirbt Hegel in Berlin, als dort die Cholera um sich greift, und Cholera lautet dann auch die offizielle Todesursache, wobei andere auch ein chronisches Magenleiden für wahrscheinlich halten. Zu den führenden Hegel-Forschern zählt Klaus Vieweg, langjähriger Philosophie-Professor in Jena, und genau da hat ja Hegel auch seine Universitätskarriere begonnen.
Sie nennen Hegel einen Philosophen der Freiheit, und so heißt auch Ihre Hegel-Biografie, die mehr als 800 Seiten umfasst. Jetzt ist es nicht die Cholera, sondern die Corona-Krise, die Freiheiten massiv einschränkt. Wie würde Hegel die aktuelle Situation kommentieren?
Klaus Vieweg: Ja, er würde einen problematischen Gebrauch des Begriffs der Freiheit heute monieren, denn die gängige Auffassung, die wir auch hören, ist, dass Freiheit das ist, dass man tun könne, was man wolle. Das ist aus Hegels Sicht ein falsches Verständnis von Freiheit, weil dort zwischen Freiheit und Willkür oder Freiheit und dem Auswählen von Varianten unseres Tuns eben nicht genau unterschieden wird.
Sie nennen Hegel einen Philosophen der Freiheit, und so heißt auch Ihre Hegel-Biografie, die mehr als 800 Seiten umfasst. Jetzt ist es nicht die Cholera, sondern die Corona-Krise, die Freiheiten massiv einschränkt. Wie würde Hegel die aktuelle Situation kommentieren?
Klaus Vieweg: Ja, er würde einen problematischen Gebrauch des Begriffs der Freiheit heute monieren, denn die gängige Auffassung, die wir auch hören, ist, dass Freiheit das ist, dass man tun könne, was man wolle. Das ist aus Hegels Sicht ein falsches Verständnis von Freiheit, weil dort zwischen Freiheit und Willkür oder Freiheit und dem Auswählen von Varianten unseres Tuns eben nicht genau unterschieden wird.
Verstoß gegen fundamentale Rechte vs. freies Tun
Welty: Das heißt, wir missbrauchen den Freiheitsbegriff?
Vieweg: Zumindest gebrauchen wir ihn nicht korrekt. Denn das Auswählen von Varianten unseres Tuns ist natürlich ein unverzichtbares Moment von Freiheit, aber dies ist nicht immer vernünftiges Tun. Beispiel: Inhumanes Tun, Verbrechen, Terrorismus oder Leugnung des Holocaust sind auch Ergebnis einer Auswahl, wie etwa die perversen Corona-Feiern, die eben kein freies Tun sind, sondern Verstoß gegen fundamentale Rechte. Und ein Verbot solchen Tuns ist keine Einschränkung von Freiheit, umgekehrt: Garantieren von Freiheit.
Welty: Aber warum soll es denn ein Zeichen von oberflächlichem Verstand sein, wenn Menschen das Recht für sich in Anspruch nehmen, zwischen verschiedenen Optionen zu wählen oder auch nur wählen zu können? Es muss ja nicht alles immer so unvernünftig sein, wie Sie das jetzt gerade beschrieben haben, was die Corona-Partys beispielsweise angeht.
Vieweg: Nein, das Wählen kann durchaus vernünftiges Tun sein, aber nur, wenn es das Ergebnis des Nachdenkens ist, wenn Freiheit und Vernunft eben verknüpft sind und nicht einfach nur willkürlich getan wird. Ein Verbrechen würden Sie doch auch nicht als freies Tun bezeichnen.
Welty: Ganz bestimmt nicht, aber welche Freiheit vermissen Sie denn derzeit am meisten?
Vieweg: Na ja, jetzt handelt es sich natürlich um zeitweilige und verhältnismäßige – darauf legt Hegel Wert – Eingriffe in bestimmte Rechte, und zwar unter dem Blickwinkel des höheren Rechts auf Gesundheit und Leben. Das ist natürlich ein wesentlicher Punkt.
Ich darf das mal an einem Beispiel demonstrieren: Hegel verwendet für solche außergewöhnlichen Situationen die Worte "Notzustand" oder "Ausnahmesituation", also Krieg, Naturkatastrophen, Epidemien. Beispiel: Ein hoher Wert ist bekanntlich das Gewaltmonopol des Staates, das heißt, Zwangsmaßnahmen sind nur durch staatliche Institutionen möglich, also keine Selbstjustiz. Aber es gibt Ausnahmen: Zeitweilig und verhältnismäßig, das nennen wir heute noch Notwehr – gegen einen physischen Angriff darf ich mich wehren, und zwar verhältnismäßig und zeitweilig. Das ist eine Ausnahme, und deswegen: Notwehr legitim.
Vieweg: Zumindest gebrauchen wir ihn nicht korrekt. Denn das Auswählen von Varianten unseres Tuns ist natürlich ein unverzichtbares Moment von Freiheit, aber dies ist nicht immer vernünftiges Tun. Beispiel: Inhumanes Tun, Verbrechen, Terrorismus oder Leugnung des Holocaust sind auch Ergebnis einer Auswahl, wie etwa die perversen Corona-Feiern, die eben kein freies Tun sind, sondern Verstoß gegen fundamentale Rechte. Und ein Verbot solchen Tuns ist keine Einschränkung von Freiheit, umgekehrt: Garantieren von Freiheit.
Welty: Aber warum soll es denn ein Zeichen von oberflächlichem Verstand sein, wenn Menschen das Recht für sich in Anspruch nehmen, zwischen verschiedenen Optionen zu wählen oder auch nur wählen zu können? Es muss ja nicht alles immer so unvernünftig sein, wie Sie das jetzt gerade beschrieben haben, was die Corona-Partys beispielsweise angeht.
Vieweg: Nein, das Wählen kann durchaus vernünftiges Tun sein, aber nur, wenn es das Ergebnis des Nachdenkens ist, wenn Freiheit und Vernunft eben verknüpft sind und nicht einfach nur willkürlich getan wird. Ein Verbrechen würden Sie doch auch nicht als freies Tun bezeichnen.
Welty: Ganz bestimmt nicht, aber welche Freiheit vermissen Sie denn derzeit am meisten?
Vieweg: Na ja, jetzt handelt es sich natürlich um zeitweilige und verhältnismäßige – darauf legt Hegel Wert – Eingriffe in bestimmte Rechte, und zwar unter dem Blickwinkel des höheren Rechts auf Gesundheit und Leben. Das ist natürlich ein wesentlicher Punkt.
Ich darf das mal an einem Beispiel demonstrieren: Hegel verwendet für solche außergewöhnlichen Situationen die Worte "Notzustand" oder "Ausnahmesituation", also Krieg, Naturkatastrophen, Epidemien. Beispiel: Ein hoher Wert ist bekanntlich das Gewaltmonopol des Staates, das heißt, Zwangsmaßnahmen sind nur durch staatliche Institutionen möglich, also keine Selbstjustiz. Aber es gibt Ausnahmen: Zeitweilig und verhältnismäßig, das nennen wir heute noch Notwehr – gegen einen physischen Angriff darf ich mich wehren, und zwar verhältnismäßig und zeitweilig. Das ist eine Ausnahme, und deswegen: Notwehr legitim.
Nachdenken, ob ein bestimmtes Tun vernünftig ist
Welty: Impliziert Hegels Freiheitsbegriff dann aber auch, dass es immer ein Richtig und ein Falsch gibt, und ist das nicht zu einfach?
Vieweg: Das ist natürlich keine leichte Entscheidung, zu wählen oder zu klären, was richtig und falsch ist. Aber es gibt durchaus Möglichkeiten, klare Unterscheidungen vorzunehmen. Die Philosophie muss zwischen Freiheit und Willkür versuchen zu unterscheiden. Das ist natürlich bei jedem Handeln ein Ergebnis des Nachdenkens, also das Appellieren ist immer, es muss erst nachgedacht werden, ob ein bestimmtes Tun vernünftig ist oder nicht.
Welty: Wenn wir diese Frage jetzt zurückdrehen auf die aktuelle Situation: Inwieweit ist es philosophisch denkbar, dass eine Maßnahme als notwendig und vernünftig empfunden wird, aber auch zugleich als ein unerträglicher Eingriff in das eigene Leben?
Vieweg: Eingriff ins eigene Leben, das ist durchaus gegeben. Aber nehmen wir ein anderes Beispiel: Jemand hortet medizinische Ausrüstung jetzt in dieser Situation, dann kann es sein, dass es im öffentlichen Interesse liegt, diese Mittel zu beschlagnahmen. Der höhere Wert von Leben und Gesundheit rechtfertigt dies zeitweilig und verhältnismäßig – nochmals, das ist ganz wichtig.
Welty: Was können wir von Hegel lernen angesichts von Corona?
Vieweg: Na ja, dass eben nachgedacht werden muss über Notzustände oder Ausnahmesituationen, also außergewöhnliche Situationen, in denen eben bestimmte garantierte Rechte unter dem Blickwinkel höherer Rechte durchaus eingeschränkt werden müssen. Nehmen wir das Wählen unseres Aufenthaltsortes, da legen wir viel Wert drauf – Bewegungsfreiheit, Freizügigkeit. Immer schon ist dieses Recht unter Vorbehalt und mit Ausnahmen verbunden. Sie dürfen auch in normalen Situationen Quarantänestationen von Kliniken nicht betreten – jetzt wird der Raum der Quarantäne eben erweitert, das ist natürlich eine Einschränkung, aber es ist keine Einschränkung von Freiheit.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Vieweg: Das ist natürlich keine leichte Entscheidung, zu wählen oder zu klären, was richtig und falsch ist. Aber es gibt durchaus Möglichkeiten, klare Unterscheidungen vorzunehmen. Die Philosophie muss zwischen Freiheit und Willkür versuchen zu unterscheiden. Das ist natürlich bei jedem Handeln ein Ergebnis des Nachdenkens, also das Appellieren ist immer, es muss erst nachgedacht werden, ob ein bestimmtes Tun vernünftig ist oder nicht.
Welty: Wenn wir diese Frage jetzt zurückdrehen auf die aktuelle Situation: Inwieweit ist es philosophisch denkbar, dass eine Maßnahme als notwendig und vernünftig empfunden wird, aber auch zugleich als ein unerträglicher Eingriff in das eigene Leben?
Vieweg: Eingriff ins eigene Leben, das ist durchaus gegeben. Aber nehmen wir ein anderes Beispiel: Jemand hortet medizinische Ausrüstung jetzt in dieser Situation, dann kann es sein, dass es im öffentlichen Interesse liegt, diese Mittel zu beschlagnahmen. Der höhere Wert von Leben und Gesundheit rechtfertigt dies zeitweilig und verhältnismäßig – nochmals, das ist ganz wichtig.
Welty: Was können wir von Hegel lernen angesichts von Corona?
Vieweg: Na ja, dass eben nachgedacht werden muss über Notzustände oder Ausnahmesituationen, also außergewöhnliche Situationen, in denen eben bestimmte garantierte Rechte unter dem Blickwinkel höherer Rechte durchaus eingeschränkt werden müssen. Nehmen wir das Wählen unseres Aufenthaltsortes, da legen wir viel Wert drauf – Bewegungsfreiheit, Freizügigkeit. Immer schon ist dieses Recht unter Vorbehalt und mit Ausnahmen verbunden. Sie dürfen auch in normalen Situationen Quarantänestationen von Kliniken nicht betreten – jetzt wird der Raum der Quarantäne eben erweitert, das ist natürlich eine Einschränkung, aber es ist keine Einschränkung von Freiheit.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.