Mit Kopftuch keine Karriere
Ein Fall von Diskriminierung? Zwei von drei türkischen Frauen tragen ein Kopftuch - und haben deshalb oft Schwierigkeiten im Arbeitsleben. In keinem anderen Land von Europa bis Zentralasien sind so wenig Frauen berufstätig wie in der Türkei.
Der große Spiegel ist längst beschlagen, nur hier und dort hat jemand eine Stelle frei gewischt, um den Lippenstift nachzuziehen oder die Frisur zu überprüfen. Ein Dutzend laut schwatzender Studentinnen drängelt sich auf der Damentoilette der Istanbul-Universität. Es riecht nach süßem Parfüm und Haarspray – die meisten der jungen Frauen tragen die langen Haare offen. Hümeyra fällt auf: Ihr schwarzer Mantel reicht bis übers Knie, ein grauer Rollkragen bedeckt den Hals, ein rot-blaues Seidenkopftuch lässt nur das dezent geschminkte Gesicht frei. Ohne dieses Kopftuch, sagt Hümeyra, die selbstbewusst und elegant dasteht, fühlt sie sich schwach, "irgendwie erniedrigt”.
"Weil die dich irgendwie in so ein Kostüm stecken. Die wollen dich so haben, wie die es wollen. Und das ist irgendwie eine Einschränkung für eine Persönlichkeit. Und von den Werten auch, die ein Teil von dir sind."
Hümeyra ist in Düsseldorf aufgewachsen – in Istanbul studiert sie nun Deutsch auf Lehramt. Die Uni-Toilette ist dabei einer ihrer vertrautesten Orte geworden. Mehrmals am Tag kommt sie hierher, weil ihre Professoren sie mit Kopftuch nicht am Seminar teilnehmen lassen. Vor dem Unterricht zieht sie das Kopftuch aus, gleich danach legt sie es wieder an. Aus, an, aus, an.
"Also ich hatte mehrere Freundinnen, die sich den Kopf rasiert hatten. Aber wenn ich hierhin komme, dann ziehe ich einfach das Kopftuch aus. Egal, ob meine Haare in die Luft stehen oder durcheinander sind. Das ist mir so scheißegal. Weil ich denke mir, ich mach das nicht freiwillig. Und ich mach nur das, was die von mir wollen. Aber wie ich das mache, das sollen die dann mir überlassen. Weil ich kann mich jetzt nicht noch für die schick machen, weil ich fühle mich total elend dabei."
Erst wenige Wochen ist es her, dass der oberste Hochschulrat der Türkei das Kopftuchverbot an Universitäten aufgehoben hat. Eigentlich dürfen Studentinnen wie Hümeyra nun nicht mehr vom Unterricht ausgeschlossen werden. Das Ergebnis ist jedoch ein völliges Chaos: Einige Dozenten lassen Kopftücher zu, andere nicht. Einige verweigern den Studentinnen nur den Zutritt zum Klassenraum, andere lassen sie gar nicht erst auf den Campus. Wieder andere schießen ungefragt Fotos von Kopftuchträgerinnen, denn der Hochschulrat hat um Meldung gebeten.
Mittagspause. Hümeyra steht jetzt mit einem Pappbecher Nescafe vor dem Unigebäufe, zündet sich genervt eine Zigarette an. Mit 16 Jahren kam sie aus Düsseldorf in die Türkei – dass ihr Kopftuch ausgerechnet hier zum Problem werden könnte, hätte sie sich nicht träumen lassen.
"Also, wo ich in die Türkei gezogen bin, ich konnte Deutsch, Englisch, Französisch. Und dann hab ich mich halt für Jobs beworben. Dann hatte ich ein Bewerbungsgespräch, erstmal mit Kopftuch. Und dann haben die gesagt, du hast super Qualifikationen, du bist zu viel für uns eigentlich. Aber, das Problem ist, wir haben nur eine Vordertür. Und wenn du da rein kommst, von der Vordertür, dann werden dich alle sehen. So nach dem Motto: Wir haben keine Hintertür, wo du reinkannst, und deswegen kannst du hier nicht anfangen."
Nach mehreren Absagen wegen ihres Kopftuchs gab Hümeyra die Jobsuche schließlich auf und entschied sich für ein Studium – und für den Kompromiss, das Kopftuch während des Unterrichts abzunehmen. Wenn sie es in der Pause wieder anlegt, behandeln sie einige ihrer Professoren automatisch wie Luft, ignorieren sie. Auch viele Kommilitoninnen gucken schief. Aber diesmal will Hümeyra kämpfen:
"Weil ich kenn so viele, die deswegen aufgegeben haben und das sind so schlaue Köpfchen, die haben so viel verloren. Okay, also für manche ist es vielleicht spät, mit 25 noch mal so was anzufangen. Aber diesmal werde ich nicht aufgeben, bis zum Ende durchziehen!"
Doch das Ende könnte schon bald kommen. Denn egal wie gut sie ihr Studium abschließt: Als Lehrerin darf Hümeyra mit Kopftuch an keiner türkischen Schule unterrichten. Auch wenn Kopftücher an türkischen Universitäten nun erlaubt sind – für das Leben außerhalb des Campus heißt das noch lange nichts. In allen öffentlichen Einrichtungen – in Schulen, Gerichten, Krankenhäusern, Behörden und Parlamenten – bleiben Kopftücher verboten.
"Es ist Zeit, unsere Perspektive in der Kopftuchdebatte zu verändern. Das Problem liegt nicht mehr nur im Recht auf Bildung oder darin, dass es vielen nicht möglich ist zu studieren. Es ist auch ein Problem auf dem Arbeitsmarkt!"
Die Frau am Rednerpult hat mit Sicherheit noch nie ein Kopftuch getragen. Ihre wallenden, blond gefärbten Haare wirken geradezu wie eine Demonstration dagegen. Dennoch: Die Soziologin Dilek Cindioglu beschäftigt das Thema Kopftuch seit Monaten. Im Auftrag des angesehenen türkischen Forschungsinstituts TESEV hat Cindioglu eine Studie zum Thema Kopftuch und Karriere erstellt. Jetzt steht sie in einem Tagungshotel im Zentrum von Istanbul und stellt ihre Ergebnisse vor. Sämtliche türkische Fernsehkanäle sind vertreten, jede Menge Frauen – mit und ohne Kopftuch – sitzen im Publikum, schreiben eifrig mit. Cindioglus Ergebnisse sind eindeutig:
"Das Kopftuch ist etwas, was auf dem Arbeitsmarkt niemand sehen will. Und so berichten Kopftuchtragende Angestellte immer wieder, dass ihre Chefs wollen, dass sie unsichtbar sind. Nach dem Motto: 'Wir können hier arbeiten, aber man sollte uns nicht sehen.' Das bedeutet zum Beispiel im Hinterzimmer zu arbeiten, oft weit unter ihrer Qualifikation. Und auch, nicht zu Außenterminen gehen zu dürfen."
Eine Stunde lang klickt sich Cindioglu durch Powerpoint-Präsentationen, zitiert Antworten der 79 Akademikerinnen, die für die Studie befragt wurden. Es geht um Juraabsolventinnen, Journalistinnen oder Steuerberaterinnen, die wegen ihres Kopftuchs ausgegrenzt oder gar nicht erst eingestellt wurden. Viele berichten, dass sie für weit weniger Gehalt arbeiten mussten als ihre Kolleginnen ohne Kopftuch, andere fanden trotz exzellenter Ausbildung nur im Supermarkt oder im Callcenter einen Job. Türkische Chefs wissen: Eine Frau mit Kopftuch muss nehmen, was sie kriegen kann. Und so scheint es nicht verwunderlich, meint die Soziologin, dass in einem Land, in dem die Mehrzahl der Frauen nun mal ein Kopftuch trägt, die Frauenerwerbsquote seit Jahren bei nur gut 20 Prozent stagniert.
"Wenn die Leute über die Gründe sprechen, warum so wenig Frauen am Arbeitsleben beteiligt sind, dann heißt es oft, das läge am Traditionalismus und an der Religion der Frauen. Aber die Ergebnisse dieser Studie zeigen uns, dass die meisten Kopftuch tragenden Frauen arbeiten wollen. Auch religiöse Frauen möchten arbeiten und am öffentlichen Leben teilnehmen – genauso wie nicht religiöse oder nicht verschleierte."
Für diese Erkenntnisse – mit denen es die neue TESEV-Studie am nächsten Tag in sämtliche türkische Medien schafft – kämpft Fatma Benli seit mehr als zwölf Jahren. Die 37-Jährige öffnet die Tür zu ihrem neuen Büro im Geschäftszentrum von Istanbul mit einem Taschentuch in der Hand. Hausstauballergie, entschuldigt sie sich lächelnd und zeigt auf die Umzugskartons voller staubiger Akten im Flur. Benli ist Anwältin – und sie trägt ein Kopftuch. Sie hat sich darauf spezialisiert, Studentinnen oder Arbeitnehmerinnen zu verteidigen, die aufgrund ihres Kopftuches diskriminiert werden. Dabei könnte sie selbst ihr größter Fall sein: Als sie Anfang der 90er ihr Jura-Studium beendete, ging das noch mit Kopftuch. Doch als sie zwei Jahre später ihre Doktorarbeit verteidigen wollte, durfte sie den Prüfungsraum nicht mehr betreten. Die Doktorarbeit wurde nie anerkannt. Das Kopftuch zieht sich seitdem wie ein roter Faden durch Benlis Leben und Arbeiten:
"Eine andere Anwältin muss mich vor Gericht vertreten. Ich kann deswegen nicht viele Fälle annehmen, weil das Verteidigen ein Beruf ist, der auf Vertrauen basiert. Klienten geben einem Fälle, weil sie einen kennen, einem vertrauen. Umso mehr stört es sie, wenn vor Gericht dann plötzlich jemand anderes steht. Und auch für mich ist es hart zu sehen, wie da jemand anders an meiner Stelle den Fall verteidigt, den ich vorbereitet und bearbeitet habe."
Benli ist klein und zierlich, mit federnden Schritten durchquert sie den Flur. Alles an ihr wirkt elegant – der taillierte lange Mantel, die braunen Schuhe, passend zum gelbbraunen Kopftuch. Man kann sie sich gut in einem Katalog für islamische Mode vorstellen. Stattdessen aber wurde sie gerade von der Georgetown-University in Washington unter die 500 einflussreichsten muslimischen Frauen der Welt gewählt. Ihre Familie, sagt Benli, hat sie finanziell und psychologisch unterstützt.
"Ich kenne viele andere Anwältinnen, die einfach Hausfrauen sind. Ich finde ihre Situation besonders schlimm. Denn eine Frau, die nicht studiert hat, stört das vielleicht nicht. Sie heiratet, bekommt Kinder, und ist glücklich. Aber eine Frau, die Jura studiert hat und vielleicht auf einer guten Schule war, die bekommt oft wirklich psychische Probleme."
Kein Paragraf der türkischen Verfassung verbietet das Tragen von Kopftüchern. Lediglich eine Kleiderordnung für Beamte von 1982 fordert unbedeckte Köpfe am Arbeitsplatz. Laut dieser Verordnung wären allerdings auch ärmellose Blusen, Kotletten und Jeans verboten! Doch auch ohne Gesetz, gibt Benli zu, verliert sie die meisten ihrer Fälle, in denen sie Kopftuch tragende Frauen vertritt. Denn Republikgründer Atatürks Ideal von einer säkularen, westlichen Türkei steht für viele türkische Richter über dem Gesetz.
"Das hängt damit zusammen, wie man sich bei uns ein modernes Land vorstellt. Kopftuchfrauen können in den Dörfern leben, sie können die Großmutter zuhause sein oder auf dem Markt, aber sie können nicht auf die Universität gehen, sie können keine Ärzte, Anwälte oder Lehrer sein. Wenn du in irgendeiner sonstigen Form diskriminiert wirst, dann gehst du vor Gericht und es geht dagegen vor. Aber beim Thema Kopftuch spielt es keine Rolle wie groß die Diskriminierung ist, du bekommst das Gericht nicht dazu sie zu stoppen."
Benli kommt in Fahrt. "Weil wir in diesem Punkt seit 20 Jahren nicht vorankommen, treten wir beim Thema Frauenrechte auf der Stelle", sagt sie, während sie gleichzeitig eine Nachricht in ihren Blackberry tippt. Das Kopftuchverbot verhindert eine Lösung der viel wichtigeren Probleme – so sieht es Benli. Das Kopftuchverbot ist unsere letzte Bastion gegen den Islamismus – so sehen es ihre Gegner.
"Sie sagen, die Türkei würde ein zweiter Iran. Aber so ist es doch jetzt! Im Iran heißt es: Frauen dürfen sich nicht selbst entscheiden, sie müssen sich verschleiern. Und in der Türkei heißt es: Frauen dürfen sich nicht selbst entscheiden, sie dürfen sich nicht verschleiern, sonst werden sie eingeschränkt. Das ist doch die gleiche Mentalität: Der Staat entscheidet für die Frauen."
Freitagabend – bevor Mustafa Kemal Atatürk seinem Land eine strikte Europa-Orientierung verordnete, war der Freitag einmal der heilige Tag der Türkei. Heute ist er für die meisten Istanbuler nichts anderes mehr als der Beginn des Wochenendes. Die Bars im Istanbuler Viertel Kadiköy sind proppenvoll, junge Türken trinken Bier aus Zapfsäulen, die direkt auf den Tischen stehen.
Eine Welt, die unendlich weit weg erscheint von der, in der Fatma Benli jeden Morgen ihr Kopftuch anlegt. "Sie kann gar nicht weit genug weg sein", schreit die 27-jährige Nevra gegen den Lärmpegel an und hebt ihr Bierglas. Nevra arbeitet in der Marketingabteilung einer großen Schokoladen-Firma. Würde sie in der Personalabteilung sitzen, würde sie niemanden mit Kopftuch einstellen, sagt sie zwischen zwei Schlucken. "Wer ein Kopftuchtuch trägt wird nicht ausgeschlossen, sondern schließt sich selbst aus!"
"Mir sind Kolleginnen ohne Kopftuch viel lieber! Sie sind moderner, offener und sozialer. Wenn sie verschleiert sind, schotten sie sich selbst ab. Du kommst nie richtig nah an sie heran, kannst immer nur bis zu einem bestimmten Punkt mit ihnen teilen. Sogar, wenn du in ein Café gehen willst, weißt du nicht, ob sie wohl mitkommen oder nicht. Und bei vielen ist es doch einfach nur offensichtlich, dass sie das Kopftuch nicht wirklich tragen, um sich zu bedecken. Sie benutzen es als ein politisches Symbol!"
Nevra spricht aus, worum es beim Kopftuchstreit in der Türkei längst geht: Nicht die Religionsfreiheit und nicht die Frauenrechte stecken immer öfter hinter den hitzigen Diskussionen, sondern Parteipolitik! Für oder gegen das Kopftuchverbot – das bedeutet längst: für oder gegen die regierende AK-Partei von Ministerpräsident Erdogan. Dass sowohl die Frau des aktuellen Präsidenten Abdullah Gül als auch die von Ministerpräsident Erdogan Kopftuch tragen, zeigt sehr deutlich, wer im Moment die Macht in der Türkei innehat. Denn obwohl die Gegner sich mit Händen und Füßen gegen die Salonfähigkeit des Kopftuchs wehren – ihre Macht bröckelt. Nevra, für die die AKP nichts als Rückständigkeit und Fanatismus bedeutet, ist genau deswegen wütend.
"Wenn sie das Kopftuch ganz normal nutzen würden, wie unsere Großmütter, ohne irgendwelche politischen Ideen dahinter, dann wären wir nicht an diesen Punkt gelangt. Aber immer, wenn es zum Symbol wird, wenn sie Zeichen geben wollen nach dem Motto: Ich binde es unterm Kinn oder an der Seite, ich verändere hier etwas oder dort, dann beginnt es die Gesellschaft zu teilen!"
Die Emotionen, mit denen die Kopftuchdebatte jeden Tag in türkischen Teehäusern geführt wird, zeigt: Der Streit um ein Stück Stoff steht längst stellvertretend für den Streit um die Zukunft des Landes. Die Verlierer sind Millionen von türkischen Frauen, die wegen ihres Kopftuchs wenn überhaupt als Putzfrau, Zimmermädchen oder Kassiererin arbeiten – anstatt als Lehrerin, Ärztin oder Anwältin.
"Weil die dich irgendwie in so ein Kostüm stecken. Die wollen dich so haben, wie die es wollen. Und das ist irgendwie eine Einschränkung für eine Persönlichkeit. Und von den Werten auch, die ein Teil von dir sind."
Hümeyra ist in Düsseldorf aufgewachsen – in Istanbul studiert sie nun Deutsch auf Lehramt. Die Uni-Toilette ist dabei einer ihrer vertrautesten Orte geworden. Mehrmals am Tag kommt sie hierher, weil ihre Professoren sie mit Kopftuch nicht am Seminar teilnehmen lassen. Vor dem Unterricht zieht sie das Kopftuch aus, gleich danach legt sie es wieder an. Aus, an, aus, an.
"Also ich hatte mehrere Freundinnen, die sich den Kopf rasiert hatten. Aber wenn ich hierhin komme, dann ziehe ich einfach das Kopftuch aus. Egal, ob meine Haare in die Luft stehen oder durcheinander sind. Das ist mir so scheißegal. Weil ich denke mir, ich mach das nicht freiwillig. Und ich mach nur das, was die von mir wollen. Aber wie ich das mache, das sollen die dann mir überlassen. Weil ich kann mich jetzt nicht noch für die schick machen, weil ich fühle mich total elend dabei."
Erst wenige Wochen ist es her, dass der oberste Hochschulrat der Türkei das Kopftuchverbot an Universitäten aufgehoben hat. Eigentlich dürfen Studentinnen wie Hümeyra nun nicht mehr vom Unterricht ausgeschlossen werden. Das Ergebnis ist jedoch ein völliges Chaos: Einige Dozenten lassen Kopftücher zu, andere nicht. Einige verweigern den Studentinnen nur den Zutritt zum Klassenraum, andere lassen sie gar nicht erst auf den Campus. Wieder andere schießen ungefragt Fotos von Kopftuchträgerinnen, denn der Hochschulrat hat um Meldung gebeten.
Mittagspause. Hümeyra steht jetzt mit einem Pappbecher Nescafe vor dem Unigebäufe, zündet sich genervt eine Zigarette an. Mit 16 Jahren kam sie aus Düsseldorf in die Türkei – dass ihr Kopftuch ausgerechnet hier zum Problem werden könnte, hätte sie sich nicht träumen lassen.
"Also, wo ich in die Türkei gezogen bin, ich konnte Deutsch, Englisch, Französisch. Und dann hab ich mich halt für Jobs beworben. Dann hatte ich ein Bewerbungsgespräch, erstmal mit Kopftuch. Und dann haben die gesagt, du hast super Qualifikationen, du bist zu viel für uns eigentlich. Aber, das Problem ist, wir haben nur eine Vordertür. Und wenn du da rein kommst, von der Vordertür, dann werden dich alle sehen. So nach dem Motto: Wir haben keine Hintertür, wo du reinkannst, und deswegen kannst du hier nicht anfangen."
Nach mehreren Absagen wegen ihres Kopftuchs gab Hümeyra die Jobsuche schließlich auf und entschied sich für ein Studium – und für den Kompromiss, das Kopftuch während des Unterrichts abzunehmen. Wenn sie es in der Pause wieder anlegt, behandeln sie einige ihrer Professoren automatisch wie Luft, ignorieren sie. Auch viele Kommilitoninnen gucken schief. Aber diesmal will Hümeyra kämpfen:
"Weil ich kenn so viele, die deswegen aufgegeben haben und das sind so schlaue Köpfchen, die haben so viel verloren. Okay, also für manche ist es vielleicht spät, mit 25 noch mal so was anzufangen. Aber diesmal werde ich nicht aufgeben, bis zum Ende durchziehen!"
Doch das Ende könnte schon bald kommen. Denn egal wie gut sie ihr Studium abschließt: Als Lehrerin darf Hümeyra mit Kopftuch an keiner türkischen Schule unterrichten. Auch wenn Kopftücher an türkischen Universitäten nun erlaubt sind – für das Leben außerhalb des Campus heißt das noch lange nichts. In allen öffentlichen Einrichtungen – in Schulen, Gerichten, Krankenhäusern, Behörden und Parlamenten – bleiben Kopftücher verboten.
"Es ist Zeit, unsere Perspektive in der Kopftuchdebatte zu verändern. Das Problem liegt nicht mehr nur im Recht auf Bildung oder darin, dass es vielen nicht möglich ist zu studieren. Es ist auch ein Problem auf dem Arbeitsmarkt!"
Die Frau am Rednerpult hat mit Sicherheit noch nie ein Kopftuch getragen. Ihre wallenden, blond gefärbten Haare wirken geradezu wie eine Demonstration dagegen. Dennoch: Die Soziologin Dilek Cindioglu beschäftigt das Thema Kopftuch seit Monaten. Im Auftrag des angesehenen türkischen Forschungsinstituts TESEV hat Cindioglu eine Studie zum Thema Kopftuch und Karriere erstellt. Jetzt steht sie in einem Tagungshotel im Zentrum von Istanbul und stellt ihre Ergebnisse vor. Sämtliche türkische Fernsehkanäle sind vertreten, jede Menge Frauen – mit und ohne Kopftuch – sitzen im Publikum, schreiben eifrig mit. Cindioglus Ergebnisse sind eindeutig:
"Das Kopftuch ist etwas, was auf dem Arbeitsmarkt niemand sehen will. Und so berichten Kopftuchtragende Angestellte immer wieder, dass ihre Chefs wollen, dass sie unsichtbar sind. Nach dem Motto: 'Wir können hier arbeiten, aber man sollte uns nicht sehen.' Das bedeutet zum Beispiel im Hinterzimmer zu arbeiten, oft weit unter ihrer Qualifikation. Und auch, nicht zu Außenterminen gehen zu dürfen."
Eine Stunde lang klickt sich Cindioglu durch Powerpoint-Präsentationen, zitiert Antworten der 79 Akademikerinnen, die für die Studie befragt wurden. Es geht um Juraabsolventinnen, Journalistinnen oder Steuerberaterinnen, die wegen ihres Kopftuchs ausgegrenzt oder gar nicht erst eingestellt wurden. Viele berichten, dass sie für weit weniger Gehalt arbeiten mussten als ihre Kolleginnen ohne Kopftuch, andere fanden trotz exzellenter Ausbildung nur im Supermarkt oder im Callcenter einen Job. Türkische Chefs wissen: Eine Frau mit Kopftuch muss nehmen, was sie kriegen kann. Und so scheint es nicht verwunderlich, meint die Soziologin, dass in einem Land, in dem die Mehrzahl der Frauen nun mal ein Kopftuch trägt, die Frauenerwerbsquote seit Jahren bei nur gut 20 Prozent stagniert.
"Wenn die Leute über die Gründe sprechen, warum so wenig Frauen am Arbeitsleben beteiligt sind, dann heißt es oft, das läge am Traditionalismus und an der Religion der Frauen. Aber die Ergebnisse dieser Studie zeigen uns, dass die meisten Kopftuch tragenden Frauen arbeiten wollen. Auch religiöse Frauen möchten arbeiten und am öffentlichen Leben teilnehmen – genauso wie nicht religiöse oder nicht verschleierte."
Für diese Erkenntnisse – mit denen es die neue TESEV-Studie am nächsten Tag in sämtliche türkische Medien schafft – kämpft Fatma Benli seit mehr als zwölf Jahren. Die 37-Jährige öffnet die Tür zu ihrem neuen Büro im Geschäftszentrum von Istanbul mit einem Taschentuch in der Hand. Hausstauballergie, entschuldigt sie sich lächelnd und zeigt auf die Umzugskartons voller staubiger Akten im Flur. Benli ist Anwältin – und sie trägt ein Kopftuch. Sie hat sich darauf spezialisiert, Studentinnen oder Arbeitnehmerinnen zu verteidigen, die aufgrund ihres Kopftuches diskriminiert werden. Dabei könnte sie selbst ihr größter Fall sein: Als sie Anfang der 90er ihr Jura-Studium beendete, ging das noch mit Kopftuch. Doch als sie zwei Jahre später ihre Doktorarbeit verteidigen wollte, durfte sie den Prüfungsraum nicht mehr betreten. Die Doktorarbeit wurde nie anerkannt. Das Kopftuch zieht sich seitdem wie ein roter Faden durch Benlis Leben und Arbeiten:
"Eine andere Anwältin muss mich vor Gericht vertreten. Ich kann deswegen nicht viele Fälle annehmen, weil das Verteidigen ein Beruf ist, der auf Vertrauen basiert. Klienten geben einem Fälle, weil sie einen kennen, einem vertrauen. Umso mehr stört es sie, wenn vor Gericht dann plötzlich jemand anderes steht. Und auch für mich ist es hart zu sehen, wie da jemand anders an meiner Stelle den Fall verteidigt, den ich vorbereitet und bearbeitet habe."
Benli ist klein und zierlich, mit federnden Schritten durchquert sie den Flur. Alles an ihr wirkt elegant – der taillierte lange Mantel, die braunen Schuhe, passend zum gelbbraunen Kopftuch. Man kann sie sich gut in einem Katalog für islamische Mode vorstellen. Stattdessen aber wurde sie gerade von der Georgetown-University in Washington unter die 500 einflussreichsten muslimischen Frauen der Welt gewählt. Ihre Familie, sagt Benli, hat sie finanziell und psychologisch unterstützt.
"Ich kenne viele andere Anwältinnen, die einfach Hausfrauen sind. Ich finde ihre Situation besonders schlimm. Denn eine Frau, die nicht studiert hat, stört das vielleicht nicht. Sie heiratet, bekommt Kinder, und ist glücklich. Aber eine Frau, die Jura studiert hat und vielleicht auf einer guten Schule war, die bekommt oft wirklich psychische Probleme."
Kein Paragraf der türkischen Verfassung verbietet das Tragen von Kopftüchern. Lediglich eine Kleiderordnung für Beamte von 1982 fordert unbedeckte Köpfe am Arbeitsplatz. Laut dieser Verordnung wären allerdings auch ärmellose Blusen, Kotletten und Jeans verboten! Doch auch ohne Gesetz, gibt Benli zu, verliert sie die meisten ihrer Fälle, in denen sie Kopftuch tragende Frauen vertritt. Denn Republikgründer Atatürks Ideal von einer säkularen, westlichen Türkei steht für viele türkische Richter über dem Gesetz.
"Das hängt damit zusammen, wie man sich bei uns ein modernes Land vorstellt. Kopftuchfrauen können in den Dörfern leben, sie können die Großmutter zuhause sein oder auf dem Markt, aber sie können nicht auf die Universität gehen, sie können keine Ärzte, Anwälte oder Lehrer sein. Wenn du in irgendeiner sonstigen Form diskriminiert wirst, dann gehst du vor Gericht und es geht dagegen vor. Aber beim Thema Kopftuch spielt es keine Rolle wie groß die Diskriminierung ist, du bekommst das Gericht nicht dazu sie zu stoppen."
Benli kommt in Fahrt. "Weil wir in diesem Punkt seit 20 Jahren nicht vorankommen, treten wir beim Thema Frauenrechte auf der Stelle", sagt sie, während sie gleichzeitig eine Nachricht in ihren Blackberry tippt. Das Kopftuchverbot verhindert eine Lösung der viel wichtigeren Probleme – so sieht es Benli. Das Kopftuchverbot ist unsere letzte Bastion gegen den Islamismus – so sehen es ihre Gegner.
"Sie sagen, die Türkei würde ein zweiter Iran. Aber so ist es doch jetzt! Im Iran heißt es: Frauen dürfen sich nicht selbst entscheiden, sie müssen sich verschleiern. Und in der Türkei heißt es: Frauen dürfen sich nicht selbst entscheiden, sie dürfen sich nicht verschleiern, sonst werden sie eingeschränkt. Das ist doch die gleiche Mentalität: Der Staat entscheidet für die Frauen."
Freitagabend – bevor Mustafa Kemal Atatürk seinem Land eine strikte Europa-Orientierung verordnete, war der Freitag einmal der heilige Tag der Türkei. Heute ist er für die meisten Istanbuler nichts anderes mehr als der Beginn des Wochenendes. Die Bars im Istanbuler Viertel Kadiköy sind proppenvoll, junge Türken trinken Bier aus Zapfsäulen, die direkt auf den Tischen stehen.
Eine Welt, die unendlich weit weg erscheint von der, in der Fatma Benli jeden Morgen ihr Kopftuch anlegt. "Sie kann gar nicht weit genug weg sein", schreit die 27-jährige Nevra gegen den Lärmpegel an und hebt ihr Bierglas. Nevra arbeitet in der Marketingabteilung einer großen Schokoladen-Firma. Würde sie in der Personalabteilung sitzen, würde sie niemanden mit Kopftuch einstellen, sagt sie zwischen zwei Schlucken. "Wer ein Kopftuchtuch trägt wird nicht ausgeschlossen, sondern schließt sich selbst aus!"
"Mir sind Kolleginnen ohne Kopftuch viel lieber! Sie sind moderner, offener und sozialer. Wenn sie verschleiert sind, schotten sie sich selbst ab. Du kommst nie richtig nah an sie heran, kannst immer nur bis zu einem bestimmten Punkt mit ihnen teilen. Sogar, wenn du in ein Café gehen willst, weißt du nicht, ob sie wohl mitkommen oder nicht. Und bei vielen ist es doch einfach nur offensichtlich, dass sie das Kopftuch nicht wirklich tragen, um sich zu bedecken. Sie benutzen es als ein politisches Symbol!"
Nevra spricht aus, worum es beim Kopftuchstreit in der Türkei längst geht: Nicht die Religionsfreiheit und nicht die Frauenrechte stecken immer öfter hinter den hitzigen Diskussionen, sondern Parteipolitik! Für oder gegen das Kopftuchverbot – das bedeutet längst: für oder gegen die regierende AK-Partei von Ministerpräsident Erdogan. Dass sowohl die Frau des aktuellen Präsidenten Abdullah Gül als auch die von Ministerpräsident Erdogan Kopftuch tragen, zeigt sehr deutlich, wer im Moment die Macht in der Türkei innehat. Denn obwohl die Gegner sich mit Händen und Füßen gegen die Salonfähigkeit des Kopftuchs wehren – ihre Macht bröckelt. Nevra, für die die AKP nichts als Rückständigkeit und Fanatismus bedeutet, ist genau deswegen wütend.
"Wenn sie das Kopftuch ganz normal nutzen würden, wie unsere Großmütter, ohne irgendwelche politischen Ideen dahinter, dann wären wir nicht an diesen Punkt gelangt. Aber immer, wenn es zum Symbol wird, wenn sie Zeichen geben wollen nach dem Motto: Ich binde es unterm Kinn oder an der Seite, ich verändere hier etwas oder dort, dann beginnt es die Gesellschaft zu teilen!"
Die Emotionen, mit denen die Kopftuchdebatte jeden Tag in türkischen Teehäusern geführt wird, zeigt: Der Streit um ein Stück Stoff steht längst stellvertretend für den Streit um die Zukunft des Landes. Die Verlierer sind Millionen von türkischen Frauen, die wegen ihres Kopftuchs wenn überhaupt als Putzfrau, Zimmermädchen oder Kassiererin arbeiten – anstatt als Lehrerin, Ärztin oder Anwältin.