Mit leichter Hand
Christoph Poschenrieder beschreibt in seinem Roman "Die Welt ist im Kopf" einen Philosophen - und gibt einen Stimmungsbericht der Zeit um 1818.
"Lebe und sei so glücklich, als du kannst" - das ist der berühmte Satz, den die Weimarer Salondame Johanna Schopenhauer ihrem Sohn Arthur mit auf den Lebensweg gab. "Sie hatte dies wohl als Fluchwort gemeint, unterstellend, ihr Sohn, der Zauderer, Grämliche, Grübler, Verschlossene, so wie dessen Charakter nun einmal sei, könne kaum je glücklich werden, so wenig wie eine Schnecke ein Stöckchen überspringen kann."
In Christoph Poschenrieders Schopenhauer-Roman "Die Welt ist im Kopf" - einem der bemerkenswertesten Debüts des Frühjahrs – springt die Schnecke übers Stöckchen. Wir erleben den bärbeißigen Pessimisten, misanthropischen Mitleidsethiker und Frauenverächter einmal ganz anders, nämlich beinahe glücklich.
Gerade hat der Dreißigjährige "Die Welt als Wille und Vorstellung" abgeschlossen. Nun begibt er sich auf Bildungsreise in den Süden und verbringt den Winter 1818/19 in Venedig. Die Stadt steht im Bann eines weltberühmten Don Juan: Lord Byron. Schopenhauer hat ein Empfehlungsschreiben von Goethe in der Tasche.
Und bald lernt er selbst eine erotisch aufgeschlossene Metzgerstochter kennen und lieben. Das alles ist zu großen Teilen historisch verbürgt, wie auch jene Aspekte, die die Harmonie stören: die schwangere Geliebte in Dresden, der Ärger mit Verleger Brockhaus, die sich abzeichnende verunglückte Rezeption des Hauptwerks, der Konkurs des Danziger Handelshauses Muhl, bei dem die Schopenhauers einen großen Teil ihres Vermögens verloren.
Mit leichter Hand, in einer eleganten, unaufdringlich historisierenden Sprache entfaltet Poschenrieder ein detailsattes Panorama der frühen Biedermeierzeit. Venedig steht unter österreichischer Besatzung, allerorten machen die Spitzel Metternichs lange Ohren – und observieren (erfundenerweise) auch Schopenhauer.
Metternich selbst hat einige Auftritte im Roman, auch Goethe, Johanna Schopenhauer und andere Größen der Zeit werden gekonnt vergegenwärtigt. Byron wird gar zur zweiten Hauptfigur. Immer wieder beweist der Autor sein Talent für sinnfällige Pointen: etwa dass die anmutige Teresa bei der ersten Begegnung mit dem Lebensphilosophen einen Kübel mit Gedärmen schwenkt.
Von der Wucht und dem Furor allerdings, mit der Schopenhauer die Leiden der Welt und die Übel der Existenz durchdekliniert, spürt man vergleichsweise wenig, obwohl Poschenrieder eine ganze Reihe von Originalzitaten einmontiert. Es liegt in der Natur der Sache: Wer einen verliebten Schopenhauer zeigen will, der sich von italienischer Lebensfreude anstecken lässt und unter Schwielenbildung selbst das Gondelfahren erlernt – der wird das Faszinosum dieses Philosophen, von dem so viele Künstler, Musiker und Schriftsteller in den Bann gezogen wurden (Wagner, Proust, Svevo, Beckett, Thomas Mann und Thomas Bernhard gehörten zu den bekennenden Schopenhauerianer) nur schwer vermitteln können.
Ein ähnliches Problem ergibt sich aus der Handlung: Ein Byron-Besuch, der nicht stattfindet, eine Polizeistaats-Posse, die auf einem Verschreiber beruht (Schopenhauer "fassen" statt ihn in Ruhe "lassen"). Beides entspricht zwar wunderbar dem illusionären, trughaften Charakter der Welt, wie Schopenhauer sie sah, kann aber nicht verhindern, dass dem Roman ein wirklich überzeugender Plot fehlt, weshalb er im Finale merklich schwächelt. Dafür hat er viele geglückte Momente, die sich einprägen. Die Szene etwa, in der der Philosoph am Lido erleben muss, wie seine Teresa Schreie libidinöser Begeisterung ausstößt, als Superstar Byron so rasant vorbeigaloppiert, dass der Strand bebt.
Eindrucksvolle Schilderungen von Tierquälereien sind es schließlich, die am ehesten das kreatürliche Leiden im Geist Schopenhauers nahe bringen: malträtierte Kutschpferde bei der Alpenüberquerung und ein Elefant, der aus seinem Käfig ausbricht und in Venedig eine Spur der Verwüstung hinterlässt. Der brünftige Bulle sucht dringend eine Partnerin. Er ist jedoch der einzige Elefant in der Stadt und wird mit einer Kanone zur Strecke gebracht.
Besprochen von Wolfgang Schneider
Christoph Poschenrieder: Die Welt ist im Kopf
Roman. Diogenes Verlag, Zürich 2010. 342 Seiten, 21,90 Euro
In Christoph Poschenrieders Schopenhauer-Roman "Die Welt ist im Kopf" - einem der bemerkenswertesten Debüts des Frühjahrs – springt die Schnecke übers Stöckchen. Wir erleben den bärbeißigen Pessimisten, misanthropischen Mitleidsethiker und Frauenverächter einmal ganz anders, nämlich beinahe glücklich.
Gerade hat der Dreißigjährige "Die Welt als Wille und Vorstellung" abgeschlossen. Nun begibt er sich auf Bildungsreise in den Süden und verbringt den Winter 1818/19 in Venedig. Die Stadt steht im Bann eines weltberühmten Don Juan: Lord Byron. Schopenhauer hat ein Empfehlungsschreiben von Goethe in der Tasche.
Und bald lernt er selbst eine erotisch aufgeschlossene Metzgerstochter kennen und lieben. Das alles ist zu großen Teilen historisch verbürgt, wie auch jene Aspekte, die die Harmonie stören: die schwangere Geliebte in Dresden, der Ärger mit Verleger Brockhaus, die sich abzeichnende verunglückte Rezeption des Hauptwerks, der Konkurs des Danziger Handelshauses Muhl, bei dem die Schopenhauers einen großen Teil ihres Vermögens verloren.
Mit leichter Hand, in einer eleganten, unaufdringlich historisierenden Sprache entfaltet Poschenrieder ein detailsattes Panorama der frühen Biedermeierzeit. Venedig steht unter österreichischer Besatzung, allerorten machen die Spitzel Metternichs lange Ohren – und observieren (erfundenerweise) auch Schopenhauer.
Metternich selbst hat einige Auftritte im Roman, auch Goethe, Johanna Schopenhauer und andere Größen der Zeit werden gekonnt vergegenwärtigt. Byron wird gar zur zweiten Hauptfigur. Immer wieder beweist der Autor sein Talent für sinnfällige Pointen: etwa dass die anmutige Teresa bei der ersten Begegnung mit dem Lebensphilosophen einen Kübel mit Gedärmen schwenkt.
Von der Wucht und dem Furor allerdings, mit der Schopenhauer die Leiden der Welt und die Übel der Existenz durchdekliniert, spürt man vergleichsweise wenig, obwohl Poschenrieder eine ganze Reihe von Originalzitaten einmontiert. Es liegt in der Natur der Sache: Wer einen verliebten Schopenhauer zeigen will, der sich von italienischer Lebensfreude anstecken lässt und unter Schwielenbildung selbst das Gondelfahren erlernt – der wird das Faszinosum dieses Philosophen, von dem so viele Künstler, Musiker und Schriftsteller in den Bann gezogen wurden (Wagner, Proust, Svevo, Beckett, Thomas Mann und Thomas Bernhard gehörten zu den bekennenden Schopenhauerianer) nur schwer vermitteln können.
Ein ähnliches Problem ergibt sich aus der Handlung: Ein Byron-Besuch, der nicht stattfindet, eine Polizeistaats-Posse, die auf einem Verschreiber beruht (Schopenhauer "fassen" statt ihn in Ruhe "lassen"). Beides entspricht zwar wunderbar dem illusionären, trughaften Charakter der Welt, wie Schopenhauer sie sah, kann aber nicht verhindern, dass dem Roman ein wirklich überzeugender Plot fehlt, weshalb er im Finale merklich schwächelt. Dafür hat er viele geglückte Momente, die sich einprägen. Die Szene etwa, in der der Philosoph am Lido erleben muss, wie seine Teresa Schreie libidinöser Begeisterung ausstößt, als Superstar Byron so rasant vorbeigaloppiert, dass der Strand bebt.
Eindrucksvolle Schilderungen von Tierquälereien sind es schließlich, die am ehesten das kreatürliche Leiden im Geist Schopenhauers nahe bringen: malträtierte Kutschpferde bei der Alpenüberquerung und ein Elefant, der aus seinem Käfig ausbricht und in Venedig eine Spur der Verwüstung hinterlässt. Der brünftige Bulle sucht dringend eine Partnerin. Er ist jedoch der einzige Elefant in der Stadt und wird mit einer Kanone zur Strecke gebracht.
Besprochen von Wolfgang Schneider
Christoph Poschenrieder: Die Welt ist im Kopf
Roman. Diogenes Verlag, Zürich 2010. 342 Seiten, 21,90 Euro