Mit Leichtigkeit ernste Gedanken anstoßen
Bei den Installationen von Tomás Saraceno geht es fast immer ziemlich luftig, filigran und überdimensioniert zu. Im Hamburger Bahnhof in Berlin kann man jetzt einige Ballonmodule des argentinischen Künstlers erleben, betrachten und betreten.
Tomás Saracenos Skulpturen erinnern an Seifenblasen oder an überdimensionierte Spinnennetze. Seine Kunst besteht darin riesige Ballons aufzublasen, oder Stricke geschickt miteinander zu verknüpfen. Mit einem solchem "Spinnennetz" sorgte er etwa auf der Biennale in Venedig vor zwei Jahren für Furore. Und auch sonst stehen seine luftig filigranen Arbeiten hoch im Kurs der Szene.
Jetzt ist der argentinische Künstler im Hamburger Bahnhof in Berlin zu Gast und bespielt mit seiner ersten großen Einzelausstellung in Deutschland die große Halle des Museums. Denn für seine vertrackten Verknüpfungen und seine mit Luft gefüllten PVC-Ballons braucht Saraceno vor allem eins - Platz. Schließlich sind seine Plastiken zum Teil sogar begehbar. Und unsere Autorin Barbara Wiegand ist mit dem Künstler auf Erlebnisreise gegangen, besser gesagt auf Klettertour
Schwindel erregend steil, mit tückisch schmalen Tritten ist die Treppe, die hinauf führt unter die Kuppel von Tomás Saracenos Observatorium - der mit zehn Metern Durchmesser wohl raumgreifendsten Skulptur der Ausstellung. Sechs Meter hoch steigt man an der durchsichtigen, mit Seilern umspannten und mit einzelnen Flechten bewachsenen Außenhaut dieser Sternwarte hinauf zu einer Art Aussichtsplattform, die sich als Sprungturm erweist - hinein ins Nichts.
Genauer gesagt hinauf, auf die Klarsicht-Hülle eines zweiten, im Inneren der großen Kugel aufgeblasenen Ballons. "Cloud Cities" - Wolkenstädte lautet der Titel der Schau. Und tatsächlich fühlt man sich dort oben an jene losgelösten Träume erinnert, in denen man sich in himmlischen Sphären bewegt. In der Museumsrealität vertraut man ganz der Festigkeit des PVC-Materials und genießt diesen Abenteuerspielplatz Kunst. Tomás Saraceno:
"Es ist wie ein großes weiches Kissen, mit jedem Schritt sinkt man ein."
Was für ein Spaß, wenn man die ersten Schritte wagt, wenn man sich in eine vom eigenen Körper geformte Mulde bettet und sein Bild in der spiegelnden Folie am Boden entdeckt - um gleich darauf zu staunen wie sehr man - schwups - absackt, wenn unten jemand das Innere des Ballons betritt und dabei die Außentür der Schleuse offen stehen lässt, so dass Luft entweicht:
"Ich habe gesehen, dass sie am Anfang hier oben sehr ängstlich waren. Also habe ich mich erstmal noch nicht so stark bewegt. Denn jeder Schritt, den ich mache, den merken sie. Dieser Ort verändert sich mit jeder Bewegung seiner Besucher. Und wenn jemand unten reinkommt und die Tür offen lässt dann spürt man hier oben, wie die Luft rausgeht und der Grund unter einem ein Stück wegsackt, weil die Luft rausgeht. Das zeigt, wie sehr wir Menschen unsere Umgebung beeinflussen, unsere Sphäre, wenn sie so wollen. Und es macht uns auf spielerische Art bewusst, was für eine Verantwortung wir haben."
Diese, zuvor bereits in London gezeigte Arbeit ist beispielhaft für die Art und Weise, wie Saraceno mit Leichtigkeit ernste Gedanken anstoßen will. So gesehen sind seine Skulpturen gar nicht so abgehobene Luftschlösser. Zumal große wie kleine Ballons fest am Museumsboden vertäut sind. Umgarnt und miteinander verbunden durch komplex verknüpfte Seile. Ein Netz als Kunstwerk, das Tomás Saraceno den Spinnen abgeschaut hat, die er zu Hause in seinem Frankfurter Studio hält.
Und auch sonst reicht sein Blick weit über den Tellerrand der l'art pour l'art hinaus, dienen Umwelt, moderne Architektur und Technik als Mittel zur Kunst. Er nutzt anpassungsfähige Pflanzen und neueste Kunstfasern. Formt sein Werk nach der Natur oder nach architektonischen Vorbildern, so dass biomorphe Strukturen entstehen. Oder sphärische Kuppeln a la Richard Buckminster Fuller. Ja, sogar Technologien der Raumfahrt fließen in Saracenos Werk ein:
"Ja, vor zwei Jahren habe ich an einer Space University der NASA teilgenommen. Ein irres Erlebnis - wir saßen in einem Flugzeug, das flog 30 Kurven, rauf und runter und danach war man für 15 Sekunden schwerelos. Das ist eine große Erfahrung, wenn man die Erdanziehungskraft verliert, wenn oben auf einmal unten ist und unten oben. Also, ich kann nur sagen, ich bin bereit, wenn wir in Zukunft die Schwerelosigkeit erforschen, wenn wir in Schwerelosigkeit leben können."
Während 20 Tagen, mit Hilfe von 20 Mitarbeitern hat Tomás Saraceno im Hamburger Bahnhof sein Raumlabor errichtet. Ein kleines Universum, das aber bei aller genau berechneten Akribie ganz Kunstwerk und nicht wissenschaftliche Arbeit ist. Zumal er sich nicht festlegen mag, was er genau geschaffen hat. Eine Utopie? Freie Gedankengespinste zu ökologischen und sozialen Belangen?
"Also, mir gefällt es am besten, wenn die Menschen ihre eigenen Assoziationen haben. So verschieden wie die Menschen sind, die meine Kunst betrachten, so unterschiedlich ist das, was sie darin sehen. Meine Mutter zum Beispiel beschäftigt sich viel mit Pflanzen und sie sieht in all diesen Bauten Formen von Mikroorganismen. Ein Mathematiker denkt vielleicht angesichts der komplexen Verknüpfungen neu über die Chaostheorie nach. Ja und Bruno Latour und Peter Sloterdijk haben vor meiner Arbeit schon mal über Soziale Vernetzungen philosophiert."
So mag man beim Gang durch die "Cloud Cities" über die Welt und mögliche Welten sinnieren - losgelöst von trockenen Kunstkonzepten. Und fragt sich am Ende doch, ob das Ganze nüchtern betrachtet nicht nur dekorative Spielerei und aufgeblasenes Event ist. Viel Luft - um wenig? Eine zwiespältige Ausstellung. Zu schön, um anzuecken und nachhaltig zu wirken. Einerseits. Andererseits ist es ein gar nicht so unsinniger, großer Spaß.
Jetzt ist der argentinische Künstler im Hamburger Bahnhof in Berlin zu Gast und bespielt mit seiner ersten großen Einzelausstellung in Deutschland die große Halle des Museums. Denn für seine vertrackten Verknüpfungen und seine mit Luft gefüllten PVC-Ballons braucht Saraceno vor allem eins - Platz. Schließlich sind seine Plastiken zum Teil sogar begehbar. Und unsere Autorin Barbara Wiegand ist mit dem Künstler auf Erlebnisreise gegangen, besser gesagt auf Klettertour
Schwindel erregend steil, mit tückisch schmalen Tritten ist die Treppe, die hinauf führt unter die Kuppel von Tomás Saracenos Observatorium - der mit zehn Metern Durchmesser wohl raumgreifendsten Skulptur der Ausstellung. Sechs Meter hoch steigt man an der durchsichtigen, mit Seilern umspannten und mit einzelnen Flechten bewachsenen Außenhaut dieser Sternwarte hinauf zu einer Art Aussichtsplattform, die sich als Sprungturm erweist - hinein ins Nichts.
Genauer gesagt hinauf, auf die Klarsicht-Hülle eines zweiten, im Inneren der großen Kugel aufgeblasenen Ballons. "Cloud Cities" - Wolkenstädte lautet der Titel der Schau. Und tatsächlich fühlt man sich dort oben an jene losgelösten Träume erinnert, in denen man sich in himmlischen Sphären bewegt. In der Museumsrealität vertraut man ganz der Festigkeit des PVC-Materials und genießt diesen Abenteuerspielplatz Kunst. Tomás Saraceno:
"Es ist wie ein großes weiches Kissen, mit jedem Schritt sinkt man ein."
Was für ein Spaß, wenn man die ersten Schritte wagt, wenn man sich in eine vom eigenen Körper geformte Mulde bettet und sein Bild in der spiegelnden Folie am Boden entdeckt - um gleich darauf zu staunen wie sehr man - schwups - absackt, wenn unten jemand das Innere des Ballons betritt und dabei die Außentür der Schleuse offen stehen lässt, so dass Luft entweicht:
"Ich habe gesehen, dass sie am Anfang hier oben sehr ängstlich waren. Also habe ich mich erstmal noch nicht so stark bewegt. Denn jeder Schritt, den ich mache, den merken sie. Dieser Ort verändert sich mit jeder Bewegung seiner Besucher. Und wenn jemand unten reinkommt und die Tür offen lässt dann spürt man hier oben, wie die Luft rausgeht und der Grund unter einem ein Stück wegsackt, weil die Luft rausgeht. Das zeigt, wie sehr wir Menschen unsere Umgebung beeinflussen, unsere Sphäre, wenn sie so wollen. Und es macht uns auf spielerische Art bewusst, was für eine Verantwortung wir haben."
Diese, zuvor bereits in London gezeigte Arbeit ist beispielhaft für die Art und Weise, wie Saraceno mit Leichtigkeit ernste Gedanken anstoßen will. So gesehen sind seine Skulpturen gar nicht so abgehobene Luftschlösser. Zumal große wie kleine Ballons fest am Museumsboden vertäut sind. Umgarnt und miteinander verbunden durch komplex verknüpfte Seile. Ein Netz als Kunstwerk, das Tomás Saraceno den Spinnen abgeschaut hat, die er zu Hause in seinem Frankfurter Studio hält.
Und auch sonst reicht sein Blick weit über den Tellerrand der l'art pour l'art hinaus, dienen Umwelt, moderne Architektur und Technik als Mittel zur Kunst. Er nutzt anpassungsfähige Pflanzen und neueste Kunstfasern. Formt sein Werk nach der Natur oder nach architektonischen Vorbildern, so dass biomorphe Strukturen entstehen. Oder sphärische Kuppeln a la Richard Buckminster Fuller. Ja, sogar Technologien der Raumfahrt fließen in Saracenos Werk ein:
"Ja, vor zwei Jahren habe ich an einer Space University der NASA teilgenommen. Ein irres Erlebnis - wir saßen in einem Flugzeug, das flog 30 Kurven, rauf und runter und danach war man für 15 Sekunden schwerelos. Das ist eine große Erfahrung, wenn man die Erdanziehungskraft verliert, wenn oben auf einmal unten ist und unten oben. Also, ich kann nur sagen, ich bin bereit, wenn wir in Zukunft die Schwerelosigkeit erforschen, wenn wir in Schwerelosigkeit leben können."
Während 20 Tagen, mit Hilfe von 20 Mitarbeitern hat Tomás Saraceno im Hamburger Bahnhof sein Raumlabor errichtet. Ein kleines Universum, das aber bei aller genau berechneten Akribie ganz Kunstwerk und nicht wissenschaftliche Arbeit ist. Zumal er sich nicht festlegen mag, was er genau geschaffen hat. Eine Utopie? Freie Gedankengespinste zu ökologischen und sozialen Belangen?
"Also, mir gefällt es am besten, wenn die Menschen ihre eigenen Assoziationen haben. So verschieden wie die Menschen sind, die meine Kunst betrachten, so unterschiedlich ist das, was sie darin sehen. Meine Mutter zum Beispiel beschäftigt sich viel mit Pflanzen und sie sieht in all diesen Bauten Formen von Mikroorganismen. Ein Mathematiker denkt vielleicht angesichts der komplexen Verknüpfungen neu über die Chaostheorie nach. Ja und Bruno Latour und Peter Sloterdijk haben vor meiner Arbeit schon mal über Soziale Vernetzungen philosophiert."
So mag man beim Gang durch die "Cloud Cities" über die Welt und mögliche Welten sinnieren - losgelöst von trockenen Kunstkonzepten. Und fragt sich am Ende doch, ob das Ganze nüchtern betrachtet nicht nur dekorative Spielerei und aufgeblasenes Event ist. Viel Luft - um wenig? Eine zwiespältige Ausstellung. Zu schön, um anzuecken und nachhaltig zu wirken. Einerseits. Andererseits ist es ein gar nicht so unsinniger, großer Spaß.