Mit Leidenschaft und Empathie
Das Werk des Sozialpsychologen Arno Gruen zeichnet sich aus durch ein besonderes Werben um mehr Mitmenschlichkeit: Die bestechenden Analysen über die Ursachen des Strebens nach Macht, Ruhm und Zerstörung gipfeln in der Hoffnung auf eine bessere Welt. Rechtzeitig zu seinem 85. Geburtstag ist eine Biografie erschienen.
Die Titel seiner Bücher sind Programm. "Der Verlust des Mitgefühls. Über die Politik der Gleichgültigkeit", "Der Fremde in uns" oder "Der Wahnsinn der Normalität".
Der Psychotherapeut und Sozialpsychologe Arno Gruen erforscht nicht nur mit Leidenschaft und Empathie das Innenleben des Menschen, sondern auch die Gesellschaft um ihn herum. Fragt nach Interdependenzen, Prägungen, Verformungen. Und was geschieht, wenn jemandem fehlt, was jeder Mensch braucht: Ein klares, selbständiges Ich?
Autonomie ist einer der Grundbegriffe seiner Lehre. Ein Mensch, der den Weg nicht findet zu seinen eigenen Gefühlen, zu einem Selbst, wird nicht autonom, sondern angepasst leben. Wird sich der Gesellschaft unterwerfen. Ihre Regeln übernehmen, sich selbst entfremdet bleiben. Das tut weder ihm noch der Gesellschaft gut.
Denn die Destruktivität jener Menschen ist allerorten, die Leid, Schmerz, Gefühle abgespalten haben in sich, die keine Lebendigkeit fühlen, sondern leben in der "Fixierung auf die Pose". Sie brauchen Macht, Ruhm, Geld, Zerstörung, um ihre "eigene, innere Leere" zu füllen. "Der Drang nach Größe", schreibt Gruen, "ist also Ausdruck eines Mangels."
Am 26. Mai dieses Jahres ist Arno Gruen 85 geworden. Rechtzeitig zum Geburtstag schrieb Monika Schiffer eine Biografie dieses beeindruckenden Mannes. Der 1923 in Berlin-Mitte geboren wurde, fliehen musste mit seinen Eltern vor den Nationalsozialisten, über Prag, Warschau, Kopenhagen nach New York gelangte. Wo Gruen die nächsten vierzig Jahre lebt. Bevor er in die Schweiz zieht. In Zürich eine Praxis eröffnet und seine Bücher schreibt. Ein unheilbarer Europäer.
Es ist der Autorin ein kluges Buch gelungen. Indem sie den Lebenslauf des Arno Gruen geschickt verwebt mit den Erkenntnissen des Psychologen. Indem sie uns seine wichtigsten Thesen auf knappem Raum in heller Klarheit vermittelt. Vor allem das gelingt ihr glänzend. Und dürfte ihr umso leichter gefallen sein, da sie bereits mehrfach zusammengearbeitet hat mit Gruen, der ihr in manchen Vorworten seiner Bücher schon dankte für ihre einfühlsame Mitgestaltung.
Vergleichsweise blass liest sich die sehr ausführliche Schilderung der frühen Jahre. Eine merkwürdige Mischung aus kursorischer Zusammenfassung und peniblem Abhaken einzelner Lebensstationen. Als habe die Autorin sich gefürchtet vor diesem Schicksal und sich ihm nur mit empathischer Akkuratesse nähern können.
Das ist schade. Die so intellektuelle wie humane Vehemenz dieses Mannes kommt erst spät im Buch zum Vorschein. Arno Gruen ist eine Ausnahme seiner Zunft. Kaum einer seiner Kollegen schreibt mit einer solchen Kraft der Authentizität. Mit einem derart liebevollen Scharfsinn. Es ist eine Offenbarung, seine Bücher zu lesen. Oft genug verbunden mit schmerzlichen Erkenntnissen. Wenn seine glasklaren Thesen im Selbst des Lesers einen hallenden Resonanzboden finden.
Und offenbar trifft Gruens Analyse der Pathologie der Gesellschaft und der falschen Erziehung, trifft seine Klage der Lieblosigkeit und Erstarrung einen Nerv in unserer kälter werdenden Gesellschaft. Gruens bestechende Analysen provozieren, seine Hoffnung auf eine veränderte Welt durch Liebe und Mitgefühl wärmen. "Die menschliche Entwicklung bietet zwei Möglichkeiten", schreibt er, "die der Liebe und die der Macht."
Rezensiert von Gabriele von Arnim
Monika Schiffer: Arno Gruen. Jenseits des Wahnsinns der Normalität. Biografie
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2008
250 Seiten, 19,90 Euro
Der Psychotherapeut und Sozialpsychologe Arno Gruen erforscht nicht nur mit Leidenschaft und Empathie das Innenleben des Menschen, sondern auch die Gesellschaft um ihn herum. Fragt nach Interdependenzen, Prägungen, Verformungen. Und was geschieht, wenn jemandem fehlt, was jeder Mensch braucht: Ein klares, selbständiges Ich?
Autonomie ist einer der Grundbegriffe seiner Lehre. Ein Mensch, der den Weg nicht findet zu seinen eigenen Gefühlen, zu einem Selbst, wird nicht autonom, sondern angepasst leben. Wird sich der Gesellschaft unterwerfen. Ihre Regeln übernehmen, sich selbst entfremdet bleiben. Das tut weder ihm noch der Gesellschaft gut.
Denn die Destruktivität jener Menschen ist allerorten, die Leid, Schmerz, Gefühle abgespalten haben in sich, die keine Lebendigkeit fühlen, sondern leben in der "Fixierung auf die Pose". Sie brauchen Macht, Ruhm, Geld, Zerstörung, um ihre "eigene, innere Leere" zu füllen. "Der Drang nach Größe", schreibt Gruen, "ist also Ausdruck eines Mangels."
Am 26. Mai dieses Jahres ist Arno Gruen 85 geworden. Rechtzeitig zum Geburtstag schrieb Monika Schiffer eine Biografie dieses beeindruckenden Mannes. Der 1923 in Berlin-Mitte geboren wurde, fliehen musste mit seinen Eltern vor den Nationalsozialisten, über Prag, Warschau, Kopenhagen nach New York gelangte. Wo Gruen die nächsten vierzig Jahre lebt. Bevor er in die Schweiz zieht. In Zürich eine Praxis eröffnet und seine Bücher schreibt. Ein unheilbarer Europäer.
Es ist der Autorin ein kluges Buch gelungen. Indem sie den Lebenslauf des Arno Gruen geschickt verwebt mit den Erkenntnissen des Psychologen. Indem sie uns seine wichtigsten Thesen auf knappem Raum in heller Klarheit vermittelt. Vor allem das gelingt ihr glänzend. Und dürfte ihr umso leichter gefallen sein, da sie bereits mehrfach zusammengearbeitet hat mit Gruen, der ihr in manchen Vorworten seiner Bücher schon dankte für ihre einfühlsame Mitgestaltung.
Vergleichsweise blass liest sich die sehr ausführliche Schilderung der frühen Jahre. Eine merkwürdige Mischung aus kursorischer Zusammenfassung und peniblem Abhaken einzelner Lebensstationen. Als habe die Autorin sich gefürchtet vor diesem Schicksal und sich ihm nur mit empathischer Akkuratesse nähern können.
Das ist schade. Die so intellektuelle wie humane Vehemenz dieses Mannes kommt erst spät im Buch zum Vorschein. Arno Gruen ist eine Ausnahme seiner Zunft. Kaum einer seiner Kollegen schreibt mit einer solchen Kraft der Authentizität. Mit einem derart liebevollen Scharfsinn. Es ist eine Offenbarung, seine Bücher zu lesen. Oft genug verbunden mit schmerzlichen Erkenntnissen. Wenn seine glasklaren Thesen im Selbst des Lesers einen hallenden Resonanzboden finden.
Und offenbar trifft Gruens Analyse der Pathologie der Gesellschaft und der falschen Erziehung, trifft seine Klage der Lieblosigkeit und Erstarrung einen Nerv in unserer kälter werdenden Gesellschaft. Gruens bestechende Analysen provozieren, seine Hoffnung auf eine veränderte Welt durch Liebe und Mitgefühl wärmen. "Die menschliche Entwicklung bietet zwei Möglichkeiten", schreibt er, "die der Liebe und die der Macht."
Rezensiert von Gabriele von Arnim
Monika Schiffer: Arno Gruen. Jenseits des Wahnsinns der Normalität. Biografie
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2008
250 Seiten, 19,90 Euro