Mit Louis in Chicago

Rezensiert von Joachim Scholl |
Der irische Autor Roddy Doyle verbindet in "Jazztime", das im New York und Chicago der 20er und 30er Jahre spielt, einen durchaus komplexen Stil mit Tempo und feiner Psychologie. Unbarmherzig schleift Doyle seinen Helden durch das riesige Land, von einer Katastrophe zur nächsten. Doch was atemberaubend beginnt, und eine irisch-amerikanische Saga hätte werden können, endet als diffuses Psychogramm einer Epoche.
In den frühen zwanziger Jahren kommt der Ire Henry Smart in die USA. Er ist noch jung, hat aber schon eine Menge harter Erfahrungen hinter sich. Als Auftragskiller für die IRA hat er bedenkenlos Menschen getötet, jetzt steht er selbst auf der Abschussliste, Hals über Kopf verlässt er die Heimat, Frau und Kind: In der Neuen Welt hofft er unterzutauchen und sich ein neues Leben aufzubauen.

Das ist die Ausgangssituation in Roddy Doyles furios startendem Roman "Jazztime". In New York City erlebt Henry Smart die wilde Zeit der "roaring twenties". Mit allerlei Jobs schlägt er sich zunächst durch, doch es dauert nicht lange, bis er im Klima von Prohibition und organisiertem Verbrechen an die falschen Leute gerät. Erneut muss er sich davonmachen, er flieht in die Provinz, schließlich nach Chicago, um eine schicksalhafte Begegnung zu machen: In einer Bar sieht er einen Schwarzen auf solch unerhörte Weise Trompete spielen, dass sein Leben von nun an eine andere Richtung annimmt.

Der kräftige Henry Smart wird zum Leibwächter und zur rechten – weißen – Hand von Louis Armstrong, der in dieser Zeit die ersten Schritte zum Weltruhm tut. Aber je bekannter der Musiker wird, das Licht der Öffentlichkeit immer greller auf ihn scheint, tritt auch Henry Smart aus dem Schatten der Anonymität, und blitzschnell sind die Gespenster der Vergangenheit wieder drohend präsent – Henry Smart muss wieder weg.

"Jazztime" ist ein Roman in ständiger Fluchtbewegung, nie kommt er zur Ruhe, unbarmherzig schleift Doyle seinen Helden durch das riesige Land, von einer Katastrophe zur nächsten. Auch die zentrale Geschichte mit Louis Armstrong bleibt am Ende nur Zwischenstation und Episode, und bekümmert stellt man als Leser fest, dass das letzte Drittel des Buches ohne Louis enorm an Spannung verliert. Roddy Doyle ist ein routinierter Erzähler.

Der Booker-Preisträger und internationale Bestseller-Autor setzt auch in diesem Buch auf Tempo und Tiefe, auf Action und Psychologie. Doch leider hat er in diesem Fall den Stoff zu groß dimensioniert. Nach dem blitzenden Kernstück in Chicago, wo Henry Smart und Louis zu Freunden werden, beginnt eine langwierige Odyssee durch die sozialen Verwerfungen im Amerika der 1930er Jahre, Henry trifft Frau und Kind wieder, als obdachlose Familie trampen sie kreuz und quer über Land, werden zu politischen Renegaten aus dem Geist der irischen Rebellion und enden im Nirgendwo.

Die Geschichte zerläuft dem Autor unter den Fingern, die Handlung schlingert plötzlich merkwürdig unmotiviert dahin, man bleibt ratlos zurück. Was atemberaubend beginnt, und eine irisch-amerikanische Saga hätte werden können, endet als diffuses Psychogramm einer Epoche. Die Schluss-Szene spielt 1946 in der Wüste, wo der berühmte John Ford einen Western dreht. Wird Henry Smart jetzt zum Filmhelden? Vielleicht. Doch irgendwie interessiert man sich gar nicht mehr dafü ...

Roddy Doyle: Jazztime
Aus dem Englischen übersetzt von Renate Orth-Guttmann
Carl Hanser Verlag, München 2006, 480 Seiten

Service:
Roddy Doyle ist mit "Jazztime" zurzeit auf Lesereise in Deutschland: am 7. März in Stuttgart, am 8.März in München, am 9. März in Heidelberg und am 10. März in Köln.