Mit Muslimen gegen Extremismus
In seinem Buch "Islamismus in Deutschland" erläutert Johannes Kandel, Berliner Akademieleiter der Friedrich-Ebert-Stiftung, dass der Staat nicht alleine gegen religiösen Extremismus vorgehen kann. Der Kampf gegen den Islamismus sei nur mit den Muslimen in Deutschland und nicht gegen sie zu gewinnen.
Der jüngste Jahresbericht des Bundesverfassungsschutzes fällt ein eindeutiges Urteil: Eine der größten Gefahren für die innere Sicherheit Deutschlands bleibt der Islamismus. Die Verfassungsschützer verzeichnen eine zunehmende Zahl von Aktivisten bei islamistischen Gruppen. Starken Zulauf erhalten vor allem die überwiegend arabischen Salafisten, deren Ziel – laut Verfassungsschutz – die vollständige Umgestaltung von Staat, Gesellschaft und individuellem Lebensvollzug nach islamistischen Grundsätzen ist. Daher bedeutet die Tötung von Osama bin Laden auch für den deutschen Innenminister kein Ende der extremistischen Bedrohung. Vielmehr befürchtet Hans-Peter Friedrich, dass Rache für den Tod des Al-Qaida-Chefs ein Motiv für künftige Anschläge sein könne.
Hinweise auf terroristische Attacken, zahlreiche Reisebewegungen nach und von Pakistan und Afghanistan weisen nach Ansicht des Verfassungsschutzes darauf hin, dass Deutschland weiterhin im Fokus islamistisch-terroristischer Gruppierungen liegt. Bereits seit vergangenem Jahr liegen Hinweise vor, nach denen Al Qaida Anschläge auch in der Bundesrepublik plant. Dabei kommt dem Internet eine starke Rolle als Propagandaplattform zu. Es wird auch genutzt, um konkret und – leider – teilweise erfolgreich Attentäter zu werben.
Betreiben das Bundesinnenministerium und der Verfassungsschutz mit ihren Berichten Panikmache? Johannes Kandel steht nicht in dem Ruf, der derzeitigen Bundesregierung nach dem Munde zu reden. Der Berliner Akademieleiter der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung ist seit mehr als zehn Jahren unter anderem für den interkulturellen Dialog zuständig und hat zahlreiche Veröffentlichungen zu den Themenfeldern Migration, Integration, Religion und Politik mit dem Schwerpunkt Islam vorgelegt. Sein Urteil fällt eindeutig aus:
"Der Islamismus ist in Deutschland – noch – ein Minderheitenphänomen, aber er ist eine reale Gefahr für unsere Demokratie. Die Islamisten folgen einer politischen Agenda. Entweder schrittweise und weitgehend friedlich oder revolutionär-militant wird die Errichtung des Scharia-Staates angestrebt. Es gibt auch in Deutschland ein Radikalisierungspotenzial von circa zehn Prozent der muslimischen Gesamtbevölkerung und eine neue Qualität der terroristischen Bedrohung durch militante Muslime in der zweiten und dritten Generation."
Zur Beurteilung der konkreten Gefährlichkeit des Phänomens Islamismus gilt es nach Kandels grundlegender Analyse fünf Faktoren im Auge zu behalten: Erstens sagt die relativ geringe Zahl von Anhängern islamistischer Organisationen und ihr geringer Organisationsgrad wenig über ihren tatsächlichen Einfluss in den muslimischen Gemeinschaften aus. Zweitens handelt es sich um Gruppen und Organisationen, die sich zum Teil deutlich nach außen abschließen, oft verdeckt arbeiten und den sogenannten "double talk" praktizieren. Denn zahlreiche Islamisten beherrschen die Kunst der doppelten Rede und Verstellung, wobei es ihnen besonders nützt, dass sie sich in ihren Herkunftssprachen wie Arabisch, Türkisch oder Urdu verständigen können. Drittens sind die schwer zu durchschauenden internationalen Verbindungen und Vernetzungen in die muslimischen Milieus hinein zu berücksichtigen:
"Im Unterschied zu den Rechts- und Linksextremisten in Deutschland sind die Islamisten sowohl ideologisch als auch organisatorisch erheblich besser transnational vernetzt. Islamisten brauchen muslimische Milieus wie die Fische das Wasser. Ihre vielfältigen Aktivitäten richten sich auf die muslimischen Gemeinschaften. Hier suchen sie nach Anknüpfungspunkten und 'Einfallstoren' für ihre Ideologie, hier liegt ihr Rekrutierungsfeld für Sympathisanten und Aktivisten."
Dementsprechend nennt Kandel Moscheen und andere Versammlungsorte von Muslimen als Zielobjekte der Islamisten. Sie begeben sich dort aber zugleich auf eine – zumindest teilsweise scharf beobachtete – öffentliche Bühne. Daher verengt sich der Freiraum der Islamisten, seitdem bestimmte Moscheen stärker unter der Beobachtung der deutschen Sicherheitsbehörden stehen:
"So ziehen sich die Islamisten (…) in private Räume zurück, wo sie auch mit den verdeckten Ermittlungsverfahren des Verfassungsschutzes kaum oder gar nicht aufgespürt werden können. Sie nutzen fünftens mit großem Erfolg die virtuelle Welt des Internet, das sich bislang umfassender Beobachtung und schärferer Kontrolle entzieht."
Aus der Beobachtung dieser fünf Faktoren schlussfolgert Kandel zu Recht, dass der Staat alleine gegen den Islamismus nicht erfolgreich vorgehen kann. Notwendig sind vielmehr eine intelligente Mischung aus energischer Sicherheitspolitik, Integrationspolitik und einem breiten gesellschaftlichen Diskurs im Sinne einer kritischen Streitkultur.
Der Autor schätzt, dass die große Mehrheit der Muslime in Deutschland die fundamentalen Verfassungsprinzipien des säkularen, demokratischen und pluralistischen Rechtsstaates anerkennt und den Extremismus der Islamisten ablehnt. Kandels kluges wie angenehm unaufgeregtes Buch bringt die einzige bislang Erfolg versprechende Anti-Terror-Strategie auf den Punkt: Der Kampf gegen den Islamismus kann nur mit den Muslimen in Deutschland und nicht gegen sie gewonnen werden.
Johannes Kandel: Islamismus in Deutschland. Zwischen Panikmache und Naivität
Herder Verlag, Freiburg im Breisgau/2011
Hinweise auf terroristische Attacken, zahlreiche Reisebewegungen nach und von Pakistan und Afghanistan weisen nach Ansicht des Verfassungsschutzes darauf hin, dass Deutschland weiterhin im Fokus islamistisch-terroristischer Gruppierungen liegt. Bereits seit vergangenem Jahr liegen Hinweise vor, nach denen Al Qaida Anschläge auch in der Bundesrepublik plant. Dabei kommt dem Internet eine starke Rolle als Propagandaplattform zu. Es wird auch genutzt, um konkret und – leider – teilweise erfolgreich Attentäter zu werben.
Betreiben das Bundesinnenministerium und der Verfassungsschutz mit ihren Berichten Panikmache? Johannes Kandel steht nicht in dem Ruf, der derzeitigen Bundesregierung nach dem Munde zu reden. Der Berliner Akademieleiter der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung ist seit mehr als zehn Jahren unter anderem für den interkulturellen Dialog zuständig und hat zahlreiche Veröffentlichungen zu den Themenfeldern Migration, Integration, Religion und Politik mit dem Schwerpunkt Islam vorgelegt. Sein Urteil fällt eindeutig aus:
"Der Islamismus ist in Deutschland – noch – ein Minderheitenphänomen, aber er ist eine reale Gefahr für unsere Demokratie. Die Islamisten folgen einer politischen Agenda. Entweder schrittweise und weitgehend friedlich oder revolutionär-militant wird die Errichtung des Scharia-Staates angestrebt. Es gibt auch in Deutschland ein Radikalisierungspotenzial von circa zehn Prozent der muslimischen Gesamtbevölkerung und eine neue Qualität der terroristischen Bedrohung durch militante Muslime in der zweiten und dritten Generation."
Zur Beurteilung der konkreten Gefährlichkeit des Phänomens Islamismus gilt es nach Kandels grundlegender Analyse fünf Faktoren im Auge zu behalten: Erstens sagt die relativ geringe Zahl von Anhängern islamistischer Organisationen und ihr geringer Organisationsgrad wenig über ihren tatsächlichen Einfluss in den muslimischen Gemeinschaften aus. Zweitens handelt es sich um Gruppen und Organisationen, die sich zum Teil deutlich nach außen abschließen, oft verdeckt arbeiten und den sogenannten "double talk" praktizieren. Denn zahlreiche Islamisten beherrschen die Kunst der doppelten Rede und Verstellung, wobei es ihnen besonders nützt, dass sie sich in ihren Herkunftssprachen wie Arabisch, Türkisch oder Urdu verständigen können. Drittens sind die schwer zu durchschauenden internationalen Verbindungen und Vernetzungen in die muslimischen Milieus hinein zu berücksichtigen:
"Im Unterschied zu den Rechts- und Linksextremisten in Deutschland sind die Islamisten sowohl ideologisch als auch organisatorisch erheblich besser transnational vernetzt. Islamisten brauchen muslimische Milieus wie die Fische das Wasser. Ihre vielfältigen Aktivitäten richten sich auf die muslimischen Gemeinschaften. Hier suchen sie nach Anknüpfungspunkten und 'Einfallstoren' für ihre Ideologie, hier liegt ihr Rekrutierungsfeld für Sympathisanten und Aktivisten."
Dementsprechend nennt Kandel Moscheen und andere Versammlungsorte von Muslimen als Zielobjekte der Islamisten. Sie begeben sich dort aber zugleich auf eine – zumindest teilsweise scharf beobachtete – öffentliche Bühne. Daher verengt sich der Freiraum der Islamisten, seitdem bestimmte Moscheen stärker unter der Beobachtung der deutschen Sicherheitsbehörden stehen:
"So ziehen sich die Islamisten (…) in private Räume zurück, wo sie auch mit den verdeckten Ermittlungsverfahren des Verfassungsschutzes kaum oder gar nicht aufgespürt werden können. Sie nutzen fünftens mit großem Erfolg die virtuelle Welt des Internet, das sich bislang umfassender Beobachtung und schärferer Kontrolle entzieht."
Aus der Beobachtung dieser fünf Faktoren schlussfolgert Kandel zu Recht, dass der Staat alleine gegen den Islamismus nicht erfolgreich vorgehen kann. Notwendig sind vielmehr eine intelligente Mischung aus energischer Sicherheitspolitik, Integrationspolitik und einem breiten gesellschaftlichen Diskurs im Sinne einer kritischen Streitkultur.
Der Autor schätzt, dass die große Mehrheit der Muslime in Deutschland die fundamentalen Verfassungsprinzipien des säkularen, demokratischen und pluralistischen Rechtsstaates anerkennt und den Extremismus der Islamisten ablehnt. Kandels kluges wie angenehm unaufgeregtes Buch bringt die einzige bislang Erfolg versprechende Anti-Terror-Strategie auf den Punkt: Der Kampf gegen den Islamismus kann nur mit den Muslimen in Deutschland und nicht gegen sie gewonnen werden.
Johannes Kandel: Islamismus in Deutschland. Zwischen Panikmache und Naivität
Herder Verlag, Freiburg im Breisgau/2011