Mit Nietzsche gegen den Burnout
Lieber große Rhetorik als kleinteilige Argumentation: Die These von Byung-Chul Han zur Gewalt in der heutigen Gesellschaft ist nicht sehr originell. Die äußeren Feinde sind weg, schreibt Han - nun machen wir uns in Eigenregie fertig. Helfen dagegen soll eine "starke Seele" im Sinne von Nietzsche.
Alle Sprache ist Rhetorik, hat Nietzsche behauptet und den "Zarathustra" so klangvoll gestylt, dass er das Werk schließlich unter die Musik rechnete. Woraus erhellt: Auch Philosophie erzeugt bisweilen Sound. Und wer die Klangspiele des Denkens schätzt, wird auch Byung-Chul Hans "Topologie der Gewalt" mögen. Der gebürtige Koreaner versteht sich auf dunkles Raunen ("Es gibt Dinge, die nicht verschwinden"); er lässt apodiktische Aussagen wie Paukenschläge prasseln ("Das Leben ist nie so vergänglich gewesen wie heute"); er schätzt das grelle Fremdwort-Creszendo ("Transparenz bedeutet totale Nähe und Abstandlosigkeit, totale Promiskuität und Permeabilität, totale Exponiertheit und Exhibition"). Da liebt also einer große Rhetorik mehr als kleinteilige Argumentation.
Han vertritt eine nicht allzu originelle zivilisationskritische These: Die Gewalt in der "heutigen Gesellschaft" verlagert sich demnach vom Negativen ins Positive und wird unsichtbar, "in dem sie mit ihrer Gegenfigur, nämlich der Freiheit, zusammenfällt". Depressionen, Burnout und Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom sind laut Han keine Folge von äußerem Zwang oder Repressionen, sondern beruhen auf dem subjektiven Anspruch, alles können zu müssen, und dem Unvermögen, Nein zu sagen. Die Disziplinargesellschaft samt finsterer Unterdrückung und martialischer Gewalt wurde von der Leistungsgesellschaft abgelöst, in der der "exzessive Selbstbezug" der Individuen destruktiv wirkt. Kurz: Die äußeren Feinde sind weg, nun machen wir uns, umzingelt von unbegrenzten Möglichkeiten, in Eigenregie fertig.
Für Empirie, Politik und Alltag interessiert sich Han nur am Rande. Umso entschlossener knöpft er sich nach einem Rückblick auf archaische Gewaltformen moderne Gewalt-Konzepte vor, darunter Freuds Über-Ich, Carl Schmitts Freund-Feind-Schema, göttliche Gewalt bei Walter Benjamin, Bio-Macht bei Michel Foucault und manches mehr. Laut Han hat keiner die "systemische Gewalt" der kapitalistischen Leistungsgesellschaft, in der gilt "Der Ausbeutende ist der Ausgebeutete. Der Täter ist gleichzeitig das Opfer", richtig erfasst. Auf akademische Systematik gibt Han wenig. Er traktiert aber so forsch und gewitzt (McLuhans "Medium is Message" wird zu "Medium is Mass-Age"), dass man seinen Revisionen der Gewalt-Literatur gespannt folgt.
Den Menschen in der Leistungsgesellschaft, die mittlerweile zur "Dopinggesellschaft" mutiert, stellt Han ein übles Zeugnis aus: zu lebendig, um zu sterben und zu tot, um zu leben. Abhilfe wird in der "Topologie der Gewalt" nur angedeutet. Han empfiehlt eine "Freundlichkeit", die sich im teilnehmenden Bezug zum "So-Sein" des Anderen verwirklicht. Und er sympathisiert mit Nietzsches Lob auf die "starke Seele", die noch im äußersten Trubel die Ruhe bewahren. Weshalb Han den schwachen Seelen mit Nietzsches Zarathustra vorwirft: "Ihr habt zum Warten nicht Inhalt genug in euch - und selbst zur Faulheit nicht". Viele Burnout-Opfer dürften sich hier erwischt fühlen. Allen aber, die immer noch hell brennen, sei die Lektüre von Hans Buch als philosophische Prophylaxe empfohlen.
Besprochen von Arno Orzessek
Byung-Chul Han, Topologie der Gewalt
Matthes & Seitz, Berlin 2011
191 Seiten, 19,90 Euro
Han vertritt eine nicht allzu originelle zivilisationskritische These: Die Gewalt in der "heutigen Gesellschaft" verlagert sich demnach vom Negativen ins Positive und wird unsichtbar, "in dem sie mit ihrer Gegenfigur, nämlich der Freiheit, zusammenfällt". Depressionen, Burnout und Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom sind laut Han keine Folge von äußerem Zwang oder Repressionen, sondern beruhen auf dem subjektiven Anspruch, alles können zu müssen, und dem Unvermögen, Nein zu sagen. Die Disziplinargesellschaft samt finsterer Unterdrückung und martialischer Gewalt wurde von der Leistungsgesellschaft abgelöst, in der der "exzessive Selbstbezug" der Individuen destruktiv wirkt. Kurz: Die äußeren Feinde sind weg, nun machen wir uns, umzingelt von unbegrenzten Möglichkeiten, in Eigenregie fertig.
Für Empirie, Politik und Alltag interessiert sich Han nur am Rande. Umso entschlossener knöpft er sich nach einem Rückblick auf archaische Gewaltformen moderne Gewalt-Konzepte vor, darunter Freuds Über-Ich, Carl Schmitts Freund-Feind-Schema, göttliche Gewalt bei Walter Benjamin, Bio-Macht bei Michel Foucault und manches mehr. Laut Han hat keiner die "systemische Gewalt" der kapitalistischen Leistungsgesellschaft, in der gilt "Der Ausbeutende ist der Ausgebeutete. Der Täter ist gleichzeitig das Opfer", richtig erfasst. Auf akademische Systematik gibt Han wenig. Er traktiert aber so forsch und gewitzt (McLuhans "Medium is Message" wird zu "Medium is Mass-Age"), dass man seinen Revisionen der Gewalt-Literatur gespannt folgt.
Den Menschen in der Leistungsgesellschaft, die mittlerweile zur "Dopinggesellschaft" mutiert, stellt Han ein übles Zeugnis aus: zu lebendig, um zu sterben und zu tot, um zu leben. Abhilfe wird in der "Topologie der Gewalt" nur angedeutet. Han empfiehlt eine "Freundlichkeit", die sich im teilnehmenden Bezug zum "So-Sein" des Anderen verwirklicht. Und er sympathisiert mit Nietzsches Lob auf die "starke Seele", die noch im äußersten Trubel die Ruhe bewahren. Weshalb Han den schwachen Seelen mit Nietzsches Zarathustra vorwirft: "Ihr habt zum Warten nicht Inhalt genug in euch - und selbst zur Faulheit nicht". Viele Burnout-Opfer dürften sich hier erwischt fühlen. Allen aber, die immer noch hell brennen, sei die Lektüre von Hans Buch als philosophische Prophylaxe empfohlen.
Besprochen von Arno Orzessek
Byung-Chul Han, Topologie der Gewalt
Matthes & Seitz, Berlin 2011
191 Seiten, 19,90 Euro