Mit spitzer Feder durch die Jahrhunderte

Von Volkhard App |
Dies könnte der Cartoon des Tages sein: Ein GI trägt im fernen, fremden Land - angedeutet ist eine Moschee - auf dem Rücken einen großen klapprigen Holzsarg statt des Tornisters. "Der Nächste bitte" heißt dieses Blatt von 2007, das wie andere aus den letzten Jahren zu Krieg und Kapitalismus, Welthunger und Ölreserven wenigstens <em>eine</em> gute Botschaft vermittelt: Der fast 90-jährige Ronald Searle, Klassiker schon zu Lebzeiten, zeichnet noch immer.
Mit nervös-lockerem Strich, vibrierenden, aber traumhaft sicher gesetzten Linien bringt er die Zumutungen dieser Welt vor den Richterstuhl: er, der schon früh mit der furchtbaren politischen Realität konfrontiert wurde.1942 geriet er als britischer Soldat in japanische Kriegsgefangenschaft, baute mit an der Brücke am Kwai, überlebte als einer der wenigen in seiner Kompanie Epidemien und brutale Aufseher - und hielt seine Beobachtungen mit Stiften fest:

"Grundsätzlich kann ich sagen, dass ich diese Erfahrung nicht noch einmal machen möchte. Die Tatsache, dass ich sieben Jahre in der Armee war und vier in der Gefangenschaft, hat meine Weltsicht verändert. Wenn man in die Zivilisation zurückkehrt, ist man vielleicht nicht in der Lage, die eigene Erfahrung direkt mitzuteilen. Aber man kann sie einfließen lassen in seine Arbeit - in das, was jeder gerne möchte: die Welt zu verändern."

1961 beobachtete Searle für internationale Zeitungen den Eichmann-Prozess in Jerusalem: der Täter als personifizierte "Banalität des Bösen”.

Viele der hier gezeigten facettenreichen Blätter wurden schon vor Jahren vom Wilhelm Busch Museum angekauft. Reiseeindrücke zwischen Los Angeles und Ost-Berlin, zwischen Dublins Pinten und Hamburgs Rotlichtviertel sind Teil seines Ouevres, nicht zu vergessen die schrulligen, unförmigen Katzen und die "schrägen Vögel", die boshaften Internatsschülerinnen und all die Illustrationen zur großen Literatur, so zu Charles Dickens "Weihnachtsgeschichte". Und der buchstäblich zu kurz gekommene Toulouse-Lautrec erlebt bei Searle komische Abenteuer.

Der ist berühmt für federleichte humoristische Zeichnungen, auf denen immer stärker auch Farbe zum Einsatz gekommen ist - und schließlich entstanden sogar kleine Collagen. Und immer wieder zeitkritische Kommentare. Ein programmatisches Bild von 1977 heißt "Der Denker". Da drückt ein Koloss mit Erdkugel als Kopf einem Zeichner die Luft weg und hält ihm den Mund zu, schlaff hängen die Arme des Mannes herunter, in der einen Hand die tropfende Feder, in der anderen ein Stück Papier.

Nie ist Ronald Searle verstummt, aber vielleicht hat er manchmal an der Möglichkeit gezweifelt, den Mächten dieser Welt Paroli bieten zu können und stand kurz vor der Resignation:

"Überhaupt nicht. So hilflos ist man auch wieder nicht. Sie haben immerhin Ihre Feder, Sie haben Tinte und Papier. Das Wichtigste ist selbstverständlich, dass Sie Verstand haben und über einen Standpunkt verfügen. Es ist geradezu der Daseinszweck von Cartoonisten, zu den Dingen, die die Welt bewegen, Stellung zu beziehen. Man macht es in der Hoffnung, vielleicht die Meinung von ein oder zwei Leuten zu verändern. Es ist nur ein kleiner Beitrag, aber ein wichtiger."

In vielen Zeitungen und Zeitschriften sind seine humoristischen und dezidiert satirischen Arbeiten erschienen und in attraktiven Büchern. Da müsste es doch auch Reaktionen zu seinen Einlassungen gegeben haben, Zustimmung oder geballten Protest:

"Ich weiß es wirklich nicht, denn die Leute reagieren nicht. Wenn ich jemanden beleidige, schreibt er einen Brief an den Herausgeber und protestiert. Aber im Allgemeinen ist es so: Sie machen Ihre Arbeit so gut es geht und warten auf die Resonanz. Aber niemand reagiert. Sehr merkwürdig. Das ist einer der Gründe, warum ich Cartoons gern zu Büchern zusammenstelle. Dann schreiben Zeitungskritiker darüber. Aber sonst kommt von den Menschen kaum etwas."

So dicht sind die Bestände des Museums, dass man dort die Entwicklung und Bandbreite von Searles Schaffen eindrucksvoll veranschaulichen kann. Dabei ist es offenbar gar nicht so einfach, die Vielfalt seiner Werke überschaubar zu präsentieren: Sogar großformatige Werbeplakate gehören dazu, auf denen er mit skurrilen Figuren dazu rät, für gutes Geld einen anständigen Rum zu verlangen. Auch einen Zeichentrickfilm mit typisch britischem Personal hat er geschaffen.

Selbst seine Fachbibliothek zur Karikaturengeschichte wurde vom Museum angekauft und seine Sammlung historischer Cartoons. In Hannover möchte man nun auch Searles jüngere Blätter noch erwerben - und persönliche Materialien, die Entwürfe zu seinen Karikaturen und die vielen Skizzenbücher, die er als sogenannten Vorlass in mehr als 40 Kisten schon mal vorbeigeschickt hat. Wunderbare Reiseimpressionen tun sich da auf: mit den Neureichen von Palm Springs, aber auch mit bajuwarischer Gamsbart-Folklore, Blaskapelle inklusive.

Zu seiner Geburtstagsausstellung konnte Searle nicht anreisen, aber er bleibt mit dem Museum in Kontakt. Und wird wohl weiter seine Eindrücke auf dem Zeichenkarton festhalten, auch wenn das Medium in unserem televisionären Zeitalter als veraltet erscheint:

"Ich denke, dass die Leute immer weniger an solchen Zeichnungen interessiert sind. Sie lesen nicht so viel und haben kein feines Gespür zum Beispiel für satirische Darstellungen. Ich persönlich glaube, es handelt sich um eine aussterbende Kunst. Ich bin ein Dinosaurier."

Ein zum 90. gestricheltes Selbstbildnis zeigt ihn als alten, unverwechselbaren Kauz - in der einen Hand eine Katze, in der anderen einen Vogel: das seltsame Getier, das vielen seiner Bewunderer ans Herz gewachsen ist. Und da ist ein dicker Pfeil eingezeichnet, darüber die Zahlen "90" und "100".

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