Mit Tempo 30 nach Brüssel
Seit April 2012 gibt das EU-Bürgerbegehren: Wer eine Million Unterschriften aus mindestens sieben Staaten sammelt, dessen Anliegen muss von der Kommission gehört werden. Die Berliner Aktivistin Heike Aghte kämpft so für Tempo 30 - in allen Dörfern und Städten Europas.
"Ah, das ist ja wirklich brutal laut hier."
Die leise Stimme von Heike Aghte kann sich nur schwer gegen den Lärm der Autos durchsetzen. Die 54-Jährige mit struppigen blonden Haaren und Turnschuhen trifft sich mit Herwig Engelmann. Der leidet seit zehn Jahren unter Abgasen und Lärm einer Hauptverkehrsstraße, die eigentlich als Berliner Szenetreff gilt:
"In der Mythologie ist es ein Boulevard – so: das städtische Leben!. In der Realität ist es eine Asphaltwüste, wo fast nicht anderes zählt als das vermeintliche Fortkommen des Autos."
Engelmann wünscht sich Tempo 30 und würde gern direkt auf der Kreuzung eine Demo organisieren. Für Heike Aghte ist der Aktivist ein willkommener Partner in ihrem Netzwerk, zu dem sie ihm bereitwillig Zugang verschafft:
"Und ansonsten hab ich am Montag ein Treffen mit Organisationsleuten, die haben ihre Hauptbüros alle in Berlin und da könnte ich ja auch schon mal fragen, wer denn da interessiert wär. Um da ein paar Hundertschaften einzufliegen."
Sie verabschieden sich. Heike Aghte geht zu Fuß nach Hause. Eine Zweiraum-Wohnung in einer ruhigen Nebenstraße. Sie macht sich Tee, legt eine CD ein.
Ihr Wohnzimmer ist gleichzeitig das Hauptquartier ihres europäischen Bürgerbegehrens. 60 europäische Organisationen hat sie dafür aktiviert. Spanische Ökologen, Radfahrerklubs aus Slowenien und Dänemark, Umweltaktivisten aus Italien, Estland und Ungarn. Alle wollen das Gleiche: Tempo 30 in Dörfern und Städten. Von diesem Zimmer aus koordiniert sie alle Aktivitäten. Im Regal stehen 25 Aktenordner, drei Ordner blockieren das Sofa, einer liegt aufgeschlagen auf dem Tisch neben dem Notebook.
Wie jeden Tag schaut Heike Aghte nach, wie viele ihr Bürgerbegehren unterschrieben haben, und aus welchem EU-Land die Unterschriften kommen:
"Deutschland ist an der Spitze: 4140 zurzeit. Dann Belgien, Spanien, das sind zwei Länder, die ziemlich intensiv sammeln. Großbritannien auch, Frankreich geht jetzt allmählich los, also man merkt schon, wo mal ne Pressekonferenz stattfindet und Leute richtig anfangen zu sammeln, dann gehen die Zahlen nach oben."
Über 10.000 Unterschriften sind es im Moment. Eine Million muss sie insgesamt sammeln, in mindestens sieben EU-Staaten. Dann hat sie das Ziel erreicht: Dann muss sich die EU-Kommission mit ihrem Vorschlag beschäftigen. Gelungen ist das bisher schon der Kampagne gegen die Privatisierung von Trinkwasser, die innerhalb von 10 Monaten, 1,2 Millionen Unterschriften gesammelt hat. 14 solcher Bürgerbegehren gibt es derzeit: für bessere Schulbildung, Medienvielvielfalt oder gegen Tierversuche.
Die leise Stimme von Heike Aghte kann sich nur schwer gegen den Lärm der Autos durchsetzen. Die 54-Jährige mit struppigen blonden Haaren und Turnschuhen trifft sich mit Herwig Engelmann. Der leidet seit zehn Jahren unter Abgasen und Lärm einer Hauptverkehrsstraße, die eigentlich als Berliner Szenetreff gilt:
"In der Mythologie ist es ein Boulevard – so: das städtische Leben!. In der Realität ist es eine Asphaltwüste, wo fast nicht anderes zählt als das vermeintliche Fortkommen des Autos."
Engelmann wünscht sich Tempo 30 und würde gern direkt auf der Kreuzung eine Demo organisieren. Für Heike Aghte ist der Aktivist ein willkommener Partner in ihrem Netzwerk, zu dem sie ihm bereitwillig Zugang verschafft:
"Und ansonsten hab ich am Montag ein Treffen mit Organisationsleuten, die haben ihre Hauptbüros alle in Berlin und da könnte ich ja auch schon mal fragen, wer denn da interessiert wär. Um da ein paar Hundertschaften einzufliegen."
Sie verabschieden sich. Heike Aghte geht zu Fuß nach Hause. Eine Zweiraum-Wohnung in einer ruhigen Nebenstraße. Sie macht sich Tee, legt eine CD ein.
Ihr Wohnzimmer ist gleichzeitig das Hauptquartier ihres europäischen Bürgerbegehrens. 60 europäische Organisationen hat sie dafür aktiviert. Spanische Ökologen, Radfahrerklubs aus Slowenien und Dänemark, Umweltaktivisten aus Italien, Estland und Ungarn. Alle wollen das Gleiche: Tempo 30 in Dörfern und Städten. Von diesem Zimmer aus koordiniert sie alle Aktivitäten. Im Regal stehen 25 Aktenordner, drei Ordner blockieren das Sofa, einer liegt aufgeschlagen auf dem Tisch neben dem Notebook.
Wie jeden Tag schaut Heike Aghte nach, wie viele ihr Bürgerbegehren unterschrieben haben, und aus welchem EU-Land die Unterschriften kommen:
"Deutschland ist an der Spitze: 4140 zurzeit. Dann Belgien, Spanien, das sind zwei Länder, die ziemlich intensiv sammeln. Großbritannien auch, Frankreich geht jetzt allmählich los, also man merkt schon, wo mal ne Pressekonferenz stattfindet und Leute richtig anfangen zu sammeln, dann gehen die Zahlen nach oben."
Über 10.000 Unterschriften sind es im Moment. Eine Million muss sie insgesamt sammeln, in mindestens sieben EU-Staaten. Dann hat sie das Ziel erreicht: Dann muss sich die EU-Kommission mit ihrem Vorschlag beschäftigen. Gelungen ist das bisher schon der Kampagne gegen die Privatisierung von Trinkwasser, die innerhalb von 10 Monaten, 1,2 Millionen Unterschriften gesammelt hat. 14 solcher Bürgerbegehren gibt es derzeit: für bessere Schulbildung, Medienvielvielfalt oder gegen Tierversuche.
Die Petitionssoftware macht Probleme
Für das Online-Unterschriftensammeln hat die EU eine einheitliche Software entwickelt, die alle benutzen müssen, und die macht Probleme. Einen Monat hat es schon gedauert, bis Heike Aghte das Programm komplett installieren konnte, und noch immer fehlen wichtige Funktionen:
"Der Datenschutz ist sehr sehr hoch gehängt. Ist aber an manchen Stellen sehr stark übertrieben. Und das führt dazu, dass den Leuten, wenn sie unterschrieben haben, nicht mal mitgeteilt wird: Übrigens, wenn sie wollen, können sie sich hier für einen Newsletter eintragen. Das geht nicht."
Es gibt noch schlimmere Schwachstellen in der EU-Software. Heike Aghte druckt eine Liste von Mails aus. Lauter Beschwerden von Bürgern, die unterschreiben wollten, aber nicht konnten. Die Aktivistin zieht Mantel und Turnschuhe an und geht ein paar Häuserblocks weiter, zu Martin Kasztantuwicz, ihrem IT–Berater.
Zu zweit setzen sie sich vor den Bildschirm. Martin Kasztantuwicz betreut die Website der Tempo-30-Kampagne, die in 16 Sprachen Argumente liefert und zum Unterschreiben auf die EU-Seite verweist. Heike Aghte zeigt Martin Kasztantuwicz die Liste mit den Beschwerde-Mails. Sorgfältig tippt er die geforderten Daten in die leeren Felder: Seinen Namen, Geburtsdatum, Geburtsort und Adresse. Heike Agde sieht ihm aufmerksam über die Schulter:
Martin Kasztantuwicz: "So jetzt."
Heike Aghte: "Und dann musst du bestätigen, dass du die Datenschutzerklärung gelesen hast, und wenn du die jetzt erst lesen willst, fliegst du wieder raus."
Martin Kasztantuwicz: "Jetzt bin ich erst mal weg! Was ist denn jetzt?"
Genervt gibt der IT-Experte noch mal alle Daten ein. Name, Geburtsdatum, Geburtsort und Adresse. Diesmal scheitert er an den Zahlen, die er hören und dann eintippen muss, als Bestätigung, dass er ein Mensch ist und kein Schummel-Programm.
Martin Kasztantuwicz: "Ach jetzt muss man noch mal klicken oder was?
Och, das ist schlechte Qualität. Das gibt´s besser. Und es kommt nur in Englisch."
Heike Aghte: "Das werden die Leute, die in Rumänien unterschreiben wollen, nicht so lustig finden."
Beide schütteln die Köpfe. Die Software aus Brüssel ist nicht sehr bürgerfreundlich und eher ein Hindernis auf dem Weg zu den geforderten eine Million Unterschriften.
Heike Aghte: "Wir können nur vermuten, wie viele Unterschriften da verloren gehen. Also nicht nur die im Orkus verschwinden, oder nicht abgeschickt werden können, aber auch von Leuten, die von vornherein aufstecken und sagen: Also dieses umständliche Zeug, das tu ich mir gar nicht an."
Bei ihrem nächsten Treffen mit den Verantwortlichen der EU in Brüssel will Heike Aghte diese Probleme ansprechen. Jetzt macht sie sich auf den Heimweg. Der Feierabendverkehr rast an ihr vorbei, während sie gemächlich zu Fuß geht. Bis November muss sie eine Million Unterschriften gesammelt haben, die größte Hürde auf dem Weg nach Brüssel:
"Dann müssen wir danach noch mit den nationalen Stellen zu tun haben, die die Unterschriften auf Gültigkeit überprüfen. Und danach gibt’s dann noch mal die entscheidenden drei Monate, wo die Kommission nachdenkt, das kommt noch mal oben drauf."
Heike Aghte ist zu Hause angekommen, im Hauptquartier der Tempo-30-Kampagne. Von dieser Zweiraumwohnung aus, könnte Europa entschleunigt werden – angeregt durch den Willen der EU-Bürger.
Linktipp:
Werkstatt Europa: Das Europaportal des Deutschlandfunks
"Der Datenschutz ist sehr sehr hoch gehängt. Ist aber an manchen Stellen sehr stark übertrieben. Und das führt dazu, dass den Leuten, wenn sie unterschrieben haben, nicht mal mitgeteilt wird: Übrigens, wenn sie wollen, können sie sich hier für einen Newsletter eintragen. Das geht nicht."
Es gibt noch schlimmere Schwachstellen in der EU-Software. Heike Aghte druckt eine Liste von Mails aus. Lauter Beschwerden von Bürgern, die unterschreiben wollten, aber nicht konnten. Die Aktivistin zieht Mantel und Turnschuhe an und geht ein paar Häuserblocks weiter, zu Martin Kasztantuwicz, ihrem IT–Berater.
Zu zweit setzen sie sich vor den Bildschirm. Martin Kasztantuwicz betreut die Website der Tempo-30-Kampagne, die in 16 Sprachen Argumente liefert und zum Unterschreiben auf die EU-Seite verweist. Heike Aghte zeigt Martin Kasztantuwicz die Liste mit den Beschwerde-Mails. Sorgfältig tippt er die geforderten Daten in die leeren Felder: Seinen Namen, Geburtsdatum, Geburtsort und Adresse. Heike Agde sieht ihm aufmerksam über die Schulter:
Martin Kasztantuwicz: "So jetzt."
Heike Aghte: "Und dann musst du bestätigen, dass du die Datenschutzerklärung gelesen hast, und wenn du die jetzt erst lesen willst, fliegst du wieder raus."
Martin Kasztantuwicz: "Jetzt bin ich erst mal weg! Was ist denn jetzt?"
Genervt gibt der IT-Experte noch mal alle Daten ein. Name, Geburtsdatum, Geburtsort und Adresse. Diesmal scheitert er an den Zahlen, die er hören und dann eintippen muss, als Bestätigung, dass er ein Mensch ist und kein Schummel-Programm.
Martin Kasztantuwicz: "Ach jetzt muss man noch mal klicken oder was?
Och, das ist schlechte Qualität. Das gibt´s besser. Und es kommt nur in Englisch."
Heike Aghte: "Das werden die Leute, die in Rumänien unterschreiben wollen, nicht so lustig finden."
Beide schütteln die Köpfe. Die Software aus Brüssel ist nicht sehr bürgerfreundlich und eher ein Hindernis auf dem Weg zu den geforderten eine Million Unterschriften.
Heike Aghte: "Wir können nur vermuten, wie viele Unterschriften da verloren gehen. Also nicht nur die im Orkus verschwinden, oder nicht abgeschickt werden können, aber auch von Leuten, die von vornherein aufstecken und sagen: Also dieses umständliche Zeug, das tu ich mir gar nicht an."
Bei ihrem nächsten Treffen mit den Verantwortlichen der EU in Brüssel will Heike Aghte diese Probleme ansprechen. Jetzt macht sie sich auf den Heimweg. Der Feierabendverkehr rast an ihr vorbei, während sie gemächlich zu Fuß geht. Bis November muss sie eine Million Unterschriften gesammelt haben, die größte Hürde auf dem Weg nach Brüssel:
"Dann müssen wir danach noch mit den nationalen Stellen zu tun haben, die die Unterschriften auf Gültigkeit überprüfen. Und danach gibt’s dann noch mal die entscheidenden drei Monate, wo die Kommission nachdenkt, das kommt noch mal oben drauf."
Heike Aghte ist zu Hause angekommen, im Hauptquartier der Tempo-30-Kampagne. Von dieser Zweiraumwohnung aus, könnte Europa entschleunigt werden – angeregt durch den Willen der EU-Bürger.
Linktipp:
Werkstatt Europa: Das Europaportal des Deutschlandfunks