Das Frauenradio im irakischen Halabdscha
Im Nordirak sendet das Frauenradio Dange Nwe gegen überkommene Moralvorstellungen an. Die Radiomacherinnen haben es dabei nicht einfach - sind aber guten Mutes, dass mehr aus ihrem Projekt wird.
Nur sechs Quadratmeter ist das kleine Studio groß. Gelegen in einer Seitenstraße von Halabdscha im Nordirak. Dicht nebeneinander sitzen Hivy, Haneen und Shadaan um das Mikrofon und verlesen die Nachrichten aus der Region. Mit fein manikürten Fingern schiebt Hivy den Soundregler nach oben, aus den Lautsprechern ertönt arabische Musik.
Die junge Radiomacherin lässt ihre Kopfhörer in den Nacken rutschen, streicht mit der Hand ihre blondierten Haare hinter die Ohren.
"Schon seit meiner Kindheit hat mich die Arbeit von Journalisten beeindruckt. Daher war ich bei der Radiogründung ursprünglich auch ein wenig egoistisch, muss ich zugeben. Ich wollte mich beweisen und zeigen, dass ich Journalistin sein kann."
Halabdscha: Kleinstadt im Zagros-Gebirge
Hivy ist eine der Mitbegründerinnen des Radiosenders Dange Nwe. Der Sender ist etwas Einzigartiges im erzkonservativen Halabdscha, einer Kleinstadt im Zagros-Gebirge – ganz im Norden Iraks.
Die Grenze zum Iran ist nur eine halbe Autostunde entfernt. Gefördert von der deutschen Organisation Wadi, wird das Radio ausschließlich von Frauen betrieben. Häusliche Gewalt wird ebenso diskutiert wie Missstände in der Stadt oder die weibliche Genitalverstümmelung.
Täglich zwischen 8 und 12 Uhr sendet das Frauenradio sein Programm nicht nur im lokalen kurdischen Dialekt, sondern auch auf Arabisch. Denn ein großer Teil der Zuhörer sind die hunderttausenden syrischen und irakischen Flüchtlinge in den Camps. Bis zu 300.000 erreicht das Programm über Ultrakurzwelle. Und über den Livestream über Facebook schalten sich täglich tausende Internetnutzer auf der ganzen Welt dazu.
Das Radio für Flüchtlinge wurde Anfang 2015 von zwei jungen Frauen gestartet, die einst selbst vor den Schergen der IS-Terror-Miliz geflohen sind: Haneen, 19 Jahre alt, kam mit ihrer Familie aus der umkämpften Stadt Falludscha im Irak. Die 29-jährige Hivy flüchtete 2014 aus dem syrischen Kobane.
Warum helfen uns die Regierungen nicht?
In ihrem Programm geben sie Flüchtlingen nicht nur praktische Alltagstipps, sondern lassen sie auch selbst zu Wort kommen. In einer Sendung klagt eine Geflüchtete namens Um Muhammed:
"Ich bin aus Diyala geflüchtet und ich möchte mich über die arabischen Länder beschweren. Wir sind Sunniten, warum helfen die dortigen Regierungen uns nicht?"
In einem weiteren Segment des Senders stellen die jungen Frauen die neuesten Beauty-Tipps vor. Das Lifestyle-Programm ist besonders bei der weiblichen Zuhörerschaft beliebt.
"Haneen, heute haben wir ein sehr spannendes Thema im Programm. Wie du weißt, haben die meisten Frauen im Nahen Osten einen dunklen Teint. Und viele von ihnen tragen einen Hidschab (Kopftuch). Wir wollen heute darüber sprechen, welcher Hidschab am besten zu welcher Hauptfarbe passt. Die meisten dunkelhäutigen Frauen haben den Vorteil, dass ihre Hautfarbe gut zu hellen Farben passt. Solltest Du einen dunklen Teint haben sind Türkis, Smaragdgrün und Rot die besten Farben für dich.”
Doch ihr Programm löst nicht bei jedem Zuhörer Begeisterung aus. Mit ihrem Engagement prallen die jungen Frauen auf ein gesellschaftliches Milieu, das von konservativen Moralvorstellungen geprägt ist. Der Widerstand der Gesellschaft gegen die mutige Arbeit der Frauen macht sich manchmal offen, manchmal subtil bemerkbar, erzählen Haneen und Hivy:
"Wir werden als Frauen von der Gesellschaft nicht immer mit offenen Armen empfangen. Wir sitzen ja hier nicht nur im Studio. Wir sind Korrespondenten! Wenn wir in die Lager gehen, kommen wir manchmal in unangenehme Situationen. Viele Leute sagen Dinge zu uns, die ich nicht aussprechen möchte. Wir können dort nur noch mit einer männlichen Begleitung hin, sonst wird es gefährlich."
Ihr Mann findet, sie lacht zu viel
"Es gibt schon ab und an Kommentare von meinem Mann. Er meint, ich würde auf Sendung zu viel lachen. Und manche Themen sollte ich im Radio am besten gar nicht ansprechen."
Zu groß ist der Bruch mit dem traditionellen Frauenbild. Der öffentliche Raum ist den Männern vorbehalten. Nehmen junge Frauen diese Rolle ein, gelten sie als unanständig. Es sind die alltäglichen Widerstände, gegen die die jungen Journalistinnen ankämpfen müssen.
"Die Menschen in Halabdscha sind ziemlich konservativ und islamistisch, sie können nur schwer akzeptieren, dass wir in der Öffentlichkeit stehen und dass unsere Bilder überall im Internet sind. Die meisten Frauen arbeiten nicht außer Haus, die Leute sind der Meinung, dass wir Frauen nicht so sehr in der Öffentlichkeit stehen sollten, wir sollten uns eher versteckt halten. Aber wenn du auf das Gerede der Leute eingehst, reden sie nur mehr."
Hero Ahmad, die Leiterin des Frauenzentrums, zu dem Radio Dange gehört, kennt den gesellschaftlichen Druck, seit sie das Zentrum gegründet hat. Noch vor wenigen Jahren herrschte in Halabdscha die radikalislamische Gruppierung Ansar al-Islam. Die strengen Moralvorschriften der Islamisten richteten sich besonders gegen Frauen: Vollverschleierung, Zwangsehe, Ausgangssperren.
Erst als die Islamisten sich im Jahr 2003 in die Berge zurück zogen, konnten sich die Frauen im Nordirak einen öffentlichen Raum schaffen, in dem sie sich sicher fühlen. Der Radiosender Dange Nwe und das Frauenzentrum wurden ihre Stimme, so die Leiterin:
"Ich bekomme oft Probleme deswegen und ernte viel Kritik. Viele Leute sagen meinem Vater, er solle mal meinen Ausweis überprüfen, ob da wirklich drinsteht, ich sei Muslimin. Nicht einmal vor meiner kleinen Tochter machen sie Halt. Sie wird in der Schule schikaniert wegen meiner Arbeit, andere Kinder bezeichnen sie als kleine Christin. Aber mir ist das egal, ich nehme das nicht ernst. Ich kämpfe für die Rechte der Frauen, auch wenn ich dafür viel einstecken muss."
Lob und Unterstützung aus dem Netz
Die Radiomacherinnen erhalten auch viele positive Reaktionen. Vor allem in den sozialen Medien komme viel Lob und Unterstützung, erzählt Hivy.
"Wir haben bislang viele positive Reaktionen bekommen. Vor allem durch Facebook bekommen wir viel Resonanz, auch aus dem syrischen Kobane. Die Leute sind ziemlich beeindruckt davon, dass wir die Idee für ein Radioprogramm für Flüchtlinge hatten. Viele bekannte Leute haben mich auf Facebook ermutigt. Sie haben uns gesagt, dass wir dran bleiben sollen. Es ist bislang ein kleines Projekt, aber es besteht eine gute Chance, dass daraus etwas richtig großes wird.”
Die Arbeit der Radiomacherinnen zahlt sich aus. Die Auszeichnung mit dem Raif-Badawi-Preis für couragierten Journalismus stellt die Frauen in eine Reihe mit dem weltweit bekannten inhaftierten Blogger aus Saudi-Arabien:
"Raif Badawi ist ein Symbol für alle mutigen Journalisten. Im Nahen Osten und in der Islamischen Welt gibt es keine Pressefreiheit. Denn die Mächtigen zerbrechen immer den Stift derjenigen, die die Wahrheit schreiben. Genau dafür ist Raif ein Symbol – ein Symbol für jeden, der für die Rechte von Journalisten eintritt. Durch diesen Preis gibt es jetzt jedes Jahr einen neuen Raif Badawi."