Schmaler Grat zum Populismus
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"Rechtsextremisten wie Sie, die stehen mir bis hier!" Viele Politiker posten auf Twitter Videos, die zeigen, wie sie AfD-Abgeordneten im Bundestag Paroli bieten. Der Politikberater Martin Fuchs findet die Strategie richtig - aber nicht ungefährlich.
Dieter Kassel: Seit die AfD im Bundestag und in inzwischen allen Landtagen sitzt, haben sich die sozialen Netzwerke im Internet verändert. Nicht nur durch das, was AfD-Politiker posten, sondern auch durch das, was Politiker anderer Parteien posten: kurze Videoclips, auf denen zu sehen ist, wie sie auf Anträge, Zwischenrufe oder Reden von AfD-Abgeordneten reagieren – dort meist nur 30 bis 40 Sekunden.
Das machen eigentlich alle Parteien, aber die SPD besonders oft – und hat mit einem solchen Clip über eine Million Abrufe erreicht. Ich habe mich darüber mit Martin Fuchs unterhalten. Er ist Blogger und Politikberater für Digitales, früher auch analog beratend tätig gewesen in Berlin und in Brüssel. Und ich habe ihn gefragt, wenn er solche Clips sieht, was ihn dabei dann eigentlich durch den Kopf geht.
Martin Fuchs: Das Erste, was ich denke, ist, dass man natürlich eine gewisse Idee davon hat, das Wertegerüst der eigenen Mitglieder, Sympathisanten anzusprechen. Das heißt also, sich klar vom politischen Gegner abzugrenzen und dann irgendwie eine Emotion zu erzeugen, die diese Abgrenzung dann auch bemerkbar macht: Dass Leute sich emotional mit Politik beschäftigen und sich dann auch wieder vergewissern, ja, ich stehe auf der richtigen Seite und es ist gut, dass es diese Partei, zum Beispiel die SPD, gibt, die steht auch auf der richtigen Seite.
Man spricht nur die eigene Klientel an
Kassel: Aber ist das nicht auch ein möglicher negativer Effekt? Ich habe immer das Gefühl, wenn jetzt zum Beispiel – manchmal ist es die Partei selber, aber manchmal ist es auch der Account eines Politikers –, wenn der jetzt etwas postet, wo er besonders gut dasteht, weil er eben zum Beispiel der AfD Paroli bietet. Das hat doch so was von "Kommt, schaut her, ich bin der Gute und ihr könnt einen meiner großen Momente erleben".
Fuchs: Ja, hat es, aber das ist so ein bisschen die Logik, wie Parteien kommunizieren. Aus dem Wahlkampf abgeleitet: Man spricht immer nur die an, die sowieso nah bei einem dran sind. Man spricht nicht die an, die weit weg sind, weil, das zeigt die Erfahrung, die Kosten und der Aufwand sind so extrem groß.
Einen Menschen, der eine andere Ideologie vielleicht vertritt oder einer anderen Partei nähersteht, in sein Lager rüberzuziehen, ist viel, viel schwerer als die, die irgendwie nah dran sind und vielleicht auch Wechselwähler sind, anzusprechen und zu erreichen. Deshalb will man gar nicht oder – das ist eine Kritik, die ich oft habe – versucht man gar nicht, sich mal um die anderen Wählerschichten auch zu kümmern und die vielleicht viel, viel stärker anzusprechen.
Kassel: Aber nun ist es natürlich auch so, wenn man das zum Beispiel auf dem Twitter-Account oder dem Facebook- oder Instagram-Account der SPD oder der FDP oder der Linken postet, ist natürlich die Wahrscheinlichkeit, dass jemand das sieht, der kein Sympathisant ist, generell gering.
Fuchs: Na ja, das würde ich gar nicht so sagen, weil es natürlich Menschen in Deutschland gibt – ich gebe zu, das ist nicht die Mehrheit –, die sich breit informieren, die sagen, okay, ich möchte breit aus verschiedenen Lagern dann auch Positionen und Themen wahrnehmen, die auch alles erst mal abonnieren. Und in einer Zeit, in der auch die Wechselwähler mehr werden und die Volatilität höher wird, das heißt, Menschen wechseln auch mal ihre Meinung zwischen den Wahlen innerhalb von vier Jahren... Das heißt, ich glaube schon, dass da diese große schweigende Mehrheit, die sich nicht klar politisch positioniert, dass man die auch schon über Partei-Accounts erreichen kann.
Der AfD die Leviten lesen
Kassel: Aber was bringt es, wenn man einfach nur zeigt, ich habe da mal klare Worte gefunden, ich habe mitten in einem Landtag oder im Bundestag, während die AfD-Abgeordneten dabei waren, denen mal die Leviten gelesen und ihnen zum Beispiel erklärt, was alles sachlich Unsinn ist an ihrer parlamentarischen Anfrage zum Beispiel. Was bringt es, um bei diesem Beispiel zu bleiben, wenn einem aber gar nicht erklärt wird, wie die parlamentarische Anfrage lautete und worüber wirklich diskutiert wird? Das sind ja meistens nur so 40-Sekunden-Clips.
Fuchs: Da muss man vielleicht ein paar Jahre zurückgehen. Als die AfD die ersten Parlamente gehijackt hat und dort eingetreten ist, haben die relativ schnell angefangen, eigene quasi TV-Formate ähnlich wie die Fernsehformate aufzuziehen und genau das zu machen, womit die anderen Parteien jetzt nachziehen, nämlich kurze Clips von ihnen, wo sie sich inszenieren, ihre Arbeit im Parlament inszenieren, ins Netz zu stellen. Und das heißt, die waren da, aber die anderen Parteien waren nicht da, und das heißt, es ist da schon so eine Unwucht gewesen, dass man immer gedacht hat, okay, es gibt ja nur die AfD, die arbeitet, weil, von den anderen sehe ich ja keine Videos.
Und darauf haben jetzt die anderen Parteien reagiert und haben ähnlich professionelle Strukturen aufgebaut wie die AfD – Fernsehstudios, Technik, Leute, die Ahnung davon haben – und tun das jetzt auch. Das heißt, natürlich wird man da nicht den Prozess und auch den Kontext nicht wahrnehmen. Aber es ist so ein Gegennarrativ, was versucht wird: wir sind auch fleißig, wir haben auch eine Meinung, und die Meinung, die stellen wir jetzt parallel zu den anderen Videos, die die AfD auch schon ins Netz gestellt hat.
Streitfall Halsabschneider-Geste
Kassel: Das heißt, Sie halten das grundsätzlich erst mal für eine und auch für eine sinnvolle Reaktion darauf, dass ja die AfD selber in den sozialen Netzwerken, überhaupt im Internet extrem präsent und aktiv ist.
Fuchs: Definitiv, weil das eines unserer Probleme ist. Wenn man nur eine Meinung wahrnehmen kann, fehlt ja etwas in einem Diskurs, nämlich die andere Meinung. Deshalb ist es schon mal richtig und wichtig. Und ich finde es gut, dass man verschiedene Aspekte einer Rede vielleicht auch zielgerichtet schneidet und dann auch präsentiert und aufbereitet und postet dann, weil natürlich so die Chance relativ groß ist, dass man mit einem kurzen Snip, mit einem kurzen Ausschnitt Leute erst mal in ein Thema reinzieht, die sich dann vielleicht noch mehr mit dem Kontext beschäftigen. Wenn ich gleich anfange, eine Sechs-, Sieben-Minuten-Rede vielleicht zu posten, da ist die Wahrscheinlichkeit relativ gering und auch die Motivation, sich das erst mal in Gänze anzuschauen.
Kassel: Aber geht es nicht auch dabei darum, eben zu zeigen, wir sind eben anders als die AfD? Und dazu würde doch eigentlich auch gehören, wir arbeiten nicht mit irgendwelchen, von wenig Fakten untermauerten Schlagzeilen.
Fuchs: Die Gefahr ist relativ schnell da. Es gibt ja auch einen prominenten Fall, der jetzt auch der SPD viel Kritik gebracht hat, wo man eine Halsabschneider-Geste von Beatrix von Storch gezeigt hat, aber auch diesen Kontext erst später zugestellt hat, dass der Redner Johannes Kahrs im Parlament die ähnliche Geste gemacht hat und sie darauf nur reagiert hat. Also, der Grat ist sehr, sehr schmal, dass man dann auch dem Populismus verfällt. Aber der grundlegende Unterschied – egal jetzt mal von den Formaten und Technologien, die benutzt werden, die vielleicht ähnlich sind – sind ja die Inhalte.
Nur ein Mosaiksteinchen der politischen Kommunikation
Kassel: Die eine Seite ist ja klar, es gibt mehr Aufmerksamkeit für Debatten an Orten, wo man oft nicht hinblickt als normaler Mensch. Auf der anderen Seite: Politik ist kompliziert und in aller Regel sehr langwierig. Da frage ich mich, kriegt man nicht auch einen falschen Eindruck, zum Beispiel vom Bundestag, wenn man glaubt, da wird immer so pointiert gesprochen?
Fuchs: Klar, wenn man jetzt nur diese Videos wahrnehmen würde, wäre es eine komplette Verzerrung der parlamentarischen Arbeit, da gebe ich Ihnen komplett Recht. Aber die Kommunikation von Parteien und auch Politikern sieht ja so aus, dass da viele, viele andere Kommunikationsformate auch gewählt werden. Das heißt, dieser Clip, der vielleicht viral geht mit den 40 Sekunden, den knackigen Zitaten, die da drin sind, ist ja nur ein kleines Mosaiksteinchen der Kommunikation von Parteien und Fraktionen. Von daher, glaube ich, ist die Gefahr gering.
Natürlich, wenn ich nur alle fünf Monate so einen Clip viral in meine Timeline gespült bekomme, dann kann dieser Eindruck entstehen. Aber ich würde mal die These aufstellen, dass wenn dieser Clip nicht wenigstens alle fünf Monate mal in meine Timeline kommt, erfahren diese Menschen sonst gar nichts mehr von Politik, weil sie das nicht aktiv nachfragen. Von daher sehe ich die Gefahren, die Sie beschrieben haben, aber ich sehe eher das Potenzial, dass Menschen überhaupt erst mal angefixt werden vielleicht für Themen, für Argumente, für Fraktionen.
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