Mit Zähnen durchs Superwahljahr

Von Florian Felix Weyh · 12.01.2011
Der Lächelzwang übernimmt im Superwahljahr die Verhaltenssteuerung. Überboten wird er nur von zähnefletschender Pitbull-Rhetorik gegenüber dem politischen Gegner.
Der berühmte Theaterregisseur George Tabori hat einmal über die Beziehung zwischen Politik und Zähnen philosophiert: "Das Lächeln", schrieb er, "ist die Grund-Grimasse der Demokratie." Undenkbar, dass jemand mit schlechten Zähnen ein politisches Mandat erringe, da im TV-Zeitalter die Gesetze der Pferdehändler gälten: Ein gutes Gebiss täuscht über die Untiefen eines schwachen Angebots hinweg. Also lächelt die Politik auf Großkundgebungen, von Plakaten und von Bildschirmen.

2011 wird mit sieben Landtagswahlen ein komplett durchgelächeltes Jahr. Lächeln ist der Code, mit dem sich verschlossene Wählerherzen aufschließen lassen, meint man, denn es existiert eine innige Verbindung des Lächelns mit Heilsversprechungen und der Aussicht auf ein besseres Leben.

In Wahrheit gibt es in der Politik nirgendwo etwas zu lächeln, schon gar nicht auf der Ebene von Landtagswahlen. Was man dort feilzubieten vermag, ist komplett unattraktiv, graues Verwaltungs-Einerlei. In keinem Bundesland bestehen Entscheidungs-Spielräume für Visionen, seit Jahrzehnten geht es vorrangig um den Vollzug von andernorts – in Berlin und Brüssel – getroffenen Regelungen, und der Rest ist Alltagsbewältigung bei knappen Kassen. Der Berliner Wähler wäre schon froh über eine funktionierende S-Bahn, der Hamburger, wenn er von Reißbrett-Schulreformen verschont bliebe. Existenzielle Themen sehen anders aus.

So gleichen alle sieben Wahlen dieses Jahres dem Kauf eines neuen Autos, bei dem von vornherein etliche Einschränkungen gelten. Erstens: Man muss dieselbe Marke wie zuvor kaufen. Zweitens den gleichen Typ, immer nur unterschiedlich lackiert, und drittens wird das vermeintlich neue Auto komplett aus gebrauchten Teilen zusammengesetzt sein. Lächelnd verkauft die Politik dies als Freiheit … wobei man durchaus Mitleid mit den Akteuren haben kann.

Denn durch unsere missglückte Föderalismus-Variante, die Bund und Ländern zu wenig Unabhängigkeit voneinander einräumt, kann noch die nebensächlichste Routinewahl in einem Zwerg-Bundesland zur Schicksalsfrage des Gesamtstaats werden, und wenn nicht dies, so doch zumindest zum Stolperstein politischer Karrieren. Es gibt eine merkwürdige Generalisierung, die da lautet: Immer steht alles zur Disposition!

Selbst Kommunalwahl-Ergebnisse werden gern der höchsten Hierarchie-Ebene in die Schuhe geschoben, weil man dem Wähler offensichtlich mehr Rachsucht als politischen Verstand zutraut. Dieser Wahrnehmung zufolge wählt er mit dem Dorfgemeinderat dann nicht ihm persönlich bekannte Menschen als politische Repräsentanten, sondern eigentlich die Kanzlerin oder den Außenminister ab.

Ohne das System komplett umzukrempeln, kann man Superwahljahre nicht verhindern. Sie setzen alle Synapsen in Politikergehirnen schachmatt. Der Lächelzwang übernimmt dann die Verhaltenssteuerung, nur überboten von zähnefletschender Pitbull-Rhetorik gegenüber dem Gegner, der zweiten Beziehung zwischen Politik und Zähnen – Wahlkampf wird mit dem Mund bestritten.

In der venezianischen Adelsrepublik war er 500 Jahre lang bei Strafe verboten. Zählte man zum Kreis der Patrizier, konnte man von anderen erwählt werden, durfte aber zuvor nicht für sich geworben haben. Eine derartige Regelung scheint heute wegen ihrer Rückwärtsgewandtheit utopisch. Aber den Blick voraus gerichtet, könnte man sich ein anderes Superwahljahr-Gegenmittel vorstellen: Lasst uns die Parteienlandschaft in zwei Teile aufspalten!

Wer immer in einem Bundesland politisch wirken will, soll dies im Fokus einer reinen Landespartei tun; Landesparteien werden aber nicht zur Bundestagswahl zugelassen. Doppelmitgliedschaften sind verboten, und vor dem Übertritt aus der Landes- in die Bundespolitik muss eine mehrjährige Karenzzeit liegen. Dann sind sieben Landtagswahlen hintereinander nur sieben einzelne Landtagswahlen und kein bundespolitischer Dauermarathon. Falsches Lächeln und grimmiges Zähnefletschen blieben – aber die Folgen fürs Land wären weitaus geringer.

Florian Felix Weyh, geboren 1963, lebt als Autor und Publizist in Berlin. Preise und Stipendien für Drama, Prosa und Essay; seit 1988 arbeitet er regelmäßig als Literaturkritiker für den Deutschlandfunk. Sein jüngstes Buch "Die letzte Wahl – Therapien für die leidende Demokratie" erschien 2007 in der Anderen Bibliothek. Verstreute Texte und weitere Informationen zur Person sind auf www.weyh.info zu finden.
Florian Felix Weyh, Schriftsteller und freier Journalist in Berlin
Florian Felix Weyh, Schriftsteller und freier Journalist in Berlin© Katharina Meinel