"Demokratie hacken!"
Auf dem Weltforum in Straßburg diskutieren derzeit rund 1200 Interessierte aus 80 Nationen über die Zukunft der Demokratie. Mit dabei: die Piraten-Politikerin Katharina Nocun. Sie wirbt dafür, ihrer Zunft immer wieder auf die Füße zu treten.
Nana Brink: Eigentlich eine ganz schön schöne Vorstellung: Man hat drei Tage Zeit, darüber nachzudenken, wie wir Bürger uns mehr in die Politik einmischen können, vorausgesetzt, wir wollen das. Über 1.200 Teilnehmer aus 80 Ländern wollen das, vor allem junge Menschen. Die Digital Natives, also die, die ein iPad bedienen können, bevor sie lesen können, und sie alle sind auf Einladung des Europarats nach Straßburg gekommen zum Weltforum für Demokratie, eben um sich mehr Gehör zu verschaffen und zu überlegen, ob unsere westliche Vorstellung von Demokratie nicht neue Ausdrucksformen braucht. Also eine spannende Frage, und mit dabei und in der Jury des Weltforums für Demokratie, das herausragende Demokratieprojekte prämiert, ist Katharina Nocun, Politikerin der Piratenpartei. Guten Morgen!
Katharina Nocun: Einen wunderschönen guten Morgen!
Brink: Wie wollen Sie junge Menschen mehr in die Politik einbinden?
Mehr junge Menschen in der Politik: Man muss sie einfach nur mehr fragen
Nocun: Ja, ich glaube, das ist ganz einfach, man muss sie einfach nur mehr fragen. Politik hat ja ganz viel mit Debatte, mit Streit, mit Diskurs zu tun, und momentan wird das ganz viel unter den Parteien ausgemacht. Und ich glaube, wir können einfach dazu übergehen, die Menschen mal öfter zwischendurch zu fragen, also auch abseits von Wahlen.
Brink: Sie haben einen ganz interessanten Essay geschrieben kürzlich in einer Zeitung, wo Sie sagen – Sie sind ja noch sehr jung, 26 Jahre alt – meine Generation hat keine Lobby. Fühlen Sie sich nicht gehört?
Nocun: Ja, man muss einfach sehen, dass die Wahlbeteiligung grundsätzlich sinkt, und das nicht nur bei jungen Menschen, sondern bei allen Altersgruppen. Man merkt an der Stelle einfach, dass sehr viel Porzellan zu Bruch gegangen ist in den letzten Jahren. Sehr viel Vertrauen ist verloren gegangen, und da müssen wir uns eben die Frage stellen: Wie kann man das reparieren, wie kann man dieses Vertrauen in die parlamentarische Demokratie wiederbeleben? Und ich glaube, eine Möglichkeit ist einfach, mehr direkte Demokratie zuzulassen, das heißt, auch mehr Vetopunkte für die einzelnen Bürger zu schaffen, wo sie auch mal die Politik zurückpfeifen können, wenn ihnen was nicht passt, weil ich glaube, das ist der Grund, warum viele Menschen eben das Vertrauen verlieren, wenn das nicht funktioniert.
Brink: Aber das ist ja auch so ein Schlagwort, was man immer schnell parat hat, auch bei Ihnen in der Piratenpartei, ja, mehr Demokratie wagen, das hat schon mal jemand vor ein paar Jahrzehnten gesagt. Wie konkret können Sie das denn tun? Geben Sie mir ein Beispiel!
Direkte Demokratie: Der Bürgerhaushalt in Osnabrück
Nocun: Also an ganz vielen Orten wird das getan. Ich komme beispielsweise aus dem Landkreis Osnabrück, und dort gibt es einen Bürgerhaushalt, auch mit auf Initiative der Piraten im Stadtrat. Dort werden die Bürger einfach gefragt, was ist so ihr lokales Projekt, was ihnen am Herzen liegt, was sie derzeit noch nicht in der Umsetzung sehen. Die Bürger wurden gefragt, konnten abstimmen, und die Ergebnisse sind ganz konkret sichtbar: Eine Schule hat mehr Geld bekommen für Ausstattung, ein Theater für Kinder wurde vor der Schließung gerettet, und jetzt gibt es in der Innenstadt mehr Parkbänke. Also das sind ganz kleine konkrete Dinge, die ich täglich sehe, einfach wo es was bringt.
Brink: Aber das hat man ja auch schon mit dem Prinzip der Bürgerinitiativen gemacht, die haben wir seit Jahrzehnten auch vor allen Dingen auf lokalen Ebenen, aber Sie wollen ja mehr, Sie wollen ja auch Politik auf der Länderebene verändern. Was gibt es da für Instrumente, das reicht mir noch nicht als Beispiel.
Nocun: Ja, so direkte Demokratie kann man sowohl auf lokaler Ebene als auch auf Landesebene als auch auf Bundesebene sich vorstellen. Und auf Bundesebene haben wir eben derzeit nicht die Möglichkeit, einen bundesweiten Volksentscheid durchzuführen, und wenn wir in die Parteien reingucken, dann haben wir auch viel zu wenig Elemente direkter Mitbestimmung auch für die Parteimitglieder.
Es muss ja einen Anreiz geben, warum ich jetzt ausgerechnet bei einer Partei mitmache, ich kann ja auch einfach nur wählen gehen. Und ich glaube, da können die Parteien viel stärker die Hände ausstrecken und eben die Leute stärker packen, indem sie sagen, du kannst mehr Anträge mitstellen, du kannst mitgestalten, du kannst wirklich mitentscheiden, wer bei uns Spitzenkandidat wird. Und in den letzten Jahren hat da eine sehr schöne Entwicklung eingesetzt, es ist aber auch eben wichtig, dass diese Entwicklung weitergeht und wir nicht stehen bleiben und uns darauf ausruhen. Weil wenn wir uns die Wahlbeteiligung anschauen, wenn wir uns auch Umfragen anschauen, das Vertrauen in die Politik braucht einfach da eine ganz deutliche Stärkung.
Brink: Aber wenn wir zum Beispiel mal nach Thüringen gucken, da funktioniert ja eigentlich genau das, was Sie anmahnen, nämlich mehr Demokratie, mehr Mitbestimmung für die Parteimitglieder – die können jetzt gerade abstimmen, ob sie einen Linken zum Ministerpräsidenten wählen wollen. Reicht denn das irgendwie aus, wie Sie es gerade beschrieben haben, immer nur Demokratie per Mausklick, also ich klick mich da irgendwo ein, sage "I like it"? Das hat ja eigentlich mit Basisarbeit auch nicht mehr viel zu tun.
Die Zeit, in der man virtuelle und analoge Realität getrennt hat, ist vorbei
Nocun: Na ja, also so ein Volksentscheid ist ganz altmodisch, der funktioniert mit Papier, und ich denke, dass sich das beides total gut ergänzen kann. Ich kann gleichzeitig Volksentscheide per Papier durchführen und gleichzeitig per Internet parallel Informationen bereitstellen, eine Möglichkeit geben, dass Leute auch von zu Hause Anträge stellen können.
Ich bin gleich bei einer Veranstaltung, bei der 1.200 Leute anwesend sein werden und wahrscheinlich noch mal doppelt so viele übers Internet zugeschaltet sein werden. Das heißt, das ist einfach eine riesige Möglichkeit, noch mehr Leute dazu zu holen, und wir dürfen uns nicht dem verschließen, indem wir sagen, na ja, das ist virtuell, das hat mit uns nichts zu tun. Ich glaube, die Zeit, in der wir virtuell von der analogen Realität so trennen können, die ist vorbei. Jeder hat ein Smartphone in der Tasche oder einen Rechner zu Hause, und das ist einfach eins.
Brink: Sie haben gerade die Veranstaltung angesprochen, 1.200 Menschen jetzt auf dem Weltforum für Demokratie, es beginnt heute Nachmittag – was erwarten Sie? Weil die letzten Ausgaben dieses Weltforums, die sind ja ohne irgendeine Erklärung oder Manifest zu Ende gegangen?
Nocun: Also ich erwarte erst mal ganz viele junge, engagierte Leute, die unglaublich viele gute Ideen haben, und ich bin wirklich gespannt darauf, welches Projekt, sag ich mal, das Rennen machen wird. Aber ich glaube, auch unabhängig davon, wer gewinnt – die Leute haben dort einfach die Chance, ihre Initiative vor Ort politischen Entscheidungsträgern und auch der Welt vorzustellen. Und allein, dass wir jungen Menschen so eine Chance geben, ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Was daraus gemacht wird, das ist natürlich die spannende Frage, das muss die Politik beantworten, aber ich werde mein Bestes dazu geben, dass das auch umgesetzt wird.
Brink: Da möchte ich Sie trotzdem noch mal packen: Sie sitzen ja in der Jury des Weltforums für Demokratie, Sie dürfen ein herausragendes Projekt prämieren, wahrscheinlich sagen Sie uns jetzt nicht, welches es wird, aber was hat Sie denn besonders beeindruckt?
Mit elektronischen Tools die Demokratie "hacken"
Nocun: Ja, es ist schwierig: Als Jurymitglied darf man natürlich nicht seine Favoriten verraten. Ich persönlich interessiere mich wirklich für diesen Bereich, wie können wir Demokratie hacken, also wo gibt es beispielsweise Stellen, wo es Gesetze gibt, die erst mal toll sind, beispielsweise Informationsfreiheitsgesetze, und wie können wir elektronische Tools nutzen, damit noch mehr Leute diese Möglichkeiten, die sie schon haben, nutzen, um Politikern auf gut Deutsch gesagt auf die Nerven zu gehen und sie an ihren Job zu erinnern. Weil alles, was dazu führt, dass unsere Arbeitnehmer, die Politiker, mehr das machen, was wir, die Chefs, also die Bürger wollen, ist ganz in meinem Sinne.
Brink: Sagt die Politikerin der Piratenpartei, Katharina Nocun. Danke! Und wir sind gespannt, für was Sie sich entschieden haben. Das Weltforum der Demokratie tagt noch bis zum Mittwoch in Straßburg.
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