Mitgliedermangel der Vereine

Sterbende Geselligkeit

Altgediente Feuerwehrmänner bei der Jahreshauptversammlung der FFW Bad Wurzach prosten sich am 21.3.2013 zu.
Altgediente Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr prosten sich bei einer Hauptversammlung zu. © picture alliance / dpa / Johannes Reichert
Von Tobias Krone |
Das klassische Vereinswesen ist hierzulande in der Krise: Besonders beim Sport ist die kommerzielle Konkurrenz groß – etwa von Fitnessstudios. Auch bei der Feuerwehr fehlt Nachwuchs, weil viele Junge aus der Provinz in die Großstädte ziehen.
Wer deutsches Vereinsleben studieren will, stellt sich an einem frostigen Sonntagnachmittag ins Freilufteisstadion Ottobrunn – am Rand von München. Und zwar zu den Fans der Gastmannschaft. Alexandra Maier hat gut 300 Kilometer mit dem Auto zurückgelegt, die einfache Strecke.
"Eigentlich fast noch Heimat für uns, ne? Also wir fahren ja noch viel weiter bis ganz tief in den Süden. Waldkraiburg ist das weiteste. Waldkraiburg. Also bis ans letzte Zipfele von Bayern."

Vereinssport betrifft die ganze Familie

Die Frau kommt aus Schweinfurt. Ihr Sohn liefert sich mit seinem Team gerade ein spannendes Eishockey-Duell in der Landesliga gegen den Münchner Vorortverein – sportlich ist dabei auch das Engagement der Eltern.
"Das heißt im Endeffekt, dreimal die Woche Training – die Kinder hinfahren. Das heißt am Wochenende, die Heimspiele organisieren, die Heimspiele alle selbst machen. Ja, das Wochenende steht nur im Zeichen von Eishockey. Jedes Wochenende ist Spiel. Es betrifft die ganze Familie. Also wirklich Verzicht auf ganzer Linie."
Martin Mayer steht vor einem Holzstand
Martin Mayer ist Trainer der U17-Mannschaft des ERSC Ottobrunn am Rande von München.© Tobias Krone
Martin Mayer ist Trainer der Mannschaft aus Ottobrunn. Gerade die Altersklasse U17, also der Spieler unter 17 Jahren, ist aus seiner Sicht ein kritisches Alter:
"Bei den Großen wird es natürlich zunehmend dünner, weil die Kinder selbstständiger werden und die Eltern halt leider oft das Hobby nicht zwingend mit den Kindern teilen und so die Kinder halt oft alleine kommen und sie halt, egal was sie machen, immer mal helfende Hände brauchen, die dann fehlen."
Nicht nur an Eltern, die Fahrdienste und den Getränkeverkauf übernehmen, mangelt es vielen Vereinen in Deutschland. Auch an ganz normalen Mitgliedern. Dabei gründen die Deutschen weiterhin fleißig Vereine.

Stagnation im klassischen Vereinswesen

Doch während Umweltschutz-, Bildungs- und Unterstützervereine für arme Menschen in anderen Ländern boomen, stagniert das klassische Vereinswesen. Holger Krimmer erforscht diese Entwicklung für den Stifterverband:
"Zum Beispiel der organisierte Sport. Da sieht man, dass sich die Sportvereine durchaus nicht mehr so leicht tun, neue, engagierte Mitglieder zu gewinnen und vor allem auch Personen aus den eigenen Reihen zu gewinnen, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, also sprich, die in den Gremien arbeiten oder Vorstände werden."
Ein Grund für den nachlassenden Zulauf: Zum Sport in Vereinen gibt es heute alternative, professionelle Möglichkeiten.
"Mit Fitnessstudios und ähnlichen Betreibern – das ist eine starke Konkurrenz. Also der Sport tut sich schwerer. Genauso Freizeit-, Geselligkeits- und Brauchtumsvereine, die auch stark vom Gemeinschaftsaspekt leben – und andere."

Übergroßes kommerzielles Freizeitangebot

Dass die Leute weniger Lust auf organisierte Gemeinschaft haben, spürt auch Martin Bachmair, Vorstand des Skibob-Clubs Ottobrunn – zugegeben eine exotische Sportart, bei der man mit einer Art Fahrrad auf Skiern die Abfahrt runterbrettert. Gegenüber früher würden die Menschen heute mit Freizeitangeboten überflutet. Bachmair vergleicht es mit dem Fernsehprogramm:
"Früher, in den 70er-Jahren, hat es bei uns in Oberbayern fünf Programme gegeben. Das war Erstes, Zweites, Bayerischer Rundfunk und zwei Österreicher. Das war es einfach, die Leute waren damit zufrieden. Und jetzt hat man – was weiß ich – hundert Programme. Und keiner ist mehr glücklich, weil er sagt: Ich weiß gar nicht, was ich anschauen soll. Und ich denke, so ist auch der Unterschied bei den Vereinen. Früher hat es ein paar Vereine gegeben. Da war es schön, dass man dabei war. Da war man gern dabei, hat das mitgemacht. Und jetzt hat man die Möglichkeiten und weiß eigentlich gar nicht, wo man steht, wo man hingehört."
Dabei sind Vereine wichtig für das Zusammenleben in Dörfern und Städten. Sie bringen Menschen zusammen, bündeln Interesse, stiften Identität und sind in vielerlei Hinsicht auch eine Schule fürs Leben.
Martin Bachmair vom Skibobclub steht vor einem Stand Skibob-Clubs
Martin Bachmair ist Vorstand des Skibob-Clubs Ottobrunn.© Tobias Krone
"Zum Beispiel auch der ganze Wettkampf – einfach zu akzeptieren, dass es Bessere, Schlechtere gibt. Dass man auch Niederlagen einstecken muss, dass man sich vorbereitet, sich konzentriert ... , solche Sachen. Und das kann ich nur im Verein machen. Das geht nicht im privaten Sport."
Und es gibt noch andere Gründe, warum sich Vereine damit schwer tun, neue Mitglieder zu gewinnen. Eine Mitgliedschaft wir heute – im Gegensatz zu früher – nicht mehr von den Eltern auf die Kinder vererbt.

Nachwuchsproblem bei der Freiwilligen Feuerwehr

Zudem zieht der Nachwuchs heute öfter aus der Provinz in die Großstädte zum Studieren. Dem Land gehen so mehr und mehr zum Beispiel die freiwilligen Feuerwehrleute aus. Ein existenzielles Problem.
"Am schlimmsten ist natürlich die Tagesalarmbereitschaft, also dass Leute am Tag am Wohnort oder am Arbeitsort sind und dort alarmierbar und einsatzbereit sind für ihre Freiwillige Feuerwehr. Das ist tatsächlich schwierig, weil da doch der eine oder andere Ort im ländlichen Raum verwaist ist."
Christian Patzelt hat als Bundesjugendleiter Übersicht über die Jugendfeuerwehrverbände der Republik. Daher weiß er: Neben der Landflucht gibt es gerade im Münchner Speckgürtel zunehmend das Problem, dass Feuerwehrleute ihren Helm an den Nagel hängen, weil sie für ihre Miete einen zweiten Job brauchen. Und auch so ist es nicht gerade leicht, Arbeit und Verein unter einen Hut zu bekommen.
"Auch wenn es gesetzliche Vorgaben gibt, dass sie sich im Katastrophenschutz und in der Gefahrenabwehr engagieren dürfen und auch freigestellt werden müssten, so ist ja jungen Leuten aber doch immer anzuraten, dass sie sich erstmal nach ihrem Arbeitgeber richten und ihm nicht mit Gesetzen und Vorschriften kommen."

Zweitjob und Überstunden verhindern Engagement

Wer beispielsweise Überstunden im Büro sammelt, schafft es selten noch zur Feuerwehrprobe am Mittwochabend. Oder ins Eishockeytraining. Strukturwandel nennt das der Forscher Holger Krimmer. Diesem müssten sich Vereine aktiv stellen – und auch die eigene Arbeit überdenken. So hindern interne Hierarchien jüngere Mitglieder oft, Verantwortung zu übernehmen. Diese Hürde könnten die Vereine abbauen. Eine Vorstandssitzung ließe sich zum Beispiel heute auch mit Videoschalte per Internet abhalten.
Beim Eishockey-Club in Schweinfurt geht man inzwischen noch einen etwas anderen Weg, um mehr Mitarbeiter für den Verein zu gewinnen:
"In unserem Verein ist es ab diesem Jahr so, dass die einen Pflichtbeitrag eingeführt haben. Du musst sechs Pflichtstunden pro Kind abarbeiten, oder du zahlst 60 Euro. Weil es oft so ist, dass die Leute ... Wie gesagt, wir arbeiten ja ehrenamtlich und machen was und engagieren uns. Und die, die nichts machen – das ist für uns andere irgendwo ein wenig ungerecht. Und jetzt haben sie gesagt: Du kannst deine sechs Stunden arbeiten, dann musst du die 60 Euro nicht zahlen für den Verein. Aber im Grunde ist es so: Die, die nichts tun, tun weiterhin nichts und zahlen halt ihren Beitrag."
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