Mithu Sanyal: Vergewaltigung - Aspekte eines Verbrechens
Edition Nautilus, Hamburg 2016
240 Seiten, 16,00 Euro
Wie wir über Vergewaltigung sprechen
Die Autorin Mithu Sanyal seziert in ihrem neuen Buch die gesellschaftliche Diskussion über Vergewaltigungen. Es geht bei ihr ans Eingemachte, intelligent und faktensatt entlarvt sie die Debatte als genderfeindlich - und das nicht nur den Frauen gegenüber.
Seit "Köln, Silvester 2015" wird wieder über sexuelle Gewalt debattiert, heftig bis hysterisch. Seltsam unisono, quer durch alle politischen Lager, ertönt der Ruf nach schärferen Gesetzen zum Schutz von Frauen.
Richtig schrill klingt er, wenn ausgerechnet Männer, die sonst am lautesten gegen "Genderwahn" als Ausgeburt der Moderne pöbeln, plötzlich just im Namen "unserer westlichen Werte" auf andere Männer losgehen, die angeblich direkt aus einem fiktiven finsteren Mittelalter kommen und "unsere Frauen" für Beutestücke halten.
"Unsere Frauen sind gefälligst unsere Beute"
Frauen vor dem Opferwerden zu schützen geht anders. Das dröhnt doch geradezu nach: "Unsere Frauen sind gefälligst unsere Beute, nicht eure!" Warum schreit da eigentlich nicht die komplette Restrepublik auf?
Antworten auf derlei Fragen bietet Mithu Sanyal in ihrem neuen Buch. Die polnisch-indisch-deutsche Spezialistin für kulturelle Leerstellen mit fatalen Folgen fürs Geschlechterwohl legte 2009 mit "Vulva" eine fulminante Studie über die ungleiche soziale Repräsentation der männlichen und weiblichen Genitalien vor. Auch in "Vergewaltigung" geht es wieder ans Eingemachte, um unsere Kultur des sexuellen Analphabetismus samt ihren Geschlechterklischees.
Und da kennen bei aller Aufgeklärtheit leider auch feministische Veteraninnen nur noch "zwei Geschlechter: Täter und Opfer. Wer Vergewaltigung sagt, denkt an aggressive Männer und ängstliche Frauen, an Penisse als Waffen und Vaginen als ungeschützte Einfallstore in ebenso ungeschützte Körper", notiert Sanyal.
Willkommen in der Gender-Falle
Willkommen in der Gender-Falle. Ja, die Verhältnisse sind vertrackt, mit Gewalt und ohne, da hilft nur ein beherzter polyperspektivischer Zugriff.
Sanyal mischt Verkleistertes auf und denkt Getrenntes zusammen, rekapituliert politische, juristische, historische Veränderungen und Forschung, bürstet bekannte Fälle gegen den Strich und rekonstruiert, wie Angst vor Gewalt erzeugt wird und als "sozialer Virus" wirkt: durch Wörter wie "entehrt" – als sitze bei Frauen die ganze Ehre zwischen den Beinen – oder Charakterisierungen wie "schlimmer als der Tod", mit denen kleinen Mädchen eingetrichtet wird, ihre ganze Existenz sei dauergefährdet.
Lohfink und Kampusch bleiben nicht im Opferkäfig
Und wehe, es passiert ihnen tatsächlich was und sie bleiben dann nicht im Opferkäfig – wie Natascha Kampusch, die darauf besteht, mehr als jene acht Jahre Keller zu sein, oder Gina-Lisa Lohfink, die ihr Geld mit öffentlichem Sexysein verdient und prompt das Huren-Stigma aufgetackert bekommt, oder Samantha Geimer, die immer wieder erklärt, dass die Jahrzehnte Medienhatz traumatischer seien als Polanskis K.o.-Tropfen-Penetration.
Mithu Sanyal schreibt so souverän beschwingt, dass das Lesen gleichzeitig Spaß und klug macht. Vor allem enthysterisiert sie die Debatte, indem sie die Tat entmystifiziert und die Täter auf Menschenmaß stutzt.
Plädoyer gegen die Selbstsabotage
Ihr kompaktes, faktensattes Buch ent-panik-t, räumt auf mit der Angst vor dem angeblich Übermächtigen, das zur Selbstsabotage führt, und schafft Raum für die kühle Ruhe, mit der man aus Gefahren herauskommen und sie überleben kann.