Mittellos durchs New Yorker Leben
Diesem Geschöpf ist noch jeder verfallen: Binnen Sekunden wickelt uns die zarte, freche Holly Golightly um den Finger. Holly Golightly, Heldin von Truman Capotes legendärem Roman "Frühstück bei Tiffany", hat ein paar Tricks auf Lager: Vollkommen mittellos schlägt sie tapfer durchs New Yorker Leben an der Upper East Side, lässt ihre Verehrer am ausgestreckten Arm verhungern, dreht ihnen trotzdem die Taschen um, ist für jeden Unsinn zu haben und geht immer, wenn sie das "rote Elend" überkommt, auf einen Sprung zu Tiffany, dem Juwelier auf der Fifth Avenue.
Die eleganten Auslagen, die heilige Stille und die diskreten Verkäufer lenken sie ab von ihren privaten Katastrophen. Erzählt wird die Geschichte, die 1958 im Original erschien, aus der Perspektive eines Freundes, der im selben Haus wie Holly wohnt, sie wegen ihrer ansteckenden Lebendigkeit liebt und bewundert, schließlich die Wahrheit über ihre sorgfältig versteckte Herkunft zutage befördert und als Einziger wirklich zu ihr steht. Denn natürlich geht die Sache schlecht aus für Holly.
Der schmale Band, 1961 mit Audrey Hepburn und George Peppard verfilmt, ist bis heute das bekannteste Werk von Truman Capote, der später mit "Kaltblütig" den Tatsachenroman erfinden sollte und gemeinsam mit Tom Wolfe, Hunter S. Tomphson und anderen zu den Pionieren des New Journalism zählte. Mit einer gleichzeitig lässigen und dennoch poetischen Sprache und punktgenauen Dialogen fängt Capote den Charakter der zauberhaften Holly ein und prägt einen lyrischen Realismus, der durch die neue Übersetzung von Heidi Zerning auch im Deutschen größeren Glanz entfaltet. In "Die Grasharfe" von 1951 herrscht eine ähnlich traumverlorene Atmosphäre. Der elfjährige Collin landet nach dem Tod seiner Eltern bei seinen versponnenen Tanten Verena und Dolly irgendwo in einem Kaff in den Südstaaten.
Dolly bringt ihm bei, der "Grasharfe" zu lauschen und den dürren Halmen des Präriegrases Menschenstimmen zu entlocken und sich Geschichten erzählen zu lassen. Gemeinsam mit ihr und der schwarzen Freundin Catherine sammelt Collin Kräuter und Wurzeln im Wald, aus denen Dolly einen geheimnisvollen Trank braut, den sie im ganzen Staat vertreibt. Die Küche ihres Hauses war so gemütlich wie ein Mutterbauch: "Wenn ein Zauberer mir ein Geschenk machen wollte", räsoniert der erwachsene Erzähler, "würde ich ihn um eine Flasche bitten, in der die Geräusche jener Küche eingefangen wären, das Hahaha und das Knistern des Feuers, eine Flasche übervoll mit dem Duft des Butter- und Zuckergebäcks". Doch wie jedes Paradies, ist auch dieses bedroht. Die missgünstige, herrschsüchtige Verena beschließt eines Tages, den Kräutertrank gewinnbringend zu vermarkten. Es kommt zum Streit, und Dolly flüchtet mitsamt ihrer Freundin und Collin in ein altes Baumhaus. Aber Verena und der Sheriff des Dorfes wollen diese ungewöhnliche Lebensform nicht zulassen und bekämpfen sie mit allen Mitteln, bis das Dreiergespann nach langem Hin und Her und mehreren Triumphen schließlich aus freien Stücken in die normale Welt zurück kehrt und dennoch auf seine Weise siegt.
Mit den Filmen "Kaltblütig" und "Infamous", der erst kürzlich erfolgten Entdeckung seines lange verschollenen, federleichten Debüts "Sommerdiebe" (2006) und der Neuausgabe seiner Werke beim Kein & Aber-Verlag feiert der genialische Einzelgänger der amerikanischen Literatur eine längst überfällige Renaissance. 1924 in New Orleans geboren, beschloss Capote schon 1934, ein weltberühmter Schriftsteller zu werden. Er war ein literarisches Wunderkind und katapultierte sich mit "Andere Stimmen, andere Räume" (1948) an die Spitze der Gegenwartsliteratur. Auf Partys herumgereicht, von allen umworben und wegen seiner spitzen Zunge und seiner militanten Exzentrik gefeiert, trug er seine Homosexualität offen zur Schau und besaß einen untrügerischen Sinn für effektvolle Selbstinszenierung. "Hier ist der einzigartige T.C. Es hat bisher keinen wie mich gegeben, und es wird auch nach mir keinen wie mich geben", hatte der 1,61 Meter große Schriftsteller mit der quäkenden Stimme immer wieder verkündet. Er verstand sich als "tiny terror", lästerte genussvoll über Kollegen und genoss seine Existenz als Hofnarr des New Yorker Jet-Sets. Aber so schwindelerregend sein Aufstieg war – er segelte mit dem FIAT-Besitzer Agnelli durchs Mittelmeer, verkehrte in der sagenumwobenen New Yorker Diskothek Studio 54, traf den Schah und war mit den reichsten Frauen Amerikas befreundet –, so rasant verlief sein Abstieg. Nach "Kaltblütig" (1965), der weltweit gefeierten Geschichte über einen Mord an einer vierköpfigen Familie, verfasst in einer gekonnten Mischung aus Journalismus und Fiktion, begann sein Niedergang. Er verstrickte sich in fatale Liebesbeziehungen und kam mit einem Roman über den amerikanischen Geldadel nicht zurecht. Wie Proust wollte er ein Chronist der Oberschicht sein, plante einen Schlüsselroman und spuckte in die Hand, die ihn jahrzehntelang gefüttert hatte, was schließlich misslang. "Ich bin Alkoholiker. Ich bin rauschgiftsüchtig. Ich bin homosexuell. Ich bin ein Genie", beschrieb er sich selbst noch kurz vor seinem Tod.
Depressionen setzten ihm immer stärker zu, bis er nach tagelangem Medikamentenmissbrauch am Morgen des 25. August 1984 nicht mehr aufwachte. Sein literarisches Prinzip war das der ständigen Grenzüberschreitung: immer wieder musste er zu neuen Formen vorstoßen, neue Sphären für sich erobern. In seinen frühen Werken ist noch ein anderer Capote spürbar: ein lyrischer, kindheitsversessener Erzähler.
Von Maike Albath
Truman Capote:
Frühstück bei Tiffany.
Aus dem Amerikanischen neu übersetzt von Heidi Zerning. 119 Seiten, Kein & Aber. 16, 90 €.
Truman Capote:
Die Grasharfe.
Aus dem Amerikanischen von Annemarie Seidel und Friedrich Podszus, neu durchgesehen von Birgit Krückels. 185 Seiten, Kein & Aber, 16, 90 €
Der schmale Band, 1961 mit Audrey Hepburn und George Peppard verfilmt, ist bis heute das bekannteste Werk von Truman Capote, der später mit "Kaltblütig" den Tatsachenroman erfinden sollte und gemeinsam mit Tom Wolfe, Hunter S. Tomphson und anderen zu den Pionieren des New Journalism zählte. Mit einer gleichzeitig lässigen und dennoch poetischen Sprache und punktgenauen Dialogen fängt Capote den Charakter der zauberhaften Holly ein und prägt einen lyrischen Realismus, der durch die neue Übersetzung von Heidi Zerning auch im Deutschen größeren Glanz entfaltet. In "Die Grasharfe" von 1951 herrscht eine ähnlich traumverlorene Atmosphäre. Der elfjährige Collin landet nach dem Tod seiner Eltern bei seinen versponnenen Tanten Verena und Dolly irgendwo in einem Kaff in den Südstaaten.
Dolly bringt ihm bei, der "Grasharfe" zu lauschen und den dürren Halmen des Präriegrases Menschenstimmen zu entlocken und sich Geschichten erzählen zu lassen. Gemeinsam mit ihr und der schwarzen Freundin Catherine sammelt Collin Kräuter und Wurzeln im Wald, aus denen Dolly einen geheimnisvollen Trank braut, den sie im ganzen Staat vertreibt. Die Küche ihres Hauses war so gemütlich wie ein Mutterbauch: "Wenn ein Zauberer mir ein Geschenk machen wollte", räsoniert der erwachsene Erzähler, "würde ich ihn um eine Flasche bitten, in der die Geräusche jener Küche eingefangen wären, das Hahaha und das Knistern des Feuers, eine Flasche übervoll mit dem Duft des Butter- und Zuckergebäcks". Doch wie jedes Paradies, ist auch dieses bedroht. Die missgünstige, herrschsüchtige Verena beschließt eines Tages, den Kräutertrank gewinnbringend zu vermarkten. Es kommt zum Streit, und Dolly flüchtet mitsamt ihrer Freundin und Collin in ein altes Baumhaus. Aber Verena und der Sheriff des Dorfes wollen diese ungewöhnliche Lebensform nicht zulassen und bekämpfen sie mit allen Mitteln, bis das Dreiergespann nach langem Hin und Her und mehreren Triumphen schließlich aus freien Stücken in die normale Welt zurück kehrt und dennoch auf seine Weise siegt.
Mit den Filmen "Kaltblütig" und "Infamous", der erst kürzlich erfolgten Entdeckung seines lange verschollenen, federleichten Debüts "Sommerdiebe" (2006) und der Neuausgabe seiner Werke beim Kein & Aber-Verlag feiert der genialische Einzelgänger der amerikanischen Literatur eine längst überfällige Renaissance. 1924 in New Orleans geboren, beschloss Capote schon 1934, ein weltberühmter Schriftsteller zu werden. Er war ein literarisches Wunderkind und katapultierte sich mit "Andere Stimmen, andere Räume" (1948) an die Spitze der Gegenwartsliteratur. Auf Partys herumgereicht, von allen umworben und wegen seiner spitzen Zunge und seiner militanten Exzentrik gefeiert, trug er seine Homosexualität offen zur Schau und besaß einen untrügerischen Sinn für effektvolle Selbstinszenierung. "Hier ist der einzigartige T.C. Es hat bisher keinen wie mich gegeben, und es wird auch nach mir keinen wie mich geben", hatte der 1,61 Meter große Schriftsteller mit der quäkenden Stimme immer wieder verkündet. Er verstand sich als "tiny terror", lästerte genussvoll über Kollegen und genoss seine Existenz als Hofnarr des New Yorker Jet-Sets. Aber so schwindelerregend sein Aufstieg war – er segelte mit dem FIAT-Besitzer Agnelli durchs Mittelmeer, verkehrte in der sagenumwobenen New Yorker Diskothek Studio 54, traf den Schah und war mit den reichsten Frauen Amerikas befreundet –, so rasant verlief sein Abstieg. Nach "Kaltblütig" (1965), der weltweit gefeierten Geschichte über einen Mord an einer vierköpfigen Familie, verfasst in einer gekonnten Mischung aus Journalismus und Fiktion, begann sein Niedergang. Er verstrickte sich in fatale Liebesbeziehungen und kam mit einem Roman über den amerikanischen Geldadel nicht zurecht. Wie Proust wollte er ein Chronist der Oberschicht sein, plante einen Schlüsselroman und spuckte in die Hand, die ihn jahrzehntelang gefüttert hatte, was schließlich misslang. "Ich bin Alkoholiker. Ich bin rauschgiftsüchtig. Ich bin homosexuell. Ich bin ein Genie", beschrieb er sich selbst noch kurz vor seinem Tod.
Depressionen setzten ihm immer stärker zu, bis er nach tagelangem Medikamentenmissbrauch am Morgen des 25. August 1984 nicht mehr aufwachte. Sein literarisches Prinzip war das der ständigen Grenzüberschreitung: immer wieder musste er zu neuen Formen vorstoßen, neue Sphären für sich erobern. In seinen frühen Werken ist noch ein anderer Capote spürbar: ein lyrischer, kindheitsversessener Erzähler.
Von Maike Albath
Truman Capote:
Frühstück bei Tiffany.
Aus dem Amerikanischen neu übersetzt von Heidi Zerning. 119 Seiten, Kein & Aber. 16, 90 €.
Truman Capote:
Die Grasharfe.
Aus dem Amerikanischen von Annemarie Seidel und Friedrich Podszus, neu durchgesehen von Birgit Krückels. 185 Seiten, Kein & Aber, 16, 90 €