"Mixa ist nicht das Opfer der Medien"

Bernd Jochen Hilberath im Gespräch mit Katrin Heise |
Bernd Jochen Hilberath, Professor für katholische Dogmatik an der Universität Tübingen, begrüßt das Rücktrittsangebot des Bischofs Walter Mixa. "Er kann die Kirche nicht mehr repräsentieren", sagte Hilberath. Nun hoffe er, dass die Kirche im eigenen Bereich für Klarheit sorge und nicht Presseleute kritisiere oder anklage.
Katrin Heise: Die Zeitungen, die die Nachricht schon auf den Titelblättern haben, nennen es einen unglaublichen, unvergleichlichen Vorgang in der bundesdeutschen Kirchengeschichte. Gestern distanzierten sich die Bischöfe Zollitsch und Marx von Walter Mixa, legten ihm einen zeitweiligen Amtsverzicht nahe, damit Ruhe einkehrt, und nun hat Walter Mixa seinen Rücktritt angeboten.

Das Bistum, das Augsburger Bistum, bestätigte diesen Vorgang inzwischen. Ich begrüße ganz herzlich Bernd Jochen Hilberath. Er ist Professor für katholische Dogmatik an der Universität Tübingen. Schönen guten Morgen, Herr Hilberath!

Bernd Jochen Hilberath: Schönen guten Morgen!

Heise: Rücktritt wegen ein paar Ohrfeigen, wie empfinden Sie das? Übertrieben?

Hilberath: Wenn es nur das wäre, wäre es möglicherweise übertrieben, aber auch darüber könnte man diskutieren, aber es geht ja um mehr. Natürlich wird in gewisser Weise auch jetzt ein Exempel statuiert, so könnte man sagen, gerade bei einem Bischof, aber Bischof Mixa ist ohnehin eine sehr umstrittene Figur. Und es geht jetzt nicht nur um die Ohrfeigen, sondern auch um die Art und Weise, wie er das zunächst vertuscht, verschwiegen, verdrängt oder wie auch immer hat. Und ich denke, das war mehr als fällig. Und zum Glück hat er wohl das selber eingesehen und seinen Rücktritt eingereicht.

Heise: Wenn wir das noch mal so Stück für Stück auseinandernehmen, ich höre aus Ihren Worten, dass Sie meinen, der Rücktritt wäre notwendig geworden. Warum genau, was sind die Vorwürfe - also mehr als Ohrfeigen, Schläge an Kinder und nicht ganz durchsichtige Geldgeschäfte?

Hilberath: Also allein dies schon sind Vergehen, die Konsequenzen haben müssen, und für einen Bischof, denke ich, ist auch, wenn das mit den Ohrfeigen vielleicht Jahrzehnte her ist, für einen Bischof ist das eigentlich Grund genug zurückzutreten von seinem Amt. Er kann die Kirche nicht mehr repräsentieren in seinem Amt.

Heise: Das heißt, es geht eigentlich mehr nicht nur um die Vergehen an sich, die durchaus auch geahndet werden sollten, sondern um den Umgang, um seinen Umgang damit?

Hilberath: Ja, denke ich absolut. Also man könnte ja bei einem Priester und Pfarrer, wo das lange her ist, sich überlegen, was macht man da, braucht das Therapien, muss man ihn irgendwo anders beschäftigen oder kann man ihn nicht mehr beschäftigen.

Aber bei einem Bischof denke ich, er hat einen Rang in der Kirche erreicht, wo so etwas einfach untragbar ist. Er kann meinetwegen weiterhin als Priester - hoffentlich nicht bei Kindern und Jugendlichen - wirken, aber nicht mehr als Bischof für die Kirche stehen.

Heise: Jetzt können wir nicht in die Seele Walter Mixas hineinschauen, aber können Sie sich vorstellen, was in ihm vorgegangen ist? Ich meine, seit Wochen wird über kaum etwas anderes so heftig diskutiert wie über die katholische Kirche, über die katholische Kirche und den Vertrauensverlust. Wie kann er als Bischof sich dann immer wieder hinsetzen und Stück für Stück nur mit der Wahrheit oder mit seiner Art der Wahrheit rausrücken?

Hilberath: Na ja, ich bin kein Psychologe, um das beurteilen zu können. Was ich weiß - ich kenne Bischof Mixa nicht persönlich -, ist allerdings, das ist mein Eindruck, dass er bestimmte Dinge einfach ausblendet, nicht wahrhaben will und offenbar auch meint, er könne als bischöfliche Amtsperson so mit Fakten, mit Beziehungen und Verhältnissen umgehen. Also sein ganzer Führungsstil als Bischof ist eigentlich für mich mehr oder weniger inakzeptabel.

Heise: Mixa ist ja eine sehr bekannte, sehr eigenwillige Figur, eben auch genau für das, was Sie jetzt gesagt haben, da hat er ja nicht nur Ablehner, er macht ja auch Dinge publik oder er ist bereit, sich auch mal die Finger oder die Zunge zu verbrennen. Wird er in dieser Funktion nicht vielleicht auch der katholischen Kirche fehlen?

Hilberath: Also ich vermisse ihn nicht. Es stimmt allerdings, dass es in der katholischen Kirche auch eine Gruppe gibt, aber ich denke, in unserer Gesellschaft hier ist es eine Minderheit, die sich einen solchen Bischof wünscht. Das sind Leute, die in der traditionellen Moral und Lehrvorstellung der Kirche so gefangen sind, dass sie einfach unflexibel sind und meinen, der Glaube und die Moral können nur weitergegeben werden, wenn alles immer so gemacht wird, wie sie es als Kinder gelernt haben. Für diese Leute ist Mixa irgendwie eine Galionsfigur. Aber die Mehrheit der Katholiken in Deutschland wird ihm keine Träne nachweinen.

Heise: Das heißt, Sie sehen auch nicht unbedingt die Gefahr, dass er jetzt zu so einer Art Märtyrer wird? Also er ist quasi von der Mediengesellschaft gefällt worden?

Hilberath: Das wäre Blödsinn, das so zu formulieren, das ist ohnehin eine Hauptkritik, die ich auch habe. Natürlich gibt es Leute, die jetzt gewissermaßen auf einen Zug springen und jetzt auch all ihre Vorurteile gegenüber der Kirche loswerden wollen. Aber bevor Kirche, vor allem Amtskirche die Medien oder diese Leute kritisiert, sollte man sich an der eigenen Nase fassen.

Heise: Über ...

Hilberath: Also Mixa ist nicht das Opfer der Medien. Das wäre völliger Unsinn, wenn man das so darstellen würde.

Heise: Über das Rücktrittsgesuch des Augsburger Bischofs Walter Mixa spreche ich mit dem Tübinger Professor Bernd Jochen Hilberath. Wir haben gerade die Mediengesellschaft schon angesprochen. Natürlich sind da aber, egal ob man jetzt sagt, Mixa ist ein Opfer dieser Mediengesellschaft, oder ob man das eben nicht sagt, sind da natürlich zwei, wirklich zwei Welten aufeinandergeprallt in den letzten Wochen schon: katholische Kirche, katholisches Denken, moderne Mediengesellschaft. Wie passen die zusammen?

Hilberath: Die passen schlecht zusammen, so wie im Moment beide Seiten, vor allem die kirchliche Seite, aufgestellt ist. Das heißt, trotz eines Dekretes, was es im zweiten Vatikanum gab über die modernen sozialen Kommunikationsmittel, haben es viele in der Kirche, natürlich nicht alle, es gibt mediengewandte und freundliche Bischöfe, aber mehrheitlich gibt es doch immer noch die Tendenz, die man so beschreiben kann, es gibt Sünder in der Kirche, da werden Fehler gemacht, aber die Institution ist irgendwie heilig. Und das ist eine Schizophrenie, eine Aufspaltung, die dann zu einem solchen Medienverhalten führt.

Die Kehrseite der Medaille wäre zuzugeben, dass Fehler, die Einzelne machen, auch die Organisation als Ganze betrifft, und dass Transparenz, Zugeben von Fehlern allemal besser ist, als es so wie Mixa etwa zu machen, so lange zu vertuschen, bis es nicht mehr geht.

Heise: Gestern haben der Vorsitzende der Bischofskonferenz Robert Zollitsch und auch der Münchener Erzbischof Reinhard Marx ihrem Bruder Walter Mixa sozusagen den Amtsverzicht nahegelegt. Das schon alleine ist ja irgendwie ganz, also findet ja nicht viele Beispiele in der bundesdeutschen Kirchengeschichte. Wie beurteilen Sie dieses Verhalten der Herren?

Hilberath: Ich vermute, da weder Zollitsch noch Marx irgendwelche progressistischen Bischöfe sind, die die Einheit der Bischofskonferenz auch sprengen wollen - die ist ja immer ein hohes Gut -, dass man da möglichst einmütig ist. Wenn die also einen Amtsbruder unter Druck setzen, dann ist das doch - das ist der Umkehrschluss - ein Zeichen dafür, wie uneinsichtig Walter Mixa war.

Heise: Das heißt, wenn Sie jetzt mal so gerade auch Zollitsch, Bischof Zollitsch beobachten, wie er die letzten Wochen agiert, sehen Sie jetzt in dem, diesem Druck, den er da ausgeübt hat, sehen Sie da eine Entwicklung?

Hilberath: Ich hoffe es, dass sich das dahin entwickelt, dass für noch mehr Transparenz und Klarheit gesorgt wird und dass nicht Justizministerinnen oder Presseleute primär angeklagt oder kritisiert werden, sondern dass man tatsächlich konsequent im eigenen Bereich, im eigenen Laden wenn man so will, aufräumt und für Klarheit sorgt.

Heise: Wenn Sie jetzt von Ihrem Lehrstuhl aus Tübingen so nach, ja, vielleicht auch bis Rom gucken, wie beurteilen Sie momentan die katholische Kirche, wie groß ist die Krise tatsächlich?

Hilberath: Die Krise ist sehr groß, und zwar nicht nur deshalb, weil Menschen, die ohnehin schon mit einem oder anderthalb Beinen außerhalb der Kirche waren, nun einen zusätzlichen Grund haben, sich von ihr zu verabschieden.

Ich bekomme auch Post und erfahre es auch in Gesprächen mit Menschen, die noch in den Gemeinden sind: Es wenden sich eine ganze Reihe von Leuten ab. Und die Frage ist, finden die noch mal ein Biotop, wo sie ihren Glauben leben können. Also der Imageverlust der großen Organisation, das, was wir Amtskirche oder so was nennen, der ist ganz immens. Und ich denke, die Bischöfe müssen sehr, sehr achtgeben, dass es die Schere zwischen dem, wie die noch engagierten Katholiken an der Basis denken, leben, glauben, und dem, was offiziell ist, dass die nicht immer größer wird.

Heise: Was werden sie tun müssen? Also am Montag setzen sie sich zusammen, jetzt können sie sich, haben sie das eine Problem so ein wenig aus Reichweite geschaffen, jetzt können sie sich ja mit der Vertrauenskrise beschäftigen. Was müssen sie tun?

Hilberath: Vor allem müssen sie ehrlich sein, Fehler eingestehen, nicht nur im allgemeinen Sinn sagen, wir sind alle Sünder und das kann passieren, sondern es müssen dann auch die einzelnen Fälle und so weiter konkret benannt werden. Und dann muss Kirche in einem werbenden positiven Sinn herausstellen, wie sie vom Evangelium her, in dem es nämlich Fehler, Umkehr und Versöhnung gibt, mit diesen Dingen umgeht.

Das heißt, es geht nicht nur darum, sich um die Opfer zu kümmern, das ist das Primäre, muss unbedingt sein, sie muss sich auch dazu stellen, wie sie mit den Tätern umgehen wird und wie Vergebung, Versöhnung, Neuanfang geschehen kann. Das muss sie in ihrem eigenen Raum muss sie das glaubwürdig vorleben. Und da sollten die Bischöfe allen Wert drauf legen oder alle Anstrengungen hineingeben. Nur dann, wenn Kirche vorlebt, wie wir miteinander umgehen können - bei allem Versagen, bei aller Schuld -, dann hat sie überhaupt noch eine Chance, in der Gesellschaft ernst genommen zu werden.

Heise: Das sagt und wünscht sich Bernd Jochen Hilberath. Er ist Professor für katholische Dogmatik an der Universität Tübingen. Vielen Dank, Herr Hilberath!

Hilberath: Gerne, auf Wiederhören!
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