Ambient-Aufguss ohne Aura
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Brian Eno veröffentlicht zum ersten Mal ein Album mit seinem jünger Bruder Roger Eno, der sonst vor allem Filmmusik komponiert. „Mixing Colours“ heißt das Werk der beiden. Unseren Kritiker hat es nicht wirklich überzeugt.
"Minimalismus bedeutet für mich nicht, dass man Kunst machen möchte, die nicht viel beinhaltet. Sondern, dass man Kunst machen möchte, bei der vieles, was drin ist, von der Person kommt, die sie rezipiert."
Das sagt der Brite Brian Eno über die stark repetitive, minimalistische Struktur seines neuen Albums "Mixing Colours". Es ist das erste Album, das der Erfinder von Ambient mit seinem jüngeren Bruder Roger aufgenommen hat.
Auf "Mixing Colours" erklären die Brüder Eno Stille zum obersten Gebot. Die 18 Stücke sind eine Einladung, diese Stille mit Bedeutung zu füllen.
Songs wie Landschaften
"Es geht hier um Stimmungen, die einen bestimmten Charakter haben", sagt Brian Eno. "Die Stücke erzählen keine Geschichte. So sind sie nicht gedacht. Sie sind so etwas wie Landschaften oder Bühnenbilder."
Alle 18 Stücke der Platte sind nach Farben benannt oder beschreiben Dinge, die eine starke Farbassoziation hervorrufen: "Dark Sienna", "Desert Sand", "Deep Safron". Jedes der Stücke wird von einem Video begleitet, das den Blick aus einem Zugfenster in die britische Landschaft zeigt. Besonders innovativ ist dieser Blick nicht, doch er verstärkt, dass diese Musik im Hintergrund gehört werden soll, zum Zugfahren, sagt Roger Eno.
"Brian und ich sind glücklich und, wenn man so will, bescheiden genug, um auf der Rückbank Platz zu nehmen", Roger Eno. "Ich schreibe keine Musik, für die du dich hinsetzen und konzentrieren musst. Bei klassischer Musik ist das anders. Die gilt als besonders intellektuell. Man soll lange über sie nachdenken – und am besten kennt man auch die gesamte klassische Musikbibliothek. So schaue ich nun wirklich nicht auf die Dinge."
Klanggemälde beim Hören vollenden
Für Brian Eno, der mit Alben wie "Discreet Music" oder "Music For Airports" als Begründer von Ambient gilt, ist diese flächige Instrumentalmusik sogar politisch:
"Es ist unmöglich, unpolitische Musik zu machen. Diese Form von Minimalismus, die wir machen, ist politisch. Wir sagen den Leuten: Ihr braucht nicht so viel. Ihr seid schlau genug, um die Lücken selbst zu füllen. Das ist ein politisches Statement."
Brian und Roger Eno wollen, dass die Hörerinnen und Hörer das Klanggemälde, dessen Umrisse sie zeichnen, selbst zu Ende malen.
Was Brian und Roger Eno auf "Mixing Colours" machen. ist dabei immer noch Ambient. Was aber in den 1980ern fast schon reaktionär war – zur Hochzeit von Punk und New Wave – Musik ohne Inhalt für den Hintergrund zu produzieren, ist heute zur austauschbaren Massenware geworden.
Mit Streaming hat Ambient das ultimative Medium gefunden. Die schlimmsten Formen des Genres laufen in Hintergrund-Playlists rauf und runter. Brian und Roger Enos Album "Mixing Colours" wird dazwischen kaum auffallen. Es klingt wie ein Aufguss älterer und besserer Brian-Eno-Alben. Diese Alben umgab eine Aura des Aufbruchs, des Experiments. "Mixing Colours" klingt dagegen wie eine Fleißarbeit.