"Mo Yan ist ein ganz großer Autor"
Als "politisch" könne die Entscheidung für den Literaturnobelpreisträger nicht gewertet werden, weil er kein Dissident sei, sagt die Buchkritikerin Katharina Borchardt über die Ehrung für den Chinesen Mo Yan. Rein staatstreu sei er aber auch nicht.
Stephan Karkowsky: Wissen Sie eigentlich noch, wer es im letzten Jahr war? 2011 blieb der Literaturnobelpreis in Schweden, er ging an Tomas Tranströmer. Und in diesem Jahr war es der Ungar Péter Nádas, der als Favorit gehandelt wurde, neben dem Niederländer Cees Nooteboom und dem Japaner Haruki Murakami. Zumindest in den britischen Wettbüros. Aber wie soll man die Entscheidung einer Jury vorhersagen, die rein theoretisch die Auswahl hat zwischen allen guten Schriftstellern dieser Erde? Entschieden hat sich die Schwedische Akademie heute schließlich für Mo Yan aus China. Seit einer Stunde ist das raus und unsere Literaturkritikerin Katharina Borchardt auf der Frankfurter Buchmesse kann uns mehr erzählen über diesen Autor. Hallo, Frau Borchardt!
Katharina Borchardt: Hallo, Herr Karkowsky!
Karkowsky: Sind die Kritiker überrascht?
Borchardt: Ja. Also, einige Kritiker sind überrascht, es gibt geteilte Reaktionen. Manche sagen, Mensch, das ist doch ein Staatsautor, den sollte man doch nun wirklich nicht auszeichnen, und noch dazu, wo bei uns ja diesen Sonntag Liao Yiwu den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels kriegt. Und dieser Liao Yiwu ist ja in China inhaftiert und gefoltert worden. Andere sagen: Tolle Literatur und das allein zählt, die Politik muss man außen vor lassen. Und mal abgesehen von diesen Spezialisten, die wirklich geteilter Meinung sind, herrscht natürlich Ratlosigkeit, denn der Autor ist wenigen Lesern und auch Buchautoren hier bekannt.
Karkowsky: Wie finden Sie das denn, dass Mo Yan diesen Preis bekommt?
Borchardt: Also, ich freue mich sehr. Ich habe mich auf verschiedene Asiaten vorbereitet, Haruki Murakami war ja auch im Rennen und Ko Un aus Korea. Und ich muss sagen, ich finde Mo Yan ganz toll. Ich finde, das ist eine ganz gute Entscheidung, auch wenn das für uns in Deutschland jetzt zeitlich natürlich ungünstig liegt mit dem Friedenspreis. Mo Yan ist ein ganz großer Autor, er schreibt monumentale Gesellschaftspanoramen über China im 20. Jahrhundert, das sind große Burlesken, oft unter Bauern und einfachen Leuten angesiedelt, große Literatur, finde ich.
Karkowsky: Die Kritiker, Sie haben das erwähnt, sagen, er sei ein Staatsautor. Was heißt das?
Borchardt: Ja nun, Staatsautor heißt zum Beispiel, dass er Mitglied im chinesischen Schriftstellerverband ist, er bekommt da ein Salär, er ist über den Schriftstellerverband auch krankenversichert und so was. Er gehörte auch zur Delegation, die 2009 zur Frankfurter Buchmesse gekommen ist, damals war China ja das Gastland der Frankfurter Buchmesse. Und er ist auch bei den Autoren gewesen und bei den Delegierten gewesen, die auf diesem Literatursymposium, das vor der Messe stattgefunden hat, den Raum verlassen hat, als chinesische Dissidenten gesprochen haben. Es hat ja diesen wahnsinnigen Eklat damals verursacht. Aber trotzdem würde ich sagen, er ist kein Staatsschriftsteller, so einfach ist das nicht. Er lehnt sich in seinen Romanen politisch doch ganz schön weit aus dem Fenster, aber er überschreitet eine rote Linie nicht, und das ist wichtig: Er stellt nicht die Alleinherrschaft der kommunistischen Partei infrage.
Karkowsky: Es stimmt natürlich, dass man hierzulande Künstler aus China vor allem dann wahrnimmt, wenn sie Regimegegner sind. Wenn Mo Yan jetzt nicht dazu zählt, muss man diese Entscheidung trotzdem als eine politische werten?
Borchardt: Tja, das ist schwierig zu sagen. Also, ich glaube eher, es ist keine politische Entscheidung gewesen. Denn wenn das eine politische Entscheidung hätte sein sollen, dann hätte doch Schweden wahrscheinlich einen waschechten Dissidenten auswählen müssen. In Schweden leben ja auch ganz viele chinesische Flüchtlinge, Dissidenten, und den Schweden ist das also sehr, sehr klar, das Problem, die Problemlage. Hätte man hier ein wirklich politisches Statement geben wollen, dann hätte man jemand anders nehmen sollen.
Karkowsky: Ein paar Daten haben Sie uns schon genannt. Was können Sie uns noch erzählen über diesen Autor?
Borchardt: Ja, was möchten Sie denn wissen? Möchten Sie etwas über seine Biografie wissen, möchten Sie was über seine Bücher wissen? Also, wenn Sie was über die Bücher wissen wollen, das ist ja eigentlich das Wichtige und das, worum es geht: Er ist ein ganz großer Autor in China, hat wahnsinnig viel geschrieben, hat wahnsinnig dicke Bücher auch geschrieben, und interessanterweise liegt auch einiges davon auf Deutsch vor. Also, wir haben auf Deutsch fünf Bücher von ihm vorliegen, ich kann einfach mal zwei, drei nennen, um das so ein bisschen zu umreißen: Es gibt zum Beispiel "Das rote Kornfeld", das ist ja eigentlich eine ganz bekannte Geschichte, denn die ist auch verfilmt worden von Zhang Yimou, diese Geschichte spielt in einer Dorfgemeinschaft zuzeiten des chinesisch-japanischen Krieges, das war in den 40er-Jahren. Dann gibt es zum Beispiel "Die Sandelholzstrafe", die ist vor zwei Jahren bei Suhrkamp erschienen, da erzählt Mo Yan von dem Boxeraufstand 1899. In dieser Geschichte wird einer der Aufständischen von einem Foltermeister zu Tode gefoltert, also mit dieser Sandelholzstrafe, eine ganz brutale Sache. Dann gibt es den "Überdruss", das ist ein monumentales Epos übers 20. Jahrhundert. Die Geschichte beginnt kurz nach 1950 und erzählt dann 50 Jahre chinesische Geschichte anhand des Grundbesitzers Ximen Nao, der wird getötet und dann mehrfach als Tier wiedergeboren und erlebt als Tier dann, in Form verschiedener Tiere den großen Sprung nach vorne, die Kulturrevolution und so weiter.
Karkowsky: Sie hören live von der Frankfurter Buchmesse Katharina Borchardt über Mo Yan, dem heute der Literaturnobelpreis zuerkannt wurde. Frau Borchardt, Sie haben so ein paar Inhalte ja schon genannt, da fällt dann immer das Stichwort magischer Realismus. Welche Bedeutung hat das für diese Romane?
Borchardt: Ja, magischer Realismus, da denkt man natürlich zuerst mal an lateinamerikanische Literatur, und Mo Yan ist kein Lateinamerikaner. Aber trotzdem, es stimmt, seine Bücher sind wirklich magisch, könnte man sagen, sie sind voller überbordender Fantasie. Allein diese Wiedergeburten, von denen ich gerade erzählt habe, da steckt dann, da steckt ja dieser Geist des Ximen Nao jedes Mal in einem anderen Tier. Und das ist wahnsinnig komisch und das ist wahnsinnig fantastisch, denn, ja, das ist natürlich keine realistische Erzählweise, ist klar.
Karkowsky: Ist das denn für China was Ungewöhnliches, so zu erzählen?
Borchardt: Nein. Also, das würde ich nicht sagen. Also, Mo Yan ist insofern ein echt chinesischer Autor, weil er sehr burlesk erzählt auch. Also, da geht es richtig zur Sache, sehr derb, viele Bauern, viele Witze, viel Fäkalsprache und so weiter. Also, diese bäuerische Literatur, damit haben wir in Deutschland, wir Leser in Deutschland oft Probleme. Das hat man oft in chinesischen Romanen und das ist auch bei Mo Yan sehr ausgeprägt. Das kann man, das kommt ein bisschen auf die eigene Gemütslage oder den eigenen Charakter an, ob man das dann wirklich witzig findet oder ob man das eher so ein bisschen eklig findet.
Karkowsky: Es sind ja nicht immer die Preisträger sowohl Kritiker- als auch Publikumslieblinge. Wie ist denn das in diesem Fall, produziert Mo Yan in China Bestseller?
Borchardt: Ja. In China ist er ganz bekannt, ist ein Bestsellerautor, er wird ganz viel gelesen. In Deutschland so Jein, würde ich sagen. Er hat wirklich tolle Bücher geschrieben, aber das sind meistens ziemlich dicke Schinken und die lesen ... Also Schinken, dicke Schinken aus China lesen wir in Deutschland natürlich nicht so viel.
Karkowsky: Also eher wenig bedeutend bisher noch auf diesem Markt.
Borchardt: Ja, bei uns. Aber in China ist das ganz anders, da ist er wirklich einer der ganz großen Namen.
Karkowsky: Die Schwedische Akademie hat ihre Entscheidung verkündet um Punkt 13 Uhr, da öffneten sich dann die Türen mit den goldenen Türgriffen und dann wurde sein Name genannt. Und ein paar Leute im Saal jubelten natürlich. Würden Sie denn sagen, dass diese Auswahlkriterien, die die Schwedische Akademie anwendet, sind die bekannt? Weiß man, warum die ihre Entscheidung so getroffen haben, oder wird darüber immer Stillschweigen bewahrt?
Borchardt: Na, es gibt da natürlich immer eine Begründung. Aber im Grunde sind diese Nobelpreis-Kriterien, was die Literatur angeht - was ja eine Kunstform ist, also, im Vergleich zu Chemie und Medizin, wo man sozusagen Forschungsergebnisse eher auch messen und quantifizieren kann -, in der Literatur ist das natürlich alles ein bisschen schwieriger und da sind die Kriterien im Grunde nie so ganz klar. Man muss ja auch wissen, das ist ein relativ hermetischer Kreis älterer Schweden, die da sich zusammensetzen und zusammenglucken und da diesen Preis aushecken. Man weiß nie ganz genau, was dabei herauskommt, obwohl es ja diese Rankings vorher gibt. Man weiß ja auch nicht genau, was die lesen, und man weiß auch nicht, was die überhaupt lesen können! Denn um also zum Beispiel so einen Mo Yan auswählen zu können, muss er ja übersetzt sein. Also mindestens ins Englische oder am besten natürlich dann ins Schwedische. Und wenn jemand nicht übersetzt ist, kommt er zum Beispiel nicht in die Auswahl. Oder wenn jemand schlecht übersetzt ist, aber ein guter Autor ist, dann kommt er auch nicht in die Auswahl.
Karkowsky: Dann liegt die Bedeutung des Literaturnobelpreises vor allen Dingen in seiner hohen Dotierung?
Borchardt: Klar, da freut sich natürlich jeder Autor drüber!
Karkowsky: Bei welchem Verlag ist es denn so richtig laut geworden um 13 Uhr, weil da die Sektkorken knallen durften?
Borchardt: Also, die Bücher von Mo Yan sind in drei verschiedenen deutschen Verlagen erschienen. Das sind Suhrkamp - kennt jeder - und bei Horlemann und im Unionsverlag, ein Schweizer Verlag, Entschuldigung, Union kommt aus der Schweiz. Und bei den dreien ist natürlich jetzt Party am Stand, das ist klar. Bei Suhrkamp kennt man das ja schon, die haben ja schon ein paar Nobelpreisgewinner im Gepäck, also, für die ist das ja jetzt keine große Sache vielleicht, aber für so einen kleinen Verlag wie Horlemann oder so einen kleinen Verlag wie Union ist das natürlich ein Lottogewinn, ja! Also, Horlemann kann jetzt endlich mal die dicken Exemplare von "Der Überdruss" abverkaufen, die 2009 liegen geblieben sind!
Karkowsky: Katharina Borchardt über Mo Yan, dem heute in Stockholm der Literaturnobelpreis zuerkannt wurde. Frau Borchardt, herzlichen Dank!
Borchardt: Ja, gern geschehen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Katharina Borchardt: Hallo, Herr Karkowsky!
Karkowsky: Sind die Kritiker überrascht?
Borchardt: Ja. Also, einige Kritiker sind überrascht, es gibt geteilte Reaktionen. Manche sagen, Mensch, das ist doch ein Staatsautor, den sollte man doch nun wirklich nicht auszeichnen, und noch dazu, wo bei uns ja diesen Sonntag Liao Yiwu den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels kriegt. Und dieser Liao Yiwu ist ja in China inhaftiert und gefoltert worden. Andere sagen: Tolle Literatur und das allein zählt, die Politik muss man außen vor lassen. Und mal abgesehen von diesen Spezialisten, die wirklich geteilter Meinung sind, herrscht natürlich Ratlosigkeit, denn der Autor ist wenigen Lesern und auch Buchautoren hier bekannt.
Karkowsky: Wie finden Sie das denn, dass Mo Yan diesen Preis bekommt?
Borchardt: Also, ich freue mich sehr. Ich habe mich auf verschiedene Asiaten vorbereitet, Haruki Murakami war ja auch im Rennen und Ko Un aus Korea. Und ich muss sagen, ich finde Mo Yan ganz toll. Ich finde, das ist eine ganz gute Entscheidung, auch wenn das für uns in Deutschland jetzt zeitlich natürlich ungünstig liegt mit dem Friedenspreis. Mo Yan ist ein ganz großer Autor, er schreibt monumentale Gesellschaftspanoramen über China im 20. Jahrhundert, das sind große Burlesken, oft unter Bauern und einfachen Leuten angesiedelt, große Literatur, finde ich.
Karkowsky: Die Kritiker, Sie haben das erwähnt, sagen, er sei ein Staatsautor. Was heißt das?
Borchardt: Ja nun, Staatsautor heißt zum Beispiel, dass er Mitglied im chinesischen Schriftstellerverband ist, er bekommt da ein Salär, er ist über den Schriftstellerverband auch krankenversichert und so was. Er gehörte auch zur Delegation, die 2009 zur Frankfurter Buchmesse gekommen ist, damals war China ja das Gastland der Frankfurter Buchmesse. Und er ist auch bei den Autoren gewesen und bei den Delegierten gewesen, die auf diesem Literatursymposium, das vor der Messe stattgefunden hat, den Raum verlassen hat, als chinesische Dissidenten gesprochen haben. Es hat ja diesen wahnsinnigen Eklat damals verursacht. Aber trotzdem würde ich sagen, er ist kein Staatsschriftsteller, so einfach ist das nicht. Er lehnt sich in seinen Romanen politisch doch ganz schön weit aus dem Fenster, aber er überschreitet eine rote Linie nicht, und das ist wichtig: Er stellt nicht die Alleinherrschaft der kommunistischen Partei infrage.
Karkowsky: Es stimmt natürlich, dass man hierzulande Künstler aus China vor allem dann wahrnimmt, wenn sie Regimegegner sind. Wenn Mo Yan jetzt nicht dazu zählt, muss man diese Entscheidung trotzdem als eine politische werten?
Borchardt: Tja, das ist schwierig zu sagen. Also, ich glaube eher, es ist keine politische Entscheidung gewesen. Denn wenn das eine politische Entscheidung hätte sein sollen, dann hätte doch Schweden wahrscheinlich einen waschechten Dissidenten auswählen müssen. In Schweden leben ja auch ganz viele chinesische Flüchtlinge, Dissidenten, und den Schweden ist das also sehr, sehr klar, das Problem, die Problemlage. Hätte man hier ein wirklich politisches Statement geben wollen, dann hätte man jemand anders nehmen sollen.
Karkowsky: Ein paar Daten haben Sie uns schon genannt. Was können Sie uns noch erzählen über diesen Autor?
Borchardt: Ja, was möchten Sie denn wissen? Möchten Sie etwas über seine Biografie wissen, möchten Sie was über seine Bücher wissen? Also, wenn Sie was über die Bücher wissen wollen, das ist ja eigentlich das Wichtige und das, worum es geht: Er ist ein ganz großer Autor in China, hat wahnsinnig viel geschrieben, hat wahnsinnig dicke Bücher auch geschrieben, und interessanterweise liegt auch einiges davon auf Deutsch vor. Also, wir haben auf Deutsch fünf Bücher von ihm vorliegen, ich kann einfach mal zwei, drei nennen, um das so ein bisschen zu umreißen: Es gibt zum Beispiel "Das rote Kornfeld", das ist ja eigentlich eine ganz bekannte Geschichte, denn die ist auch verfilmt worden von Zhang Yimou, diese Geschichte spielt in einer Dorfgemeinschaft zuzeiten des chinesisch-japanischen Krieges, das war in den 40er-Jahren. Dann gibt es zum Beispiel "Die Sandelholzstrafe", die ist vor zwei Jahren bei Suhrkamp erschienen, da erzählt Mo Yan von dem Boxeraufstand 1899. In dieser Geschichte wird einer der Aufständischen von einem Foltermeister zu Tode gefoltert, also mit dieser Sandelholzstrafe, eine ganz brutale Sache. Dann gibt es den "Überdruss", das ist ein monumentales Epos übers 20. Jahrhundert. Die Geschichte beginnt kurz nach 1950 und erzählt dann 50 Jahre chinesische Geschichte anhand des Grundbesitzers Ximen Nao, der wird getötet und dann mehrfach als Tier wiedergeboren und erlebt als Tier dann, in Form verschiedener Tiere den großen Sprung nach vorne, die Kulturrevolution und so weiter.
Karkowsky: Sie hören live von der Frankfurter Buchmesse Katharina Borchardt über Mo Yan, dem heute der Literaturnobelpreis zuerkannt wurde. Frau Borchardt, Sie haben so ein paar Inhalte ja schon genannt, da fällt dann immer das Stichwort magischer Realismus. Welche Bedeutung hat das für diese Romane?
Borchardt: Ja, magischer Realismus, da denkt man natürlich zuerst mal an lateinamerikanische Literatur, und Mo Yan ist kein Lateinamerikaner. Aber trotzdem, es stimmt, seine Bücher sind wirklich magisch, könnte man sagen, sie sind voller überbordender Fantasie. Allein diese Wiedergeburten, von denen ich gerade erzählt habe, da steckt dann, da steckt ja dieser Geist des Ximen Nao jedes Mal in einem anderen Tier. Und das ist wahnsinnig komisch und das ist wahnsinnig fantastisch, denn, ja, das ist natürlich keine realistische Erzählweise, ist klar.
Karkowsky: Ist das denn für China was Ungewöhnliches, so zu erzählen?
Borchardt: Nein. Also, das würde ich nicht sagen. Also, Mo Yan ist insofern ein echt chinesischer Autor, weil er sehr burlesk erzählt auch. Also, da geht es richtig zur Sache, sehr derb, viele Bauern, viele Witze, viel Fäkalsprache und so weiter. Also, diese bäuerische Literatur, damit haben wir in Deutschland, wir Leser in Deutschland oft Probleme. Das hat man oft in chinesischen Romanen und das ist auch bei Mo Yan sehr ausgeprägt. Das kann man, das kommt ein bisschen auf die eigene Gemütslage oder den eigenen Charakter an, ob man das dann wirklich witzig findet oder ob man das eher so ein bisschen eklig findet.
Karkowsky: Es sind ja nicht immer die Preisträger sowohl Kritiker- als auch Publikumslieblinge. Wie ist denn das in diesem Fall, produziert Mo Yan in China Bestseller?
Borchardt: Ja. In China ist er ganz bekannt, ist ein Bestsellerautor, er wird ganz viel gelesen. In Deutschland so Jein, würde ich sagen. Er hat wirklich tolle Bücher geschrieben, aber das sind meistens ziemlich dicke Schinken und die lesen ... Also Schinken, dicke Schinken aus China lesen wir in Deutschland natürlich nicht so viel.
Karkowsky: Also eher wenig bedeutend bisher noch auf diesem Markt.
Borchardt: Ja, bei uns. Aber in China ist das ganz anders, da ist er wirklich einer der ganz großen Namen.
Karkowsky: Die Schwedische Akademie hat ihre Entscheidung verkündet um Punkt 13 Uhr, da öffneten sich dann die Türen mit den goldenen Türgriffen und dann wurde sein Name genannt. Und ein paar Leute im Saal jubelten natürlich. Würden Sie denn sagen, dass diese Auswahlkriterien, die die Schwedische Akademie anwendet, sind die bekannt? Weiß man, warum die ihre Entscheidung so getroffen haben, oder wird darüber immer Stillschweigen bewahrt?
Borchardt: Na, es gibt da natürlich immer eine Begründung. Aber im Grunde sind diese Nobelpreis-Kriterien, was die Literatur angeht - was ja eine Kunstform ist, also, im Vergleich zu Chemie und Medizin, wo man sozusagen Forschungsergebnisse eher auch messen und quantifizieren kann -, in der Literatur ist das natürlich alles ein bisschen schwieriger und da sind die Kriterien im Grunde nie so ganz klar. Man muss ja auch wissen, das ist ein relativ hermetischer Kreis älterer Schweden, die da sich zusammensetzen und zusammenglucken und da diesen Preis aushecken. Man weiß nie ganz genau, was dabei herauskommt, obwohl es ja diese Rankings vorher gibt. Man weiß ja auch nicht genau, was die lesen, und man weiß auch nicht, was die überhaupt lesen können! Denn um also zum Beispiel so einen Mo Yan auswählen zu können, muss er ja übersetzt sein. Also mindestens ins Englische oder am besten natürlich dann ins Schwedische. Und wenn jemand nicht übersetzt ist, kommt er zum Beispiel nicht in die Auswahl. Oder wenn jemand schlecht übersetzt ist, aber ein guter Autor ist, dann kommt er auch nicht in die Auswahl.
Karkowsky: Dann liegt die Bedeutung des Literaturnobelpreises vor allen Dingen in seiner hohen Dotierung?
Borchardt: Klar, da freut sich natürlich jeder Autor drüber!
Karkowsky: Bei welchem Verlag ist es denn so richtig laut geworden um 13 Uhr, weil da die Sektkorken knallen durften?
Borchardt: Also, die Bücher von Mo Yan sind in drei verschiedenen deutschen Verlagen erschienen. Das sind Suhrkamp - kennt jeder - und bei Horlemann und im Unionsverlag, ein Schweizer Verlag, Entschuldigung, Union kommt aus der Schweiz. Und bei den dreien ist natürlich jetzt Party am Stand, das ist klar. Bei Suhrkamp kennt man das ja schon, die haben ja schon ein paar Nobelpreisgewinner im Gepäck, also, für die ist das ja jetzt keine große Sache vielleicht, aber für so einen kleinen Verlag wie Horlemann oder so einen kleinen Verlag wie Union ist das natürlich ein Lottogewinn, ja! Also, Horlemann kann jetzt endlich mal die dicken Exemplare von "Der Überdruss" abverkaufen, die 2009 liegen geblieben sind!
Karkowsky: Katharina Borchardt über Mo Yan, dem heute in Stockholm der Literaturnobelpreis zuerkannt wurde. Frau Borchardt, herzlichen Dank!
Borchardt: Ja, gern geschehen!
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