Mobbing - Feigheit vor dem Feind

Von Reinhard Mohr |
"Dein Arbeitsplatz - Kampfplatz für den Frieden!" Mit dieser Parole machte einst das Politbüro der SED müde DDR-Proletarier munter, die im Ringen um die sozialistische Weltgemeinschaft hier und da etwas nachzulassen drohten. Materialmangel im Kombinat, Ärger in der Brigade, kein Bier im Getränkestützpunkt. Da war manch einer nicht mehr richtig kampfbereit.
Heute, in der Ära von Neoliberalismus und Globalisierung, ist das Büro zum Kampfplatz geworden. Allerdings nicht unbedingt für den Weltfrieden – eher schon für das Gegenteil.

"Und morgen bringe ich ihn um!" – so lautet der aparte Titel eines Buches, in dem eine ehemalige Chefsekretärin ihren ziemlich unfriedlichen Büroalltag schildert. Auch in vielen anderen Büchern dieser Saison geht es um den Krieg am Arbeitsplatz, neudeutsch: Mobbing.

"Mein Chef ist ein Arschloch, Ihrer auch?" heißt es da etwa in höflicher Frageform. Ein anderer Band, eine Art Mobbing-Ratgeber für den fortgeschrittenen Büro-Partisanen, verspricht ganz praktisch "Rache am Chef". Dazu gehören Arbeit nach Vorschrift, Diebstahl und Sabotage einschließlich der Verbreitung von Viren oder Spam-Mails.

Ein grundlegendes Werk zum Thema kommt aus Amerika, eine radikale Abrechnung mit Egomanen und anderen Wahnsinnigen im Vorstand großer Unternehmen. Der Titel hält sich nicht lange mit soziologischen Feinheiten auf. Er kommt schneller auf den Punkt und heißt ganz einfach: "Der Arschloch-Faktor". So schnörkellos können nur Amerikaner formulieren.

Das ließ den Schweizer Psychologen Gerhard Dammann nicht ruhen, und so ergänzt er nun den komplexen Sachverhalt mit einer Tiefenanalyse deutscher Manager: "Narzissten, Egomanen, Psychopathen in der Führungsetage". Zwei andere Psychologen hatten in ihrem Werk zuvor schon die gesellschaftskritische Gretchenfrage gestellt: "Menschenschinder oder Manager". Was heißt hier "oder"? würde manch einer fragen, dessen Gesundheit im jahrelangen Dienst unter einem Bürotyrannen ruiniert wurde.

Weil der tyrannische Chef aber offenbar immer noch nicht tot ist, legt die anonyme Chefsekretärin mit Teil II ihrer Betroffenenprosa nach. Die klingt, trotz allen Schreckens, schon viel poetischer: "Höhenflüge und Höllenfahrten. Was eine Chefsekretärin im Fahrstuhl erlebt". Was da erst außerhalb des Fahrstuhls passiert, möchte man sich gar nicht ausmalen.

Der aktuell prominenteste Fall von Mobbing spielt sich seit Wochen in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands ab: Kurt Beck gegen Franz Müntefering, der neue SPD-Chef gegen den alten, der Möchtegern-Kanzlerkandidat gegen den amtierenden Vizekanzler. Wunderbar klassisch das Prozedere. Angeblich geht es nur um eine klitzekleine "Sachfrage", wie es ja im Leben immer nur um reine Sachfragen geht. Das Arbeitslosengeld soll länger ausgezahlt werden, ein bisschen mehr hier, ein bisschen mehr da. Hartz IV reloaded eben. Angst vor Oskar, Panik vor dem Untergang. Beck ist dafür, Münte dagegen. In Wirklichkeit geht es natürlich um die Machtfrage. Wer hat das Sagen in der SPD, wer kann wen wie schnell fertigmachen, wer zeigt allen, wo der Hammer hängt, wer führt die Gurkentruppe?

Ganz deutlich wird hier, dass Mobbing nichts anderes ist als die Modernisierung einer uralten Frage: Wer wen? Der entscheidende Unterschied: Früher zog ein ganzes Heer mit offenem Visier vor die Burg des Feindes, belagerte sie, drohte mit Brandschatzung und begann zum günstigsten Zeitpunkt mit Stürmung und Plünderung. Eine klare Angelegenheit. Heute sagt man einfach dem SPIEGEL: "Wir brauchen ein Stück mehr Wärme", und schon bricht soziale Eiseskälte beim Gegner aus, Trauer, Wut und Betroffenheit. Das ist der Weg der Moderne – vom Schlachtfeld zum Interview, von der Burg ins Büro.
Die Attacke wirkt, auch wenn sie um drei Ecken kommt, geschickt eingefädelt und gut getarnt ist. Denn wer wollte schon gegen mehr Wärme argumentieren, gegen die Wohlfühltemperatur des Volkes? Wer wäre gegen mehr von allem: Geld, Freizeit, Urlaub, Sonne, selbstverständlich bei vollem Lokführerausgleich?

Sagen wir es frei heraus: Mobbing ist Feigheit vor dem Feind. Man greift nicht den Mann – oder die Frau – an, sondern die Ehre. Man kämpft nicht, sondern denunziert und desavouiert.

"Homo homini enemy", so variierte einst Matthias Beltz Thomas Hobbes. Der Mensch ist des Menschen Feind. Dein Arbeitsplatz – Kampfplatz gegen den Kollegen. Doch statt dem Gegner im Büro, ob als Kollege oder Vorgesetzter, ins Gesicht zu sagen, was man von ihm hält, und sei es mit dem Flammenschwert in der Hand, sagt man: "Ich glaube, wir brauchen ein Stück mehr Wärme." Dann doch lieber: "Und morgen bringe ich ihn um."

Reinhard Mohr, geboren 1955, schreibt für Spiegel Online. Zuvor war Mohr langjähriger Kulturredakteur des "SPIEGEL". Weiter journalistische Stationen waren der "Stern", "Pflasterstrand", die "tageszeitung" und die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Letzte Buchveröffentlichungen: "Das Deutschlandgefühl" und "Generation Z". Mohr lebt in Berlin-Mitte.