Mobilität

Eine Zukunft, in der Reiche Tram fahren

Die M10 fährt durch Berlin-Friedrichshain.
Straßenbahn in Berlin: Die M10 fährt unter anderem durch Friedrichshain. © picture alliance / dpa
Von Matthias Gronemeyer · 03.06.2016
Die Markteinführung von Elektroautos sollte nicht subventioniert werden, meint der Philosoph Matthias Gronemeyer. Denn diese neue Technologie setze nur auf die alte mobile Exklusivität, anstatt auf öffentliche Verkehrsmittel zu setzen, die auch reiche Leute nutzen.
Es gab vor einigen Jahren einmal einen Werbespot von Mercedes-Benz, in dem ein Mann sich durch das laute Gewühl einer arabischen Stadt schlängelte, dann in eine Limousine der Marke stieg und die Tür hinter sich zuschlug, worauf völlige Ruhe einkehrte. "Willkommen zuhause", lautete der dazugehörige Slogan.
Der Spot erntete schnell den Vorwurf der rassistischen Attitüde, er grenzte aus, schuf ein "Ich" und "die Anderen". Die Werbung hat man vom Markt genommen, die Autos nicht. Im Gegenteil: Sie haben in ihrer Exklusivität, das heißt in ihrer Fähigkeit auszugrenzen, weiter zugenommen: sind größer, wuchtiger, panzerartiger geworden. Die Kundschaft, heißt es, will es so.
Wenn man nun die automobile Gesellschaft in einen politischen Kontext stellt, könnte man zu der These gelangen, dass sich die gegenwärtige Wagenburgmentalität in Europa schon länger im Wagen als Burg angekündigt hatte. Das Automobil-Design fungiert hier als Trend-Scout gesellschaftlicher Entwicklung.

Aus Freiheit des Autos wurde Big Brother der Sicherheit

Die Freiheitsverheißung, die sich ehedem mit der individuellen Mobilität verband, hat sich längst in ein Sicherheitsversprechen gewandelt. Das Auto ist zu einem Big Brother hochgerüstet, das sowohl seine Insassen wie seine Umwelt mit Kameras und Sensoren überwacht und im Angriffsfall den Airbag zwischen seine Schützlinge und das böse Draußen wuchtet.
Wir haben es hier mit einem modernen Mythos zu tun, dem Mythos vom Wagen als Trutzburg, der sich zudem mit einem bestimmten Antriebskonzept verbunden hat, nämlich dem Verbrennungsmotor. Die Bemühungen, Elektro-Autos an den Mann zu bringen, scheitern vorrangig an dieser Konnotation von Ausschluss und Antrieb.
Der Elektromotor ist nämlich im Gegenzug traditionell mit den öffentlichen Verkehrsmitteln verknüpft: mit Tram, S-Bahn, Zug. Also mit inklusivem Design, einer offenen Gestaltung für alle, wie es schon der Omnibus seit jeher im Namen führt. Das Publikum scheint dies instinktiv zu spüren und empfindet das Elektroauto als eine Art Kuckucksei, das man ihm ins Nest legt.

Elektroautos folgen Konzept exklusiver Mobilität

Wenn die amerikanische Firma Tesla und hierzulande BMW nun Elektroantrieb mit Exklusivität verbinden, dann folgen sie damit genau diesem Empfinden der Kundschaft. Sie eröffnen der Mobilität damit aber keinerlei Perspektive. Auch das Elektroauto steht im Stau, verschwendet öffentlichen Raum und verbraucht genauso viel Energie wie herkömmliche Wagen.
Auch das Elektroauto bleibt dem Gestaltungskonzept der Exklusivität verhaftet und steht damit im Widerspruch zur globalen Entwicklung, die zunehmend Mega-Städte von der Größe deutscher Bundesländer hervorbringt. Wo es also nicht als bloßes Übergangsphänomen auf dem Weg zu inklusiver Mobilität begriffen wird, führt das Elektroauto in eine Sackgasse.

Öffentliche Verkehrsmittel müssen attraktiver werden

Den integrationsunwilligen Automobilisten nun mit Steuergeldern ihr letztes exklusives Refugium zu subventionieren, ist daher im wahrsten Sinne des Wortes unsozial und damit auch unökologisch. Gerade, weil die soziale, die inklusive Mobilität ja längst erfunden ist. Sie gilt es also zu fördern, attraktiver zu machen, effizienter.
An Bussen und Bahnen kann der Staat zudem seine ureigenste Schutzaufgabe wahrnehmen und damit zu einer Abrüstung auf den Straßen beitragen. Enrique Peñalosa, ehemaliger Bürgermeister von Bogotá, der Hauptstadt Kolumbiens, brachte es wie folgt auf den Punkt:
"Eine hochentwickelte Stadt ist keine, in der die Armen Auto fahren, sondern eine, in der die Reichen öffentliche Verkehrsmittel benutzen."

Matthias Gronemeyer, Jahrgang 1968, ist Hochschuldozent für Philosophie, Autor und Publizist. Zuletzt erschien von ihm "Trampelpfade des Denkens - Eine Philosophie der Desorientierung", wo er den Zusammenhängen von Digitalisierung und Demenz nachspürt; gegenwärtig arbeitet er an einer "Philosophie vom Sex".

© Iris Merkle
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