Kleine Typologie der Radfahrer
Mittelalte Herren in Profi-Ausrüstung fahren samstags ihre teuren Rennräder spazieren. Hipster mit Bart düsen ohne Licht und Bremsen auf ihren Single-Speed-Bikes durch die Straßenschluchten - in Berlin lassen sich noch weitere Radler-Typen beobachten.
Erst einmal vorweg: Radfahrer sind keineswegs die besseren Menschen. Auch nicht die Kastenrad-Mutti, die mit ihrer Kinder-Kiste den ganzen Radweg versperrt. Sie findet das voll in Ordnung, schließlich ist sie im Auftrag der Arterhaltung unterwegs. Und sie ist nicht allein, sagt Lutz Tesch, Verkehrspsychologe:
"Der Radfahrer fährt mit der Würde eines ökologisch verkehrenden Menschen. Er verbindet damit den Anspruch, in besonderem Maße die gute Seite unseres Verkehrs zu repräsentieren."
Das hält ihn allerdings nicht davon ab, rücksichtslos und egoistisch zu fahren. Prototyp ist der Sportliche in Funktionskleidung, mit Helm und wasserdichter Radtasche. Auf seinem 21-Gang-Rad rast er millimeterknapp an den vor der Ampel wartenden Fußgängern vorbei. Sein Credo:
"Wer bremst verliert und lieber tot als Schwung verloren. Jedes Mal bremsen ist anstrengend. Und dann fährst du lieber weiter, wenn irgendwo ne Lücke ist."
Edel-Biker ist aus dem Radkurier-Alter raus
Bremsen ist auch nicht die Sache von Fahrradkurieren. Sie haben meist gar keine. Ihre Fixie-Räder mit nur einem Gang bringen sie durch die Gegenbewegung der Pedale zum Stoppen. Das riecht nach Risiko, Freiheit, Großstadt-Cowboy.
Max: "Oft sind das Leute, die nicht so den klassischen Weg einschreiten im Sinne von Studium, Karriere, dann Auto, Familie, sondern die ihren ganzen Lebensinhalt aufs Fahrrad auslegen."
Der Typ einsamer Wolf, sagt Max, Ex-Fahrradkurier, jetzt Besitzer eines Radladens mit angeschlossenem Café in Berlin-Mitte. Unangepasst seien sie, die Fixie-Flitzer. Vegetarier, Veganer, Weltverbesserer. Vor ein paar Jahren noch fast eine Protestkultur, sind sie heute urbaner Mainstream. Und so kann sich auch der hippe Bankangestellte mit Bart und Umhängetasche auf seinem Fixie fühlen wie ein Fahrradkurier in New York.
Aus dem Radkurier-Alter raus ist der Edel-Biker. Er kauft seinen gebürsteten Stahlrahmen in exklusiven Manufakturen, die Räder tragen Namen wie Ludwig, Siegfried oder Viktor.
Röhm: "Sehr viele aus der kreativen Branche, Designer, Filmbranche, Schauspieler mitunter, aber auch Anwälte, Ärzte, also, eher schon die etwas gehobene Klientel."
Ingo Röhm ist Inhaber eines edlen Berliner Fahrradladens. Seine Kunden sind die neuen Bürgerlichen ab 40. Ihnen geht es um das Rad als Statussymbol.
"Genauso, wie man im Café sein iPhone auf den Tisch legt, damit jeder sieht, dass man ein iPhone hat oder ein MacBook, ist es bei denen so, dass man die bewusst so hinstellt, dass man auch sieht, was man für ein Rädchen fährt."
Kastenrad-Mutti, Elektro-Bike-Opi oder Fixie-Flitzer
Jenseits aller Hipness, allerdings voll im Trend ist dieser Herr:
Rentner: "Ja, also, mein Name ist Pielmann, und ich fahre ein Elektro-Bike."
Trotz beigefarbenem Blouson und braunem Hut: Der 80 Jahre alte Rentner ist derzeit der eigentliche Trendsetter. Noch immer sind Elektro-Fahrräder die Mega-Mode auf dem Fahrradmarkt.
"Man setzt sich drauf wie aufm Fahrrad, und wenn man anfängt zu treten, merkt man sofort, wie es anfängt zu schieben. Das ist ein Gefühl, wie wenn man Wind im Rücken hat."
Bis zu 45 km/h bringt ein E-Bike. Damit überholt der Silver-Surfer sogar locker den Fixie-Hipster.
Bleibt nur noch ein Typ, der aus der Reihe der rasenden Radler heraussticht: der Genießer. Er fährt Hollandrad und lässt sich nicht hetzen, egal wie viele Drängler auf dem Radweg hinter ihm sind. Ulrich Gries ist so einer.
Ulrich Gries: "Es gibt ein bisschen Entschleunigung, es geht definitiv nicht um Sport, sondern um Mobilität, auch darum, gut auszusehen."
Egal ob Genießer, Kastenrad-Mutti, Elektro-Bike-Opi oder Fixie-Flitzer – eines verbindet sie alle: Im Straßenverkehr stören sie bestimmt irgendeinen von den anderen Typen.