Neues Storytelling auf dem Laufsteg
Eine größere Vielfalt bei der Auswahl der Models ist heute auf den Laufstegen zu sehen. Die Journalistin Sonja Eismann bemerkt in der Modewelt auch eine größere Sensibilität dafür, nicht nur "koloniale Farbtupfer" zu setzen, sondern mehr Diversität zuzulassen.
"Erstaunlicherweise war es tatsächlich noch eine Schlagzeile, dass für die Louis-Vuitton-Show im Herbst zum ersten Mal ein schwarzes Model vorneweg gelaufen ist", wundert sich Sonja Eismann, Redakteurin und Mitherausgeberin des pop-feministischen "Missy Magazine" im Deutschlandfunk Kultur über die Modebranche.
Seit 163 Jahren gebe es die Modefirma Louis Vuitton, aber es sei das erste Mal gewesen, dass eine schwarze Person vorne weg gelaufen sei. "Das ist eben ganz wichtig, und es ist erstaunlich, dass so was heute noch Neuigkeitswert hat, und das zeigt uns, dass es eben noch nicht normal ist." Dennoch beobachtet die Journalistin, dass auf den Laufstegen heute eine größere Vielfalt an Models zu sehen ist und sich auch in der Modewelt etwas sichtbar verändert habe.
Das Interview im Wortlaut:
Marietta Schwarz: Vielfalt ist ein großes Thema in der Mode, Diversität das Gebot der Stunde. Man sieht auf den Laufstegen vieles, was die Branche früher nicht sehen wollte: Zahnlücken, abstehende Ohren, Narben, Pigmentstörungen, große, kleine und alte Menschen, solche mit Behinderung und selbstverständlich alle Hautfarben, alle Körpergrößen. Sonja Eismann ist im Studio, Redakteurin und Mitherausgeberin des pop-feministischen "Missy Magazine". Hallo!
Sonja Eismann: Hallo!
Schwarz: Was genau ist denn eigentlich neu an diesem Hype um Diversität, Frau Eismann, sehen Sie darin auch so einen politischen, gesellschaftlichen Appell?
Eismann: Den sehe ich natürlich schon, weil gerade so die politische Großwetterlage gezeigt hat, dass vermeintliche gesellschaftliche Errungenschaften eben gar nicht so sicher sind. Black Lives Matter ist eine Bewegung, die nach wie vor sehr wichtig ist, und das spiegelt sich auch im Großen und Ganzen wider, auch natürlich im Kulturbereich, aber auch in so Bereichen wie der Mode. Und da ist es schon so, dass Leute, die eben Identitäten haben, verkörpern, die sonst nicht so im Rampenlicht stehen, auch darauf pochen, dass sie jetzt auch mal dargestellt werden wollen und sich auch widergespiegelt sehen wollen.
Schwarz: Also wenn man es bewerten will, ein Fortschritt?
Eismann: Das ist auf jeden Fall ein Fortschritt. Also es gibt sehr viel mehr verschiedene Bilder, als es früher gab, es gibt eine große Vielfalt, die Frage ist nur, was bedeutet das.
Erstaunlicher Neuigkeitswert
Schwarz: Genau, auf die kommen wir gleich. Ich würde gern noch mal kurz einen Schritt zurückgehen. Yves Saint Laurent, der hat ja schon in den 60er-Jahren ein dunkelhäutiges Model auf den Laufsteg geholt und damit eine politische Debatte ausgelöst. Das schafft man ja heute eigentlich nicht mehr, politische Debatten auszulösen.
Eismann: Das würde man denken, aber erstaunlicherweise war es tatsächlich noch eine Schlagzeile, dass für die Louis-Vuitton-Show im Herbst zum ersten Mal ein schwarzes Model vorneweg gelaufen ist, Janaye Furman hat sozusagen Geschichte geschrieben. Seit 163 Jahren gibt es Louis Vuitton, das war zum ersten Mal, dass vorneweg eben eine schwarze Person gelaufen ist. Das ist eben ganz wichtig, und es ist erstaunlich, dass so was heute noch Neuigkeitswert hat, und das zeigt uns, dass es eben noch nicht normal ist.
Und es gab auch schon, bevor Yves Saint Laurent ein schwarzes Model als seine Muse auserkoren hat, natürlich auch schwarze Models. Nur war die Fashionwelt damals noch so segregiert, dass sie eben in rein schwarzen Publikationen nur vorkam und sozusagen im Mainstream nicht gebucht wurden, weil sie dem Schönheitsideal nicht entsprochen haben.
Schwarz: Das heißt, man muss eigentlich auch immer so ein bisschen gucken, wie die Strukturen hinter dem Betrieb aussehen. Wenn jetzt ein Label sich damit rühmt, Exotik zu versprühen durch dunkelhäutige Models – die "Vogue" hat das so als inspirierend bezeichnet. Mir mutet das irgendwie komisch an, weil da ja auch gleich so ein bisschen Koloniales aufkommt, also die weißen Männer im Betrieb holen sich die schwarzen Models auf den Laufsteg.
Eismann: Das spielt natürlich immer mit. Es gibt zwar jetzt mehr "People of Color", wie man ja auch sagt, die in den Modezeitschriften zu sehen sind in den großen Anzeigekampagnen, aber man muss natürlich auch schauen, wie die da vorkommen. Früher war es ganz stark so, dass sie sozusagen den exotischen Background gebildet haben, die waren dann eben im Hintergrund als koloniale Farbtupfer zu sehen.
Da ist man heute ein bisschen sensibler geworden. Es gibt auch jetzt in der C&A Weihnachtswerbung relativ selbstverständlich schwarze Models. Aber wenn man so gängige Modezeitschriften durchblättert, ist das Gros der Models eben doch immer noch weiß. Und es ist schon so, dass da eher so ein gewisser Diversität- oder eben auch Exotikfaktor bedient wird. Was jetzt sehr wichtig war in den letzten Monaten, das war, dass die Chefin der "Teen Vogue", eine junge Afroamerikanerin ist mit einem beeindruckenden Afro, aber da geht es natürlich im Endeffekt auch darum, neue Käufer- und Käuferinnenschichten zu binden.
Der asiatische Modemarkt
Schwarz: Und deshalb sieht man vielleicht auch mehr Asiatinnen, weil der asiatische Modemarkt, Stichwort China, auch immer größer wird.
Eismann: Das hat auf jeden Fall auch was damit zu tun. Einerseits gibt es natürlich das hehre Ziel, Diversität abzubilden und eben nicht mehr rassistisch vorzugehen. Aber machen wir uns nichts vor, Mode ist natürlich ein kapitalistisches Business, was innerhalb dieser Strukturen agiert, und da geht es ganz sicher in erster Linie darum, mehr Geld zu machen.
Schwarz: Jetzt haben wie viel über Hautfarbe gesprochen. Es gab ja auch dieses Model mit dem durch einen Säureanschlag zerstörten Gesicht, ist ja auch eine Form eigentlich von Storytelling auf dem Catwalk, die arme Frau, die ein schreckliches Schicksal hat, und dass jetzt durch uns das Leben zum Guten gewendet wird. Wie viel Voyeurismus ist denn da mit einkalkuliert?
Eismann: Na ja, man muss bei solchen Phänomen, glaube ich, immer aufpassen, dass man nicht gleich zynisch wird und das Ganze sozusagen nur unter diesem Sensationseffekt betrachtet. Ich denke, es ist schon einmal positiv, dass Menschen, die normalerweise sich nur fernab dieser Glamourwelt imaginiert haben, sich jetzt auch in ihresgleichen widergespiegelt sehen können, eben auch Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen, Menschen, die im Rollstuhl sitzen, oder Menschen, die vielleicht amputierte Gliedmaße haben.
Das ist dann schon eine Valorisierung, wenn die von der Fashionwelt entdeckt werden. Es gab ja auch das eine Model mit der Pigmentstörung, das überall rumgereicht wurde, und das wird dann natürlich immer sehr gefeiert. Andererseits müssen wir doch so realistisch sein und uns klar darüber sein, dass das natürlich immer nur auch wieder diese Farbtupfer sind. Auch die Beweise, schaut her, so progressiv sind hier, wir gemeinden diese Leute alle ein, aber solange das eben immer nur Einzelphänomene bleiben, ändert sich quasi an der Basis für die Leute, die das im Alltag betrifft, sehr wenig.
Glamour der Modewelt
Schwarz: Ja, und bei aller Normalität oder Andersartigkeit haben natürlich alle diese Models, ob Profi oder nicht, eine wahnsinnig starke Ausstrahlung. Das ist doch letztendlich die Währung auf dem Catwalk, oder?
Eismann: Ja, das ist immer die Frage, also möchte man das jetzt auch dekonstruieren, möchte man sozusagen ganz normale Leute auf den Catwalk schicken. Oder ist es so, wie viele Leute sagen, dass es eben nur der Glamour der Modewelt, dass es da um ganz besondere Formen von Schönheit geht, die immer mal wieder umdefiniert werden können, die aber doch so sind, dass die meisten Leute die eben nicht erreichen können. Also ich finde, so eine Demokratisierung von Mode ganz reizvoll, aber ich glaube, für die meisten Menschen ist es doch sehr wichtig, dass es so eine fantastische Scheinwelt bleibt, die eben dann doch auch immer ein bisschen in die Ferne gerückt ist.
Schwarz: Ja, und wenn die Labels jetzt mehrheitlich auf diese Diversität, auf Typen setzen, ist das nicht auch schon wieder eine Form von Normierung, auf die man dann zwangsläufig in Kürze wahrscheinlich wieder mit einem ganz anderen Stereotyp reagieren wird?
Eismann: Ja, es gibt immer Normen, das sehen wir auch bei den Curvy-Models, die jetzt ja auch schon in einer Fernsehshow gesucht wurden. Auch da ist es natürlich so, dass das Fett sozusagen an bestimmten Stellen sitzen darf. Diese Frauen entsprechen natürlich dann auch klassischen Schönheitsidealen, und Cellulite wird man da in der Regel auch nicht zu sehen bekommen.
Schwarz: Noch nicht.
Eismann: Ja, also ich glaube, diese Ideale erweitern sich immer und verschieben sich, aber es gibt eben immer Normierungen, die dazu führen, dass ein Großteil der Menschheit sozusagen draußen ist. Die sind dann von dieser Form von Schönheit ausgeschlossen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.