Modetrend

Omas Perlenkette kehrt zurück

Ein junger Mann posiert vor einem Sportplatz. Er trägt eine altmodische Perlenkette um den Hals.
Immer mehr junge Männer tragen heute Perlenkette - ein Zeichen für den Aufbruch in Richtung Aufweichung der Geschlechternormen, meint Leon Igel. © Getty Images / We Are
Ein Kommentar von Leon Igel |
In früheren Jahrhunderten unterschieden Kleidernormen streng zwischen Mann und Frau. In Zeiten der Geschlechtervielfalt ändert sich das, sagt der Journalist Leon Igel. Das beste Beispiel ist die Perlenkette, die von immer mehr Männern getragen wird.
Modetrends sind heute vor allem eines: androgyn. Sie tragen also sowohl männlich als auch weiblich konnotierte Attribute: Zopf und Täschchen für ihn, Sneaker und Herrenhemd für sie. Das ist als Antwort auf die kulturalistische Wende hin zur Geschlechtervielfalt zu sehen. Auch die Mode löst sich von zweigeschlechtlichen Vorstellungen. Statt klarer Zuordnung soll das zwischen den Polen Schimmernde siegen.

Neue Inszenierung von Männlichkeit   

Wie weit die modische Annäherung inzwischen geht, zeigt die Perlenkette. Die tragen jetzt auch Männer. Wohlgemerkt, keine Surferkette mit Haifischzahn, sondern die klassische Version aus Omas Schmuckkiste. Schon 2018 berichtete die deutsche Vogue von dem Trend, der sich da noch auf wenige Prominente beschränkte. Mittlerweile sind die Perlen aber auf der Straße angekommen – vor allem bei jungen Menschen.
Einen großen Beitrag dazu leisten die Influencer in den sozialen Medien. Als Idole der jungen Menschen beeinflussen sie maßgeblich deren Lebensrealität. Immer mehr männliche Social-Media-Stars schmücken sich mit den perlmuttfarbenen Ketten und brechen damit eine bisher oft sehr einseitige Inszenierung von Männlichkeit auf. Wie das aussieht, zeigen etwa die „Elevator Boys“, eine der erfolgreichsten Influencer-Gruppen Deutschlands.

Bizeps und Omas Perlenkette  

Die fünf muskelbepackten Schönlinge Anfang 20 verkörpern die Schönheitsideale der digitalen Medienwelt nahezu vollständig: sportlich, glatt und breites Grinsen. Mit Fotos und Videos lassen sie uns an ihrem scheinbar perfekten Leben zwischen Fitnessstudio und infantiler Männerfreundschaft teilhaben. So weit, so männlich. Doch wenn die Schweißperle auf der durchtrainierten Brust an einer Perlenkette zerrinnt, dann irritiert das die herkömmliche Vorstellung von Jungs, die ihren Bizeps stählen.
Im bewussten ästhetischen Bruch mit den Sehgewohnheiten codieren die Männer die Kette neu. Aus dem Schmuck für gediegene Damen machen sie ein Statement für eine bunte, neue Welt, in der jeder Mensch tragen darf, was er möchte. Die Darstellung ihrer Muskel-Männlichkeit wird dadurch ein Stück fluider. Mit der Perlenkette zeigen sie, dass sie allzu feste Vorstellungen von Geschlechtlichkeit überwinden möchten.

Perlen trugen früher nur Reiche und Mächtige 

Dass als Schmuckstück der Wahl gerade die Perlenkette fungiert, ist so zufällig nicht. Denn wie kaum ein anderes Geschmeide steht sie für einen geschlechtsstereotypen Wandel. Aufgrund ihrer Kostbarkeit waren Perlen lange Zeit den Reichen und Mächtigen vorbehalten. Bekanntermaßen waren das vor allem Männer. Heinrich VIII. schmückte sich etwa mit einer gigantischen Perlenkette. Und es sind Perlen, die manch eine europäische Königskrone zieren.
Erst im Zuge von industrialisierten Herstellungsmöglichkeiten entwickelte sich die Perle zum rein weiblichen Schmuckstück. Nun erschwinglich, aber zum Betören noch teuer genug, wurde die Perle zur funktionalen Begleiterin für die Frau. Im Patriarchat ist Schönheit deren Kapital. Mit den Perlen am Hals trug sie das offensiv zur Schau.

Männerperle nur als kurzzeitige Inszenierung?

Dass sich Männer gerade die Perlen für die androgyne Inszenierung zurückerobern, hat damit so einige kulturgeschichtliche Strahlkraft. Und die fordert Verantwortung. Wo sich die Perle vom Symbol der Festschreibung zum Zeichen der Kategorienauflösung entwickeln soll, braucht es mehr als nur schöne Bilder.
Wenn die Männer ihre Inszenierung mit der Perlenkette nicht reflektieren, führt das nicht zwingend zu einer Veränderung der realen Verhältnisse. Sollte sich die Männerperle einfach nur als kurzlebige Modeerscheinung entpuppen, bliebe alles wie gehabt. Nur dass Omas Perlenkette nicht mehr in der Schublade verstaubt, sondern zum begehrten Geschenk für alle Enkelkinder wird.

Leon Igel, Jahrgang 1995, stammt aus einem Dorf bei Fulda. Er studiert Germanistik und Betriebswirtschaftslehre an der Universität Mannheim und schreibt neben dem Studium als freiberuflicher Journalist, unter anderem für die Frankfurter Allgemeine Zeitung.

Porträtaufnahme von Leon Igel
© Anna Logue
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