Modeschöpferin Bisrat Negassi
Für die Modedesignerin Bisrat Negassi funktioniert Mode wie "ein mobiler Schutzraum", der die eigene Geschichte für andere sichtbar macht. © Björn Lux
„Mit Mode gestalten wir unsere tägliche Geschichte“
33:39 Minuten
Als Kind floh Bisrat Negassi aus Eritrea nach Deutschland. Über Umwege wurde sie Modedesignerin und gründete ihr eigenes Label. Heute schaffen sie und Freunde mit einem Kultursalon Begegnungsorte für Kreative aus Afrika und Deutschland.
„Für mich kam es lange nicht infrage, Modedesign zu studieren“, sagt Bisrat Negassi. Sie habe Mode und Kleidung als "etwas Oberflächliches" angesehen. Heute hat die Modeschöpferin mit „Negassi“ ihr eigenes Label und fühlt sich „wie ein Fisch im Wasser“.
Der Krieg als Alltag
Dass Mode zunächst nicht ganz oben auf ihrer Liste der Berufswahl stand, hatte auch mit ihrem Wunsch zu tun, in ihrer Arbeit „etwas zurückzugeben“. Nach der Schule überlegte die Hamburgerin daher zunächst, im medizinischen Bereich oder als Kriegsreporterin zu arbeiten, „um die Geschichten zu erzählen, die nicht erzählt werden“.
Dieser Wunsch ist eng mit ihrer eigenen Biografie verknüpft. Bisrat Negassi wurde Anfang der 70er-Jahre mitten in den in ihrem Geburtsland Eritrea tobenden Krieg geboren. „Ich habe gar nicht richtig verstanden, was Krieg ist. Es war ja mein Alltag.“ Als Sechsjährige floh sie schließlich mit ihren Eltern und den drei Geschwistern nach Deutschland.
In Hannover, wo die Familie die ersten Jahre verbrachte, war Bisrat Negassis Schulalltag von Rassismus geprägt. Am Schwimmunterricht durfte sie nicht teilnehmen, weil die anderen Kinder nicht mit ihr ins Wasser wollten. Sie behielt die Ausgrenzung für sich, um ihre Eltern nicht „mit meinen kleinen Problemchen“ zu belasten. Das Schwimmen brachte sie sich Jahre später selbst bei.
Mehr als ein geblümtes Stück Stoff
Nach Ausflügen ins Krankenhaus und in die Architektur gelangte sie schließlich über Umwege in die Modewelt, machte Praktika bei namhaften Designerinnen und Designern, lebte eine Weile in Paris. Dort habe sie mit Menschen aus 18 Nationen zusammengearbeitet, es sei „das Gegenteil“ ihrer rassistischen Erfahrungen der Schulzeit gewesen: „Das war paradiesisch für mich.“ Über all das schreibt Bisrat Negassi in ihrem biografischen Buch „Ich bin“.
Dass ihr Blick auf Mode sich grundlegend verändert hat, liegt auch an einem besonderen Kleidungsstück: ein Kleid, das ihre Mutter während der Flucht im Sudan anfertigen ließ. Bis heute verbindet Bisrat Negassi damit weit mehr als ein geblümtes Stück Stoff.
Mit Mode gestalten wir unsere tägliche Geschichte. Sie sei außerdem „ein mobiler Schutzraum“, der für andere „visuell hörbar“ die eigene Geschichte widerspiegeln könne. Bei ihren Kreationen gehe sie meist von ihren eigenen Bedürfnissen aus: „Was ich brauche, entwerfe ich.“
Ein Kleid geht auf Wanderschaft
Durch das Kleid der Mutter kam sie auch auf die Idee von „Come in tent“. Bisrat Negassi und Claude Jansen laden in diesem „feministischen Dekolonisierungsprojekt“ Kuratorinnen, Künstlerinnen, Heilerinnen und Aktivistinnen aus verschiedenen Ländern Afrikas ein. Anhand verschiedener Gegenstände recherchieren und erzählen sie in Zusammenarbeit mit Museen „die präkolonialen, kolonialen und postkolonialen Geschichten dieser Gegenstände“. Denn nicht nur die deutsche Kolonialvergangenheit sei „null aufgearbeitet“. (*)
Mit dem Kultursalon M.Bassy, für den sie mit Freunden eine Wohnung in Hamburg angemietet hat, um „Kunst aus Afrika und der Diaspora“ vorzustellen, verfolgt die Modeschöpferin ihre Idee weiter, ungehörte Geschichten sichtbar zu machen. Ob „Mode, Filme, Literaturabende, Tanzperformances oder Möbeldesigner“ – sie wollten „grenzenlosen Austausch“ zelebrieren. „Wir sind alle Gastgeber, Gastgeberinnen und Gäste.“
(*)Redaktioneller Hinweis: Wir haben die Beschreibung der Zusammenarbeit an dem Kultursalon als auch an dem Projekt „Come in tent“ falsch dargestellt. Dies haben wir nun korrigiert.
(era)