Modeindustrie

"Behandelt uns mit etwas mehr Würde"

Von Jürgen Webermann |
Seit dem Unglück in der Textilfabrik im vorigen Jahr ist der Mindestlohn heraufgesetzt worden. Allerdings trägt die Textilindustrie die Kosten. Denn die Kunden sind nicht bereit, mehr zu bezahlen.
Ein ärmliches Viertel in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch. Auf vielleicht 20 Quadratmetern wohnt hier Rosina mit ihrer kleinen Familie. Rosina hat als Näherin im Rana Plaza gearbeitet. In jenem Hochhaus, das im vergangenen Frühjahr einstürzte.
"Wir haben die Risse schon vorher gesehen. Dann brach das Gebäude in sich zusammen. Nach einiger Zeit kam ich wieder zu mir. Eine Maschine und einige Betonteile hatten meinen linken Arm eingequetscht. Zwei Tage lag ich dort. Dann fanden sie mich."
Aber die Retter konnten Rosina nicht befreien. Am Ende reichten sie ihr eine Säge. Sie musste sich den eingequetschten Arm selbst absägen. Nur so entkam sie aus den Trümmern.
Der Staat hat Rosina eine kleine Entschädigung gezahlt. Von der Modeindustrie im Westen hat sie bislang aber noch keinen einzigen Cent gesehen. Erst Ende Dezember, acht Monate nach der Katastrophe, rangen sich europäische Firmen dazu durch, einen Hilfsfonds aufzulegen. Details müssen aber immer noch geklärt werden.
12 Stunden täglich an der Nähmaschine
Eine der unzähligen Fabriken in Dhaka, ein zweigeschossiges, einfaches Betongebäude, nach einigem Verhandeln lässt uns der Besitzer rein. 500 Arbeiterinnen sitzen hinter Nähmaschinen. 12 Stunden pro Tag. Mindestens.
Shohag ist hier der Chef. Ein junger Mann, er trägt einen Kapuzenpulli. Vor ihm im Büro liegt ein blaues T-Shirt, das nach Deutschland geliefert werden soll. Das Preis-schild ist schon dran, 6.95 Euro.
"Mein Kunde zahlt mir dafür 1,50 Dollar, also etwas mehr als einen Euro. Ich verdiene kaum noch daran."
Der Mindestlohn wurde heraufgesetzt, von 30 auf 50 Euro pro Monat. Seine europäischen Kunden verlangten zudem, dass er mehr für die Sicherheit tut. Nachrüstet und investiert.
"Aber die Kunden selbst weigern sich, mehr zu zahlen. Sie wollen nicht mal fünf oder zehn Cent drauflegen. Sie sagen, nicht mal fünf Cent? Nein, nicht mal fünf Cent. Ich habe gerade einen Auftrag über 700.000 T-Shirts. Aber wenn ich dem Kunden erkläre: Ich muss 70 Prozent mehr Lohn zahlen, bitte gebt mir wenigstens fünf oder zehn Cent, dann heißt es immer: Nein, das geht nicht."
Rosina betont, sie sei trotz des ständigen Drucks immer sehr stolz gewesen, in einer Textilrfabrik zu arbeiten. Die Modeindustrie hat vielen Frauen in Bangladesch ein Einkommen und damit auch Selbstbewusstsein verschafft.
"Ihr könnt ja Euer Geld verdienen. Aber behandelt uns doch bitte mit etwas mehr Würde."
Mehr zum Thema