Beschäftigte übernehmen ein Krankenhaus
Im brandenburgischen Spremberg gibt es ein Krankenhaus mit einer einzigartigen Eigentümerstruktur. 51 Prozent der Gesellschafteranteile gehören den Beschäftigten. Hier gibt es mehr Pflegepersonal und die Zuwendung zu den Patienten wird groß geschrieben. Laut AOK-Krankenhaus-Navigator ist das Krankenhaus die beliebteste Klinik in ganz Ostdeutschland.
Je nachdem, von welcher Seite sich der Besucher dem Krankenhaus Spremberg nähert, sieht er entweder einen funktionalen, kastenartigen, viergeschossigen Bau mit viel Glas oder ein historisches Ensemble mit kleinen, zweigeschossigen Giebelhäusern. Schon allein die verschiedenen Bauelemente zeigen, hier ist viel in Bewegung, wird ständig was erneuert, erweitert, modernisiert. Die ältesten Gebäude sind von 1868.
Innen fällt auf, es sieht alles nicht so richtig nach Krankenhaus aus. Der Eingangsbereich ist grün, die anderen Wände sind gelb oder blau. Doch das alleine ist es nicht. Was auffällt: Es ist sehr ruhig auf den breiten Gängen. Keiner schiebt ein Bett mit einem Patienten hektisch hin und her, keine Schwester läuft strammen Schrittes über die Flure. Das fällt auch einer Patientin auf, die soeben erst ihr Zimmer bezogen hat:
"Ich war ja schon mal zu einer Krebsoperation in Leipzig, da war es hektisch, da ist Uni, da sind Studenten, da geht's rein und raus, man kommt sich manchmal vor wie auf dem Bahnhof. Und hier ist das total entspannt, wie es die Patienten brauchen. Finde ich sehr gut."
Die Patientin, die nicht namentlich genannt werden möchte, kommt aus der Umgebung von Grimma, gut zwei Stunden mit dem Auto von Spremberg entfernt. Doch warum hat sie ausgerechnet ein Krankenhaus so weit entfernt gewählt?
"Das wurde mir empfohlen. Ich habe mich auch im Internet erkundigt und habe dann mit meiner Krankenkasse gesprochen, die in Cottbus ansässig ist und die haben mir gesagt, Spremberg ist eine ganz gute Wahl, die haben mir das direkt empfohlen."
Die Dame breitet ihre Sachen auf dem Bett aus, um sie dann in den Schrank zu räumen. Sie kommt gerade von ihrem Aufnahmegespräch. Die Patientin scherzt mit der am Bett stehenden Chefärztin:
"Ich hatte meine Voruntersuchungen, ein sehr, sehr gutes Vorgespräch, meine Tochter war dabei, da bin ich sehr zufrieden, das hat mir auch ein bisschen die Angst genommen. Wir sind gut im Ergebnis vorangekommen und jetzt warte ich auf das, was auf mich zukommt."
Gesellschafteranteile mehrheitlich in den Händen der Mitarbeiter
Die von der Patientin so gelobte Ärztin ist Sabine Manka, Chefärztin der Gynäkologie im Krankenhaus Spremberg. Gleichzeitig ist Sabine Manka auch die Vorsitzende des Fördervereins des Hauses. Denn das Krankenhaus Spremberg hat eine ganz besondere Eigentümerstruktur: Dem Förderverein gehören 51 Prozent Gesellschaftsanteile.
"Wir haben 51 Prozent, wir sind Mehrheitsgesellschafter, deswegen, weil wir als Mitarbeiter, als Förderverein entscheiden wollten, in welche Richtung sich unser Krankenhaus entwickelt, weil wir wollen mit garantieren, dass die regionale Versorgung der Bevölkerung hier aufrechterhalten wird, auch durch unser kleines Krankenhaus der Grundversorgung. Wir wollen dafür sorgen, dass wir erhalten bleiben."
Einzigartiges Geschäftsmodell eines Krankenhauses
Dieses in Deutschland einzigartige Geschäftsmodell eines Krankenhauses ist ein Produkt einer kriminellen Tat. Bis 1997 hielten zwei private Investoren 50 Prozent Gesellschaftsanteile vom Krankenhaus. Diese Investoren "betrogen" das Krankenhaus, wie Sabine Manka es ausdrückte, und die Gesellschaftsanteile mussten eingezogen werden. Plötzlich hatte das Krankenhaus nur noch die 50 Prozent Gesellschaftsanteile der Kommune. Ohne eine neue, weitere Finanzierungsmöglichkeit hätte es schließen müssen.
"Auf Initiative unseres Betriebsrates und auch der Geschäftsführung wurde dann ein Gesellschaftermodell ins Leben gerufen, was völlig ungewöhnlich war, nämlich durch Finanzierung über unsere Mitarbeiter, Angestellte des Hauses, aber auch Nichtangestellte des Hauses. Das ist unser Förderverein."
Damals war es die Idee, die finanzielle Last der Gesellschaftsanteile auf viele Schultern zu verteilen, ergänzt Matthias Warmo, Krankenpfleger und stellvertretender Vorsitzender des Fördervereins. Deswegen sind die Mitgliedsbeiträge gering.
"Es gibt eine Aufnahmegebühr von 250 Euro und einen Jahresbeitrag von 35 Euro."
Wichtige Entscheidungen werden mit den Mitarbeitern getroffen
Inzwischen hat der Förderverein 285 Mitglieder. Davon sind 67 sogenannte "Außenmitglieder", also Bürger der Stadt. Die anderen, rund 70 Prozent der Mitglieder sind Mitarbeiter des Hauses. Das heißt, die Mitarbeiter entscheiden direkt selber mit, was im Krankenhaus gemacht werden soll. Denn alle wichtigen Dinge, die entschieden werden, ob Bauvorhaben oder Personalentscheidungen, müssen mit dem Förderverein abgesprochen werden und bedürfen der Zustimmung durch die Mitglieder.
"Für uns bedeutet Transparenz, dass wir einen ganz engen Draht zu unserer Geschäftsführung haben. Wir haben jederzeit Einblick in unsere Erlössituationen, wir wissen, was die einzelnen Abteilungen an Erlös für das Haus bringen und wo eventuell Engpässe sind oder wo es hapert oder wo auch kurzfristige Entscheidungen getroffen werden müssen, die eventuell erlösrelevant sind und die unsere Weiterentwicklung beeinflussen werden."
Wenn der Mitarbeiter weiß, warum er etwas tut, ist er viel eher bereit, sich für seinen Arbeitsplatz einzusetzen und auch mehr Verantwortung zu übernehmen. So macht die eigene Arbeit Spaß, und das wirkt sich auf alle aus, auf die Patienten und auf die Kollegen.
"Ich kann erstmal bestätigen, dass die Zusammenarbeit zwischen dem mittleren medizinischen Personal, also der Pflege, und den Ärzten bei uns schon eine besondere ist. Wir haben einen wirklich enge Zusammenhalt, den wir uns sozusagen aus der Wendezeit sozusagen herüber gerettet haben, und das zeichnet unser besonderes Klima aus."
Zudem sei der Schlüssel zwischen Pflegern und Patienten in Spremberg ein anderer als in anderen Häusern, ergänzt Krankenpfleger Matthias Warmo:
"Was das Wesentlichste ist, dass wir mehr Pflegepersonen an Bord haben als andere Krankenhäuser. Wir können uns da nur erlauben, weil wir einen Hausvertag haben und die Vergütung natürlich geringer ist. Ansonsten sind wir genauso den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ausgesetzt wie alle anderen Krankenhäuser auch."
Gutes Betriebsklima trotz weniger Geld
Die Mitarbeiter in Spremberg bekommen weniger Geld als es nach dem normalen Tarif üblich ist. Doch für viele ist das gute Betriebsklima wichtiger als ein paar Euro mehr. In Spremberg bewerben sich ständig neue Mitarbeiter und die, die dort arbeiten, bleiben meist sehr lange. Ist das Spremberger Modell somit ein Vorbild für andere, ähnliche Einrichtungen, eine Insel der Seligkeit?
Etwas zähneknirschend gesteht die dunkelhaarige Chefärztin Sabine Manka, sie bekommen auch viel Gegenwind. Ein ständiger Kampf ist zum Beispiel die Zulassung zur Endoprothetik, der Einsatz künstlicher Hüft- und Kniegelenke. In beiden Feldern erzielten die Spremberger bisher gute Ergebnisse. Doch das Bundesgesundheitsministerium will am liebsten medizinische Kompetenzen im ländlichen Raum bündeln und zusammenführen und bevorzugt die Klinik in Forst, 40 km weiter nordöstlich, als das zukünftige Zentrum für Endoprothetik für die Region in der Lausitz. Diese Entscheidung wäre für das Krankenhaus Spremberg eine Katastrophe:
"Die Endoprothetik stellt einen sehr wesentlichen Faktor unserer Erlössituation da. Wenn dieser Faktor wegbricht, wird der Bereich der Chirurgie unwirtschaftlich, wenn die Chirurgie unwirtschaftlich wird und man sie eventuell schließen muss, haben wir zu viele Anästhesisten, weil Operationen wegbrechen. Dann haben wir aber auch in der Gynäkologie, die auch operativ tätig ist, auch ein Missverhältnis in der Erlössituation. Und ein Haus der Grundversorgung ohne Chirurgie und ohne Gynäkologie ist nicht denkbar."
Sabine Manka und ihre Kollegen kämpfen tapfer weiter, denn der wirtschaftliche Erfolg gibt ihrem ungewöhnlichen Konzept Recht. Die Klinik ist seit 20 Jahren in den schwarzen Zahlen. Und die Patienten spüren die gute Stimmung und fühlen sich sehr wohl in der Klinik bei dem sehr zugewandten Personal.
Im letzten Jahr wurde das Spremberger Krankenhaus laut einer Umfrage der AOK mit einer Patientenzufriedenheit von 96 Prozent zur beliebtesten Klinik in ganz Ostdeutschland gewählt. Ein Patient, der eine neue Hüfte eingesetzt bekommen hat, beschreibt, was ihm besonders gut gefällt:
"Eigentlich alles, das organisatorische. Ich bin Montag ins Krankenhaus gekommen, mir wurde gesagt, Dienstag früh ist die OP. Ich bin runtergekommen, es hat alles super geklappt. Überhaupt auch die Nachversorgung. Geht's gut, geht's nicht gut. Und jetzt hoffe ich, dass ich Freitag entlassen werde."
Ein gutes Miteinander kann nur funktionieren, wenn alle Ebenen die gleiche Sprache sprechen. Auch die Geschäftsführerin des Spremberger Krankenhause, Kathrin Möbius, muss offen und immer gesprächsbereit sein:
"Also, letztlich ist es ganz einfach. Die Mitarbeiter sind meine Chefs. Und dem entsprechend muss man auch als Geschäftsführerin mit den Mitarbeitern kommunizieren, es gibt nur ganz flache Hierarchien, meine Tür ist immer offen und wir sind so orientiert, dass wir versuchen, Probleme gemeinsam zu lösen, natürlich im Interesse unserer Patienten und unserer Region. Und dass da jeder eine hohe Motivation hat, sein eigenes Haus, seinen eigenen Arbeitsplatz bestmöglich auszugestalten."
Katrin Möbius findet, dass Spremberger Modell sei ein gutes Vorbild für ähnliche Einrichtungen. Bei der anstehenden 20-Jahr-Feier im September freut sich die durchsetzungsstarke, rothaarige Geschäftsführerin schon darauf, mal wieder öffentlich und medial begleitet auf die Vorzüge des Spremberger Modells hinzuweisen, bei dem 51 Prozent Gesellschafteranteil in den Händen der Mitarbeiter liegen:
"Weil ich einfach der Meinung bin, dass gerade, wenn es darum geht, kranke Menschen zu betreuen oder hilfsbedürftige, dass dabei nicht immer die Monetik, das Geld, im Vordergrund steht, sondern dass es darum geht, Hilfe zu vermitteln. Und sobald ich ein Krankenhaus nach reinen Management-Gesichtspunkten immer weiter optimieren, bleibt irgendwann die Menschlichkeit auf der Strecke und das ist für Patienten ganz schlimm, weil neben der modernen Medizin immer noch die Empathie und die Zuwendung eine erhebliche Rolle spielen müssen im Genesungsprozesse."