Auch Abwasser lässt sich trennen
Künftige Umweltvorgaben werden die Abwasserreinigung teuer machen. In Lübeck gibt es eine Siedlung mit einem revolutionären Abwasser-Konzept. Hier wird es nach Stoffströmen getrennt und recycelt - wie man es aus der Mülltrennung kennt.
Normalerweise ist man ja einfach froh, wenn man das Abwasser los ist, besonders das in der Toilette. Wenn alles vermischt mit bis zu 8 Litern Spülwasser im Abfluss und durch große Röhren im nächsten Klärwerk verschwindet. Unser Abwasser-System nennt man Schwemmkanalisation – weil einfach alles mit Wasser durch abschüssig verlaufende Rohre weggeschwemmt wird – und es ist in Europa seit ungefähr 150 Jahren in Anwendung. Tatsächlich ist es aber nicht das beste aller Systeme.
"Wir brauchen langfristig Systeme, die einfach ‚Toilette‘ als Teil einer Düngerfabrik sehen. … Industrieabwasserreinigung ist genau den Weg gegangen, man hat die Dinge, die hohe Konzentrationen von irgendwas haben … getrennt erfasst, Wiederverwendung gemacht, das war sehr erfolgreich, die Systeme sind letztendlich dann auch billiger geworden. Man braucht sich mit der Nährstoff-Elimination keinen Kopf mehr zu machen, man spart jede Menge Energie ein, man kann das Wasser leichter wiederverwenden. Aber die Toilette gehört nicht ins Abwasser."
Ralf Otterpohl, Professor für Umweltingenieurwesen an der Technischen Universität Hamburg, hat sich ein System ausgedacht, das nicht mehr auf dem vermischten Wegschwemmen, sondern auf der getrennten Ableitung der verschiedenen Stoffströme Regenwasser, Grauwasser und Schwarzwasser und auf Wassereinsparung beruht.
Unter Grauwasser versteht man das Haushaltsabwasser aus dem Bad, der Spül- und Waschmaschine, das sogenannte Schwarzwasser ist das Abwasser aus der Toilette. In Lübeck wird in der Öko-Siedlung Flintenbreite seit ihrer Gründung vor 15 Jahren diese Trennung nach Abwassersorten praktiziert.
"Der viel bessere Weg ist eigentlich, dass man das, was nutzbar ist, vorher schon raushält, und in dem Nutzbaren haben wir halt auch einen großen Teil der Pharmazeutika-Rückstände, weil die Reste der Medikamente gehen hauptsächlich über Urin, teils über Fäzes raus, wenn man die getrennt erfasst, kann man die auch so behandeln, dass man die auch komplett eliminiert."
Kernstück des Systems ist die Vakuum-Toilette
Kernstück des Systems in der Flintenbreite ist eine Vakuum-Toilette, die mit nur einem Liter Spülwasser das Abwasser aus der Toilette, das sogenannte Schwarzwasser, ansaugt und getrennt ableitet. Die Toilette sieht aus wie jede gewohnte Toilette mit weißer Spülschüssel und Sitz. Sie klingt nur anders.
Man kennt das Geräusch aus dem ICE oder dem Flugzeug. Im heimischen Badezimmer ist es ein bisschen gewöhnungsbedürftig.
"Das gehört zu unserem täglichen Leben, das ist nichts Besonderes mehr, das gehört dazu. Das hat man einfach mal verinnerlicht, zu Anfang war es sicherlich eine Umstellung, das gebe ich zu, aber das ist ganz normal geworden, und es geht auch."
Die Siedlung Flintenbreite strahlt, nur zehn Autominuten vom Lübecker Bahnhof entfernt, fast ländliches Flair aus. In einem Halbkreis stehen zweistöckige Häuser: Dunkelgebeizte Holzverkleidung, hohe Fenster und Wintergärten. Die Dächer aus Aluminium sind geformt wie riesige, längshalbierte Fässer und glänzen in der Sonne. Dazwischen leuchtet viel Grün, wilde Obst-Bäume, dicke Hecken, Wiesen, Gärten.
"Vorrangig war erstmal der Baustil dieser Häuser, weil die sehr lichtdurchflutet sind, und in zweiter Linie war es natürlich interessant … und zum andern war es interessant auch die Entsorgung des sogenannten Schwarzwassers, Klammer auf Fäkalien Klammer zu, das waren die Gründe, weshalb wir uns hierfür interessierten."
Herr und Frau Isberner leben in der Flintenbreite, in einem der ersten Häuser, die hier fertig gestellt wurden. Das Wohnviertel, das aus 117 Doppel- und Reihenhäuser und Eigentumswohnungen besteht, wurde damals mit Fördergeldern der Expo 2000 und der Deutschen Bundesstiftung Umwelt an der nördlichen Stadtgrenze Lübecks entwickelt.
Investition in die Zukunft
Eine Investition in die Zukunft. Im Westen begrenzt ein offenes Gewässer, der inzwischen entrohrte und renaturierte Landgraben, das Gelände. Das Besondere an der Flintenbreite ist aber das Abwasser-System, das die Trennung der verschiedenen Abwässer ermöglicht und das Schließen der natürlichen Ressourcen-Kreisläufe.
"Es spart Ressourcen. … Das ist schon ganz angenehm, auch der Wasserverbrauch ist geringer, wesentlich geringer, vor allen Dingen der Toiletten wegen."
"Wir sind ja mal mit dem Gedanken angetreten, wir machen ein besseres Abwasser-System, oder ein anderes Abwasser-System, das besser die einzelnen Nährstoffe tatsächlich auch nutzbar macht."
Andrea Albold ist Diplomingenieurin der Umwelttechnik und mittlerweile Miteigentümerin des kleinen Lübecker Ingenieurbüros Otterwasser, das die technischen Installationen in der Flintenbreite entwickelt hat. Die Idee war damals, Schwarzwasser getrennt von den anderen Abwasserströmen aufzufangen und Stickstoff, Phosphor und die anderen Nährstoffe, die ausschließlich darin vorkommen, vor Ort zu recyceln.
"Der Stickstoff, der Phosphor, und alles, was in der Kläranlage mit sehr viel Aufwand entfernt werden muss, ist ja eigentlich was, was wir in der Landwirtschaft gut gebrauchen können, wo Düngemittel – mit viel Energie – künstlich hergestellt werden."
Damals war die Flintenbreite noch ein Pilotprojekt. Heute installiert Otterwasser solche Anlagen überall in der Welt.
"Hier in Deutschland heißt das jetzt 'neuartige Sanitärsysteme', das ist ein Begriff, der eingesetzt wird für neue Strategien, die man sich ausdenken kann, um Abwasser tatsächlich zum einen loszuwerden, zum anderen entsprechend Energie-effizient zu behandeln. Und da gehört natürlich diese Teilstromtrennung, wie wir sie hier haben, auch dazu, also dieses Vakuumsystem, wo wir das Schwarzwasser haben, das Grauwasser, was eben weniger belastet ist, was wir getrennt davon ableiten, und dann, ebenso wie wir es hier sehen, in der Pflanzenkläranlage ganz einfach mit ganz wenig Energie tatsächlich reinigen können."
Anbindung an die örtliche Kläranlage unnötig
Durch die getrennte Reinigung der drei Abwässerströme wird die Anbindung an die örtliche Kläranlage unnötig. Das Regenwasser wird direkt in den vielen Freiflächen versickert und kommt dem Grundwasser zugute. Das Grauwasser, also alles Abwasser, das durch Waschmaschinen, Duschen, Spülmaschinen anfällt, und den größten Abwasserstrom bildet, aber tatsächlich am geringsten verschmutzt ist, wird in eine Pflanzenkläranlage geleitet: ein zwischen den Häusern liegendes, mit Schilf bewachsenes etwa 280 Quadratmeter großes Feld.
"Das Grauwasser wird hier drauf gegeben, im oberflächigen Bereich über diese Pumpe, die hier ist und es gibt ein Verteilerrohrsystem, was ungefähr 10 Zentimeter unter der Oberfläche hier liegt. Das Wasser wird gleichmäßig auf diese Fläche verteilt und versickert dann durch diese Sandschicht, die drin ist und in der Sandschicht wird das Wasser gereinigt, über Mikroorganismen, die dort ansiedeln. Unten im Becken ist eine Drainage-Leitung, die das gereinigte Wasser aufnimmt und dort hinten, da ist unsere Probenahme-Stelle für die Behörde auch, und da kommt das gereinigte Wasser hinten raus. Und das ist eigentlich der ganze Trick an der Sache. Mehr Aufwand ist eigentlich nicht. An energetischem Aufwand habe ich nur eine Pumpe, die, ich schätze mal, dreimal am Tag für zehn Minuten läuft, das ist der einzige Energiebedarf, den ich habe für diese Pflanzenkläranlage, und den Rest macht die Biologie alleine."
Was passiert aber nun mit dem Schwarzwasser aus der Toilette, dem kleinsten Abwasserstrom, der zwar nährstoffreich und kostbar, aber gleichzeitig schadstoffreich und bakteriell verseucht ist? 1 Liter Schwarzwasser aus der Toilette kann 8 Liter sonstiges Abwasser in flüssigen Sondermüll verwandeln. In den konventionellen Kläranlagen, wo das gesamte Abwasser stark vermischt ankommt, macht dieser eigentlich dünne Stoffstrom den hohen Reinigungsaufwand für die nun riesigen Wasserströme erforderlich.
In der Flintenbreite steht im Betriebskeller des Gemeinschaftshauses eine Vakuumanlage. Eine Pumpe saugt hier Luft aus einem Behälter und erzeugt dadurch ein Vakuum in den Rohren, die zu den Toiletten in allen Häusern führen. Wenn jemand die Spül-Taste bedient, wird damit der Inhalt der Toilette in Sekundenschnelle unverdünnt in den großen Tank gesaugt, der neben der Unterdruckstation steht.
Im Betriebskeller wird es dann natürlich laut, in den Wohnungen hört man davon nichts.
"Wir haben ja den Vorteil, dass wir hier das Schwarzwasser sammeln, das Schwarzwasser sind unsere Fäkalien, wobei diese Fäkalien mit sehr geringen Wassermengen zu einer Sammelstelle befördert werden. Dieses sogenannte Schwarzwasser soll in Zukunft, das muss ich sagen, weiter verwendet werden, und zwar wollen wir daraus die Nährstoffe entziehen, da sind mehrere Universitäten dabei, dieses Verfahren zu entwickeln, sollen höchstwahrscheinlich dann in Pellets-Form ... mehr Nährstoffdünger in Pellets dann entstehen und dann für die Landwirtschaft oder für die Bevölkerung überhaupt zur Verfügung gestellt werden. So dass der Kreislauf ganz schnell wieder zustande kommt und dass unser Ausscheiden, dass da nicht mehr viel von übrig bleibt."
Biogasanlage und Blockheizkraftwerk
Im Gemeinschaftshaus stehen neben der Unterdruckstation eine kleine Biogasanlage und ein kleines Blockheizkraftwerk. Aus rechtlichen Gründen sind die Installationen immer noch nicht in Betrieb. Der Idee nach würde sich aber dadurch der Kreislauf der Resourcen aus den Abwasser-Stoffströmen in der Flintenbreite schließen lassen. In der Biogasanlage würde der konzentrierte Stoffstrom aus der Toilette, das Schwarzwasser, zusammen mit Grünschnitt und anderem Biomüll zu Biogas und Gärresten recycelt werden. Das Biogas könnte in die städtische Gasleitung eingespeist werden. Mit der Abwärme aus der Anlage könnte dann das Blockheizkraftwerk betrieben und die Siedlung beheizt werden.
Nährstoffe wie Phosphor, Kalium oder Stickstoff die sich in hoher Konzentrationen im Schwarzwasser sammeln, könnten, statt in konventionellen Kläranlagen mit wachsendem Energieaufwand und steigenden Kosten erst herausgefiltert und dann als Abfall entsorgt zu werden, in der Biogasanlage recycelt und als Naturdünger verfügbar gemacht werden.
"Beim Phosphatdünger ist es so, dass wir bei Düngerückgewinnung aus Toilettenabwasser sehr sauberes Phosphat gewinnen können, das ist technisch unaufwenig und machbar, wir haben das gezeigt, an vielen Projekten, und dieser Weg muss sowieso verfolgt werden, weil die Phosphat-Ressourcen weltweit sind wahnsinnig schnell am schrumpfen, sie sind schon so hoch belastet, dass man sie eigentlich nicht mehr verwenden dürfte, und deshalb arbeiten wir halt da dran, andere Systeme zu entwickeln, wo die Toilette Teil einer Düngerfabrik ist."
"Wenn die Biogasanlage in Betrieb geht, wird über diese Abwasserpumpen die da sind, das Schwarzwasser dort in diesen Mischbehälter gefördert, in diesem Mischbehälter kommen dann zusätzlich die Bioabfälle mit rein, da steht ein kleiner Motor mit oben drauf, das wird dann gemischt, und anschließend wird das immer portionsweise in diesen zweiten Behälter gegeben, das ist die Hygienisierung. Das sieht man an der dicken Dämmschicht, die da außen rum ist."
In der sogenannten Hygienisierung werden alle Keime abgetötet, damit die Gärreste, also der Biodünger, auch wirklich sauber ist und keine Keime nach draußen getragen werden.
"Wohin dann mit den Gärresten, also das, was dann praktisch als Flüssigdünger, sag ich mal in Anführungszeichen, wohin wir damit gehen dürfen, ist dann wieder eine rechtliche Geschichte, das muss dann wieder im Prinzip neu geklärt werden, wo wir damit natürlich hinkommen, aber eigentlich ist es tatsächlich so, dass wir dann ein Produkt haben, was nährstoffhaltig ist, und was man ausbringen könnte, nur ist Schwarzwasser nicht wirklich geregelt in der Dünge-Verordnung."
Gesetze verhindern den nächsten Schritt
Bis es so weit ist, müsste die Anlage aber überhaupt erst einmal in Betrieb genommen werden dürfen. Noch wird deshalb das gesammelte Schwarzwasser der Flintenbreite regelmäßig in die städtische Kläranlage gefahren. Eigentlich eine Verschwendung.
"Die Gesetzeslage ist heute so, dass man solche Flüssigdünger nicht mehr direkt aufs Feld bringen darf, das war bei der Planung der Anlage anders, es war geplant, wirklich einen Flüssigdünger herzustellen, Volldünger und den halt auf den Acker zu bringen. Und das macht es natürlich sehr viel schwieriger, weil der Vorteil ist dann weg, dass man halt durch die Behandlung dann einen Dünger hat. Jetzt müsste man das trotzdem noch zum Klärwerk bringen. Wir machen allerdings auch noch Forschung jetzt dazu, wie man das weiter aufbereiten kann, dass man sowas Handelsdünger-Ähnliches erzeugt. Aber aus erneuerbaren Ressourcen."
Phosphor und Phosphorverbindungen sind für alle Lebewesen essenziell. Ohne Phosphor können Organismen nicht aufgebaut werden und funktionieren. Bei Menschen und Tieren gilt dies beispielsweise für die DNA – die Trägersubstanz der Erbinformationen –, aber auch für Knochen und Zähne. Pflanzen verkümmern, wenn sie nicht genügend Phosphate aufnehmen können.
Phosphor ist für die Herstellung von Düngemitteln unersetzlich. Deshalb ist dieser Rohstoff sehr wichtig, weil er weltweit dazu beiträgt, die Ernährung zu sichern. Die Phosphor-Vorräte auf der Welt sind endlich. Die Europäische Kommission stuft Phosphor seit Mai 2014 als kritischen Rohstoff ein.
"Das muss man ganz einfach sagen, dass gerade Herr Professor Otterpohl hier in dieser Hinsicht doch der Zeit ziemlich voraus war. Und das haben wir gerne mit aufgenommen. Dieses System ist leider immer noch nicht genügend bekannt, dass es durchgesetzt wird, obwohl Verbesserungen zu unserem System schon gebaut wurden, zum Beispiel in Hamburg."
Hamburg macht es nach
Die Stadt Hamburg und Hamburg-Wasser bauen nach dem Modell der Flintenbreite und in Zusammenarbeit mit Ralf Otterpohl derzeit eine neue Siedlung für 5000 Menschen: die Jenfelder Au. Im kommenden Jahr sollen die Häuser bezugsfertig sein. Hier wird dann tatsächlich auch eine Biogasanlage in Betrieb genommen.
Deutschland soll zum Rohstoffland werden, forderte Bundeskanzlerin Merkel nach dem Pariser Umweltgipfel. Beim Abwasser verlangt das Bundesumweltministerium deshalb ab 2025 Techniken einzusetzen, die es ermöglichen, Phosphor zurückzugewinnen.
Das Abwasser-System der Flintenbreite ist da eigentlich ein gutes Vorbild. Zwar lässt es sich nicht sofort auf unsere Kanalisation übertragen. Aber da in den meisten Häusern die Ableitung von Grau- und Schwarzwasser getrennt verläuft und die Verschmischung erst bei der Einleitung in die städtischen Kanäle geschieht, könnte ab dieser Stelle das System aus der Flintenbreite greifen.
Wasser und Abwasser in anderen Bundesländern: