Modellstadt des totalitären Kapitalismus
In der ostmährischen Stadt Zlín gründete Tomas Baťa, Sohn eines Flickschusters, Anfang des 20. Jahrhunderts seine erste Schuhfabrik. Daraus entwickelte sich ein weltweites Schuhimperium und Baťa ließ Zlin umbauen in eine moderne, funktional getrennte Modellstadt, die auch für die Freizeit der Arbeiter sorgte. Die Münchner Pinakothek zeigt nun die Entwicklung dieser Stadt.
1894 gründete Tomáš Baťa mit seinen Geschwistern eine Schuhfabrik. Fünf Jahre später wurden die ersten Maschinen gekauft. Das Unternehmen wuchs unaufhörlich, zwischen 1929 und 1931 kamen 666 neue Betriebe in 37 Ländern hinzu. Baťa besaß Kraftwerke, Eisenbahnen, Flugzeuge und Schiffe.
In dem kleinen Ort Zlín hat alles angefangen. Hier steht das Stammhaus der Schuhdynastie, und hier entstand in den Zwischenkriegsjahren die bedeutendste Modellstadt des 20. Jahrhunderts. Eine sozialistische Stadt ohne Sozialismus. Ein skurriles, sehr erfolgreiches Modell, das sich damals über den gesamten Globus ausbreiten sollte. Und noch heute ist Zlín von Baťa geprägt. Pavel Škarka, Leiter des Ateliers für Industriedesign an der Universität Tomáš Baťa in Zlín:
"Wir müssen in die Geschichte gehen. Selbstverständlich hängen wir historisch, wirtschaftlich und kulturell mit Baťa zusammen. Baťa hatte gute Beziehungen zur ganzen Welt, vor allem zu Amerika, und seine Leute, Fachleute, suchten nach neuen Technologien und Gestaltungsprinzipien. Nicht nur die Funktion, auch Ergonomie, Schönheit und Produktivität wurden damals als völlige Einheit gesehen."
Das Architekturmuseum fragt jetzt noch einmal nach und beleuchtet kritisch die Firmengeschichte. Schuhe und Pläne, Plakate und Architekturmodelle werden in München gezeigt. Und es gibt viele historische Fotografien, die vordergründig von einer heilen Welt erzählen. Winfried Nerdinger, Leiter des Münchner Architekturmuseums.
"Ich würde das Ganze Baťa-System, wie man das ja auch genannt hat, als totalitären Kapitalismus bezeichnen. Es geht nur um die Gewinn- und Ertragssteigerung von Baťa, und dazu erfasst er das gesamte Leben seiner Mitarbeiter von der Jugend bis zum Tod, kann man fast sagen, und von der Früh bis in die Nacht, von der Arbeit bis zur Freizeit."
Zeitgenossen wie Egon Erwin Kisch oder Ilja Ehrenburg blickten kritisch hinter die Kulissen, doch die Polemiken gegen den mährischen Pantoffelschuster nützten nicht viel. Vor allem die Architekten waren begeistert. Sie pilgerten ins ferne Mähren und sangen ihr Loblied auf Zlín und die modere Stadt.
Winfried Nerdinger: "Das beginnt damit, dass die städtebaulichen Ideen, die bei den Vertretern der modernen Architekten diskutiert worden sind, nämlich die Trennung der Stadt nach Funktionen – Arbeiten, Wohnen, Freizeit, Verkehr – dort bereits verwirklicht sind."
Architekt František Lydie Gahura hatte ein quadratisches Raster von 20 mal 20 Fuß gewählt. Ob Haus, Hotel oder Fabrik, fast alle Bauten in Zlín folgen dem gleichen Quadrat. Die Architektur sollte funktional und praktisch sein, und sie sollte dem Firmen-Image dienen. Und das nicht nur in Zlín. In den Zentren der Metropolen eröffnete Baťa supermoderne Filialen im Stil der weißen Moderne, um seinen Kunden den neusten ästhetischen Kick zu bieten.
Auch Architekt Le Corbusier gehörte zu den Baťa-Fans. Er war stets auf der Suche nach finanzkräftigen Auftraggebern, selbst dann, wenn sie politisch nicht koscher waren. Le Corbusier schmeichelte dem Schuh-Mussolini, schickte ihm Pläne und Konzepte, doch Zlín war kein gutes Pflaster für ehrgeizige Architekten. In Mähren waren Sparsamkeit und Pragmatismus gefragt. Die nie verwirklichten Pläne sind jetzt in München zu sehen. In Zlín durften andere bauen.
Winfried Nerdinger: "Der Architekt Vladimír Karfík errichtete die Konzernzentrale. Ein siebzehngeschossiges Hochhaus, und an einer Ecke befindet sich ein mobiles Direktionszimmer, könnte man sagen, also der Fahrstuhl. Von dort aus konnte er mit der ganzen Welt in Verbindung treten, mit seinen Filialen, und er konnte in jedem Stockwerk andocken, die Tür ging auf und der Chef stand mehr oder weniger vor seinen Angestellten."
In der Ausstellung ist ein Modell zu sehen. Nichts zeigt anschaulicher die Denkart des Firmenchefs. Tomáš Baťa bewunderte Frederick Winslow Taylor und den Autobauer Henry Ford, die in den Vereinigten Staaten die Arbeiter ans Fließband stellten. Bei Baťa wurde noch mehr geregelt: Arbeit und Wohnen, Bildung und Freizeit. Dazu passte perfekt die moderne, funktionale Architektur.
Winfried Nerdinger: "Man muss ganz einfach davon wegkommen, dass man die Moderne pauschal mit Fortschritt, Demokratie und sozialer Erneuerung verknüpft. Moderne Architektur ist zuerst einmal rationale, funktionale, ökonomische Gestaltung ohne jeglichen historischen Dekor. Das kann ich für jede Bauaufgabe einsetzen und auch für jedes Gesellschaftssystem verwenden. Das ist überhaupt nicht miteinander von der Sache her verknüpft."
Zlín: all inclusive. Eine genormte Stadt für genormte Bewohner, die mit und für Baťa lebten. Betreute Existenzen, jenseits von Freiheit und Risiko. Die Modellstadt der Moderne als perfektes Ambiente für gut versorgte Untertanen. Ein streng kontrollierter Ort mit Milchbar und ohne Alkohol.
Service:
Die Ausstellung "Zlín - Modellstadt der Moderne" ist bis zum 21.02.2010 in der Pinakothek der Moderne in München zu sehen.
In dem kleinen Ort Zlín hat alles angefangen. Hier steht das Stammhaus der Schuhdynastie, und hier entstand in den Zwischenkriegsjahren die bedeutendste Modellstadt des 20. Jahrhunderts. Eine sozialistische Stadt ohne Sozialismus. Ein skurriles, sehr erfolgreiches Modell, das sich damals über den gesamten Globus ausbreiten sollte. Und noch heute ist Zlín von Baťa geprägt. Pavel Škarka, Leiter des Ateliers für Industriedesign an der Universität Tomáš Baťa in Zlín:
"Wir müssen in die Geschichte gehen. Selbstverständlich hängen wir historisch, wirtschaftlich und kulturell mit Baťa zusammen. Baťa hatte gute Beziehungen zur ganzen Welt, vor allem zu Amerika, und seine Leute, Fachleute, suchten nach neuen Technologien und Gestaltungsprinzipien. Nicht nur die Funktion, auch Ergonomie, Schönheit und Produktivität wurden damals als völlige Einheit gesehen."
Das Architekturmuseum fragt jetzt noch einmal nach und beleuchtet kritisch die Firmengeschichte. Schuhe und Pläne, Plakate und Architekturmodelle werden in München gezeigt. Und es gibt viele historische Fotografien, die vordergründig von einer heilen Welt erzählen. Winfried Nerdinger, Leiter des Münchner Architekturmuseums.
"Ich würde das Ganze Baťa-System, wie man das ja auch genannt hat, als totalitären Kapitalismus bezeichnen. Es geht nur um die Gewinn- und Ertragssteigerung von Baťa, und dazu erfasst er das gesamte Leben seiner Mitarbeiter von der Jugend bis zum Tod, kann man fast sagen, und von der Früh bis in die Nacht, von der Arbeit bis zur Freizeit."
Zeitgenossen wie Egon Erwin Kisch oder Ilja Ehrenburg blickten kritisch hinter die Kulissen, doch die Polemiken gegen den mährischen Pantoffelschuster nützten nicht viel. Vor allem die Architekten waren begeistert. Sie pilgerten ins ferne Mähren und sangen ihr Loblied auf Zlín und die modere Stadt.
Winfried Nerdinger: "Das beginnt damit, dass die städtebaulichen Ideen, die bei den Vertretern der modernen Architekten diskutiert worden sind, nämlich die Trennung der Stadt nach Funktionen – Arbeiten, Wohnen, Freizeit, Verkehr – dort bereits verwirklicht sind."
Architekt František Lydie Gahura hatte ein quadratisches Raster von 20 mal 20 Fuß gewählt. Ob Haus, Hotel oder Fabrik, fast alle Bauten in Zlín folgen dem gleichen Quadrat. Die Architektur sollte funktional und praktisch sein, und sie sollte dem Firmen-Image dienen. Und das nicht nur in Zlín. In den Zentren der Metropolen eröffnete Baťa supermoderne Filialen im Stil der weißen Moderne, um seinen Kunden den neusten ästhetischen Kick zu bieten.
Auch Architekt Le Corbusier gehörte zu den Baťa-Fans. Er war stets auf der Suche nach finanzkräftigen Auftraggebern, selbst dann, wenn sie politisch nicht koscher waren. Le Corbusier schmeichelte dem Schuh-Mussolini, schickte ihm Pläne und Konzepte, doch Zlín war kein gutes Pflaster für ehrgeizige Architekten. In Mähren waren Sparsamkeit und Pragmatismus gefragt. Die nie verwirklichten Pläne sind jetzt in München zu sehen. In Zlín durften andere bauen.
Winfried Nerdinger: "Der Architekt Vladimír Karfík errichtete die Konzernzentrale. Ein siebzehngeschossiges Hochhaus, und an einer Ecke befindet sich ein mobiles Direktionszimmer, könnte man sagen, also der Fahrstuhl. Von dort aus konnte er mit der ganzen Welt in Verbindung treten, mit seinen Filialen, und er konnte in jedem Stockwerk andocken, die Tür ging auf und der Chef stand mehr oder weniger vor seinen Angestellten."
In der Ausstellung ist ein Modell zu sehen. Nichts zeigt anschaulicher die Denkart des Firmenchefs. Tomáš Baťa bewunderte Frederick Winslow Taylor und den Autobauer Henry Ford, die in den Vereinigten Staaten die Arbeiter ans Fließband stellten. Bei Baťa wurde noch mehr geregelt: Arbeit und Wohnen, Bildung und Freizeit. Dazu passte perfekt die moderne, funktionale Architektur.
Winfried Nerdinger: "Man muss ganz einfach davon wegkommen, dass man die Moderne pauschal mit Fortschritt, Demokratie und sozialer Erneuerung verknüpft. Moderne Architektur ist zuerst einmal rationale, funktionale, ökonomische Gestaltung ohne jeglichen historischen Dekor. Das kann ich für jede Bauaufgabe einsetzen und auch für jedes Gesellschaftssystem verwenden. Das ist überhaupt nicht miteinander von der Sache her verknüpft."
Zlín: all inclusive. Eine genormte Stadt für genormte Bewohner, die mit und für Baťa lebten. Betreute Existenzen, jenseits von Freiheit und Risiko. Die Modellstadt der Moderne als perfektes Ambiente für gut versorgte Untertanen. Ein streng kontrollierter Ort mit Milchbar und ohne Alkohol.
Service:
Die Ausstellung "Zlín - Modellstadt der Moderne" ist bis zum 21.02.2010 in der Pinakothek der Moderne in München zu sehen.