Eine Karriere in Schweden: Lehrer, Jude, TV-Star
Beppe Singer moderiert eine der beliebtesten Kindersendungen im schwedischen Fernsehen. "Als Jude in Schweden kann man sich ziemlich isoliert fühlen", sagt er trotzdem. Er will ein Vorbild sein.
Beppe Singer hat gerade den jüdischen Kindergarten im Stockholmer Stadtteil Östermalm betreten, um seine beiden Kinder abzuholen. Zwischen Aufzug, koscherem Laden und Schulküche begrüßen ihn stürmisch ein paar Erstklässler. Ihr Lieblingsmoderator ganz privat – mit Schiebermütze, Vollbart, energiesprühenden braunen Augen, in der Hand eine Tüte Rugelach – unfassbar. Mittlerweile habe der Rummel um seine Person etwas abgenommen, sagt Beppe etwas verlegen und mit breitem südschwedischen Dialekt. Doch die Neugier auf seine TV-Experimente aus "Hjärnkontoret", der beliebtesten schwedischen Wissenschaftssendung für Kinder, sei ungebrochen.
"Das ist cool. Vor allem, weil die Kinder sehen, dass ich ein ganz normaler Mensch bin. Einer, der Mathe mag und Spaß an Experimenten hat und der außerdem Vater ist und nachmittags seine Kinder abholt. Und der übrigens, ganz nebenbei, auch Jude ist und Schabbat feiert – so wie diese Kinder hier in der jüdischen Schule auch."
Im Winter hat Beppe, der eigentlich Benjamin heißt, in der Großen Synagoge Stockholm ein Kinderprogramm auf die Beine gestellt: Experimente zu Chanukka. Natürlich mit viel Öl und Kerzen. Dass er die Welt der Naturwissenschaft mit der jüdischen Welt zusammenbringen kann, ist für den beliebten Moderator eine neue Erfahrung. Denn dass er Jude ist, spielte im Fernsehen bislang keine Rolle.
"Als Jude in Schweden kann man sich ziemlich isoliert fühlen, außen vor, in Frage gestellt. Daher ist es so wichtig ein positives Vorbild zu sein, das ist mir wichtig. Ich bin eine öffentliche Person, ja. Aber bei mir geht es nicht um den Israel-Palästina-Konflikt oder Judesein in Schweden, sondern einzig und allein um Naturwissenschaft und Spaß. Auch das kann Judesein bedeuten."
Bist du schlecht in Mathe, giltst du als Niete
Ob mit "Hjärnkontoret" oder Vorträgen auf Lehrerweiterbildungen – der Lehrer will vor allem eines: Kindern Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten vermitteln.
Selbst hatte Beppe als Schüler weniger Glück: Sein Mathelehrer machte ihm das Leben schwer. Das Vorurteil führte zu einer Negativspirale – Frustration, Konflikte, Drogen. Beppe geriet auf die schiefe Bahn. Kein Selbstvertrauen, kein Platz im Leben, Versagen in anderen Fächern.
"Dem Fach Mathe haftet der Nimbus von Intelligenz an. Bist du gut in Mathe, dann hast du einen hohen IQ, bist du es nicht, giltst du als Niete, als Dummkopf. Das Fatale: Das überträgt sich dann auf alles andere, wie eine Krankheit: Schulfächer, Selbstvertrauen, Sozialkompetenz."
Beppe brach die Schule ab und schlug sich zunächst mit Gelegenheitsjobs durch. Barkeeper, Rockmusiker, Verkäufer. Als Erwachsener holte er sein Abitur nach, traf Menschen mit ähnlichen Schulerlebnissen und Lehrer, die ihn unterstützten: für den Entertainer damals die Wende. Er entdeckte sein Talent für Naturwissenschaften, studierte Chemie und Mathe, wurde Lehrer, später sogar Direktor. Dann, eines Tages, las er eine Anzeige des Schwedischen Fernsehens: Moderator für Kinder-Wissenschaftssendung gesucht. Er bewarb sich und bekam prompt den Job.
"Bei der ersten Redaktionssitzung ging es um Physik-Experimente. Dabei wurde schnell klar: Sobald ich sage: Hallo Kinder, heute lernen wir alles über Aerodynamik, schalten die Zuschauer ab. Sage ich aber: Heute erzählen wir eine Geschichte, dann bleiben sie dran."
Beppes eigene Geschichte beginnt in Malmö. Geboren als Kind jüdischer Eltern, die Mutter Tochter von Schoa-Überlebenden, der Vater immigrierte 1969 aus Polen, wuchs Beppe in einem säkularen Elternhaus auf. Trotz aller Säkularität und Assimiliertheit bezeichnet er sich selbst als traditionellen Juden.
"Auch meine Kinder sollen damit aufwachsen: mit der Spiritualität der jüdischen Feiertage und diesem einzigartigen Familiengefühl – mit allem was es mit sich bringt: meschuggene Eltern, besorgte Großeltern, Teller, die fliegen. Aber darin liegt doch auch etwas sehr Starkes, das uns als Gruppe verbindet und zusammenhält."
Nächste Projekte: Erwachsenenbildung, Bücher, Bildungsberatung
Vor einigen Jahren zogen die Singers nach Stockholm. Nicht nur wegen des Jobs beim Fernsehen. Auch wegen zunehmender antisemitischer Angriffe in Schwedens drittgrößter Stadt. Ereignisse, die Beppes Identitätskonflikte vertieften.
"Ich gehöre zu einer klassisch verwirrten Generation: Als Jude geboren, assimiliert in der schwedischen Gesellschaft, war mein Wunsch hineinzupassen größer als meine Bereitschaft, den Traditionen zu folgen. Jüdischsein bedeutet für mich: innerer Konflikt: Wer ich bin, wer ich sein sollte und wer ich nicht sein sollte. Auf der einen Seite fühle ich mich schwedisch, auf der andern Seite als Teil einer Minderheit."
Derzeit bastelt Beppe Singer an neuen Projekten. Erwachsenenbildung, Bücher, Bildungsberatung. Doch was in zehn Jahren sein wird? Der Entertainer zuckt mit den Schultern.
"Keine Ahnung. Wer weiß das schon. Aber ich hoffe, ich werde noch in der Welt leben, in der wir jetzt leben. Eine Welt, in der Unterhaltung, Neugier und Wissenschaft zusammengehen. Eine Welt, in der ich einen Platz habe."
Doch wo wird dieser Platz sein, angesichts schwindender Toleranz für Minderheiten in Schweden?
"Natürlich sehe ich realistisch, was dieser Tage um uns Juden herum passiert, in Schweden, in Europa. Dennoch bin ich naiv-optimistisch. Ich weigere mich, meinen Glauben an die Liebe zwischen Menschen aufzugeben. Und dafür werde ich mich immer einsetzen. Gerade dadurch, dass ich Kinder im Klassenzimmer dazu ermutige, an sich selbst und ihre Fähigkeiten zu glauben. Das ist mein Beitrag."