Moderne in der Wüste
Die Golfstaaten sind eine Welt der Superlative, der Kontraste, der Widersprüche, eine Welt, die in die Moderne katapultiert wurde. Wo sich vor kurzem noch die Weiten der Wüste erstreckten, entstehen heute in atemberaubendem Tempo Straßennetze, Wohnviertel, Hochhäuser. Wie die bildenden Künstler dort auf diese Umbrüche reagieren, zeigt das Kunstmuseum Bonn.
Man sieht nur Hände: Alte, junge, verschrumpelte und verkrüppelte Hände, abgebildet auf großen Fotografien. Sie sind Teil des Werkes "Zahl und Lebenszeit" von der in Dubai lebende Künstlerin Ebtesam Abdel-Aziz. In den vergangenen Jahren ist es der jungen Frau gelungen, ein alphabetisch geordnetes Archiv hunderter Fotos von Händen anzulegen. Sie möchte damit die Betrachter einladen, eine eigene Vorstellung von der Person, deren Hand fotografiert wurde, zu entwickeln.
Doch im Gegensatz zu ihren Künstlerkollegen, die vom Golf an den Rhein gereist sind, kann Ebtesam Abdel-Aziz nicht persönlich Auskunft über ihr Werk geben: Sie hat keine Erlaubnis bekommen, das Land ohne ihren Mann zu verlassen. Dieser Umstand verdeutlicht das Dilemma, in dem die Länder am arabischen Golf stecken: Auf der eine Seite noch verhaftet mit jahrhundertealten Traditionen, auf der anderen Seite aber schon mittendrin in der Moderne.
So sieht es auch die Ausstellungsleiterin Karin Adrian von Roques. Seit vielen Jahren reist die Expertin für islamische Kunstgeschichte in die Region. Dort ist sie Zeugin einer rasanten Entwicklung geworden: Mit dem Ölboom Mitte des vergangenen Jahrhunderts kamen auch die Petrodollars und somit die Veränderungen in diese Länder:
"Mit dem Geld ist es möglich geworden, zum Beispiel die Wüste zu bewässern, Grünanlagen zu schaffen, und das ist dann richtig so ein Boom. Ich habe das in einem Text so ausgedrückt, die sind praktisch in die Moderne katapultiert worden, und damit ist auch gleichzeitig verbunden gewesen, dass die Möglichkeit war für viele junge Araber dort im Ausland zu studieren. Die bringen dann ihre Einflüsse mit zurück, und so ist das eigentlich explodiert."
In einem atemberaubenden Tempo wurden Straßennetze, Wohnviertel, Hochhäuser, Luxushotels und Shopping Malls geschaffen. Der westliche Lebensstil hat Einzug gehalten, und damit einher ging auch die Beschäftigung mit moderner Kunst. Diese hat in der arabischen Welt keine Tradition. Die Entwicklung setzte erst vor etwas mehr als dreißig Jahren ein.
Einer der ersten Künstler, der sich mit den Möglichkeiten und Ausdrucksformen moderner Kunst beschäftigte, war Hassan Scharif. Der heute 51-Jährige, der in den Vereinigten Arabischen Emiraten lebt, absolvierte in den achtziger Jahren ein Kunststudium in London. Nach seiner Rückkehr gründete er eine bis heute aktive wichtige Künstlervereinigung, die "Gruppe der Fünf".
Zu dieser Gruppe gehört auch Muhammad Kazem. Der 1969 in Dubai geborene Künstler zeigt in Bonn seine Videoinstallation The Window 2003-2005. Er zeichnet dabei den Bau eines Hochhauses in dem Golfstaat Sharjah nach, von der Grundsteinlegung durch die indischen Gastarbeiter bis zu dem Moment, wo der erste Gast das Fitness-Center des neuen Prachtbaus im 42. Stock betritt. Für den Künstler stellt das Werk auch eine Form der Kritik dar:
"Ich spreche hier über die Immigranten, die in unsere Länder gekommen sind, um beim Bau dieser Wolkenkratzer zu helfen und sehr hart arbeiten und von den Baufirmen ständig gegängelt werden. Einige von ihnen werden durch herabstürzende Bauteile getötet, andere kehren in ihre Länder zurück, doch die meisten von ihnen leben bei uns unter sehr schlechten Bedingungen."
Im Gegensatz zu anderen arabischen Staaten mit ihren totalitären Regimen ist in den Golfstaaten - mit Ausnahme von Saudi-Arabien - Kritik an den vorhandenen gesellschaftlichen Bedingungen möglich. In den meisten dieser Länder werden die Künste sogar von den Herrschern gefördert.
Ein Beispiel hierfür ist die Biennale in Sharjah. In dem kleinen Scheichtum am persischen Golf, das zu den Vereinigten Arabischen Emiraten gehört, findet seit 1993 auf Anregung des Landesfürsten, Sultan bin Mohammed Al Qasimi, im Zweijahresrhythmus eine mittlerweile international anerkannte Kunstmesse statt. Doch die öffentliche Resonanz auf zeitgenössische Kunst bleibt in den Golfstaaten eher zurückhaltend, so Karin Adrian von Roques:
"Die Araber sind eigentlich ein Volk, wo die Dichtung eine große Rolle gespielt hat, das Wort ist wichtig. Das Bild, das hat natürlich auch mit der islamischen Kunst, dem Bilderverbot zu tun, hat nicht so eine Präsenz in dem Sinne gehabt, das sind ganz andere Kriterien."
Zudem mangele es der Kunstszene in den arabischen Golfstaaten vor allem an einem Kunstmarkt:
"Es gibt schon Galerien, aber das Niveau der Galerien ist sehr unterschiedlich, aber vor allen Dingen, es gibt noch keine Sammler, und es ist auch noch nicht von den Institutionen durchstrukturiert. … Und das ist auch das, was die Künstler vermissen. Das dauert auch noch, bis sich das etabliert."
Muhammad Kazem macht für diesen Zustand auch das Bildungssystem in den Ländern verantwortlich:
"Es gibt keinen Kunstunterricht in der Schule. So kommt es, dass viele Menschen, bevor sie in die Universität kommen, noch nie den Namen eines Künstlers gehört haben. Und wenn sie dann kommen und unsere Arbeiten sehen, dann sind sie erst einmal geschockt."
In den letzten Jahren hat sich diese Situation geändert. Mittlerweile gibt es Akademien und Institute speziell für moderne Kunst. Dadurch sind junge Künstler auch in der Lage, sich von den westlichen Vorbildern, die sie bislang geprägt haben, weg und zu ihrem eigenen Stil hin zu entwickeln. Dieter Ronte, Direktor des Kunstmuseums Bonn, sieht hierin eine große Chance:
"Sie haben in den Golfstaaten anders als in anderen arabischen Staaten des Mittelmeers nicht diesen großen historischen Ballast, das heißt, sie kommen in eine Umbruchsituation und können völlig neu anfangen, und deswegen gibt es neben Malerei auch dieses große Interesse an neuen Medien, die gar nicht diesen historischen Ballast mit sich herumtragen, und das macht sie eigentlich ziemlich frei im Umgang mit ihren eigenen Vorstellungen von Visualisierung."
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Die Ausstellung "Sprachen der Wüste – Zeitgenössische arabische Kunst aus den Golfstaaten" ist vom 15.9. – 20.11.2005 im Kunstmuseum Bonn zu sehen.
Doch im Gegensatz zu ihren Künstlerkollegen, die vom Golf an den Rhein gereist sind, kann Ebtesam Abdel-Aziz nicht persönlich Auskunft über ihr Werk geben: Sie hat keine Erlaubnis bekommen, das Land ohne ihren Mann zu verlassen. Dieser Umstand verdeutlicht das Dilemma, in dem die Länder am arabischen Golf stecken: Auf der eine Seite noch verhaftet mit jahrhundertealten Traditionen, auf der anderen Seite aber schon mittendrin in der Moderne.
So sieht es auch die Ausstellungsleiterin Karin Adrian von Roques. Seit vielen Jahren reist die Expertin für islamische Kunstgeschichte in die Region. Dort ist sie Zeugin einer rasanten Entwicklung geworden: Mit dem Ölboom Mitte des vergangenen Jahrhunderts kamen auch die Petrodollars und somit die Veränderungen in diese Länder:
"Mit dem Geld ist es möglich geworden, zum Beispiel die Wüste zu bewässern, Grünanlagen zu schaffen, und das ist dann richtig so ein Boom. Ich habe das in einem Text so ausgedrückt, die sind praktisch in die Moderne katapultiert worden, und damit ist auch gleichzeitig verbunden gewesen, dass die Möglichkeit war für viele junge Araber dort im Ausland zu studieren. Die bringen dann ihre Einflüsse mit zurück, und so ist das eigentlich explodiert."
In einem atemberaubenden Tempo wurden Straßennetze, Wohnviertel, Hochhäuser, Luxushotels und Shopping Malls geschaffen. Der westliche Lebensstil hat Einzug gehalten, und damit einher ging auch die Beschäftigung mit moderner Kunst. Diese hat in der arabischen Welt keine Tradition. Die Entwicklung setzte erst vor etwas mehr als dreißig Jahren ein.
Einer der ersten Künstler, der sich mit den Möglichkeiten und Ausdrucksformen moderner Kunst beschäftigte, war Hassan Scharif. Der heute 51-Jährige, der in den Vereinigten Arabischen Emiraten lebt, absolvierte in den achtziger Jahren ein Kunststudium in London. Nach seiner Rückkehr gründete er eine bis heute aktive wichtige Künstlervereinigung, die "Gruppe der Fünf".
Zu dieser Gruppe gehört auch Muhammad Kazem. Der 1969 in Dubai geborene Künstler zeigt in Bonn seine Videoinstallation The Window 2003-2005. Er zeichnet dabei den Bau eines Hochhauses in dem Golfstaat Sharjah nach, von der Grundsteinlegung durch die indischen Gastarbeiter bis zu dem Moment, wo der erste Gast das Fitness-Center des neuen Prachtbaus im 42. Stock betritt. Für den Künstler stellt das Werk auch eine Form der Kritik dar:
"Ich spreche hier über die Immigranten, die in unsere Länder gekommen sind, um beim Bau dieser Wolkenkratzer zu helfen und sehr hart arbeiten und von den Baufirmen ständig gegängelt werden. Einige von ihnen werden durch herabstürzende Bauteile getötet, andere kehren in ihre Länder zurück, doch die meisten von ihnen leben bei uns unter sehr schlechten Bedingungen."
Im Gegensatz zu anderen arabischen Staaten mit ihren totalitären Regimen ist in den Golfstaaten - mit Ausnahme von Saudi-Arabien - Kritik an den vorhandenen gesellschaftlichen Bedingungen möglich. In den meisten dieser Länder werden die Künste sogar von den Herrschern gefördert.
Ein Beispiel hierfür ist die Biennale in Sharjah. In dem kleinen Scheichtum am persischen Golf, das zu den Vereinigten Arabischen Emiraten gehört, findet seit 1993 auf Anregung des Landesfürsten, Sultan bin Mohammed Al Qasimi, im Zweijahresrhythmus eine mittlerweile international anerkannte Kunstmesse statt. Doch die öffentliche Resonanz auf zeitgenössische Kunst bleibt in den Golfstaaten eher zurückhaltend, so Karin Adrian von Roques:
"Die Araber sind eigentlich ein Volk, wo die Dichtung eine große Rolle gespielt hat, das Wort ist wichtig. Das Bild, das hat natürlich auch mit der islamischen Kunst, dem Bilderverbot zu tun, hat nicht so eine Präsenz in dem Sinne gehabt, das sind ganz andere Kriterien."
Zudem mangele es der Kunstszene in den arabischen Golfstaaten vor allem an einem Kunstmarkt:
"Es gibt schon Galerien, aber das Niveau der Galerien ist sehr unterschiedlich, aber vor allen Dingen, es gibt noch keine Sammler, und es ist auch noch nicht von den Institutionen durchstrukturiert. … Und das ist auch das, was die Künstler vermissen. Das dauert auch noch, bis sich das etabliert."
Muhammad Kazem macht für diesen Zustand auch das Bildungssystem in den Ländern verantwortlich:
"Es gibt keinen Kunstunterricht in der Schule. So kommt es, dass viele Menschen, bevor sie in die Universität kommen, noch nie den Namen eines Künstlers gehört haben. Und wenn sie dann kommen und unsere Arbeiten sehen, dann sind sie erst einmal geschockt."
In den letzten Jahren hat sich diese Situation geändert. Mittlerweile gibt es Akademien und Institute speziell für moderne Kunst. Dadurch sind junge Künstler auch in der Lage, sich von den westlichen Vorbildern, die sie bislang geprägt haben, weg und zu ihrem eigenen Stil hin zu entwickeln. Dieter Ronte, Direktor des Kunstmuseums Bonn, sieht hierin eine große Chance:
"Sie haben in den Golfstaaten anders als in anderen arabischen Staaten des Mittelmeers nicht diesen großen historischen Ballast, das heißt, sie kommen in eine Umbruchsituation und können völlig neu anfangen, und deswegen gibt es neben Malerei auch dieses große Interesse an neuen Medien, die gar nicht diesen historischen Ballast mit sich herumtragen, und das macht sie eigentlich ziemlich frei im Umgang mit ihren eigenen Vorstellungen von Visualisierung."
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Die Ausstellung "Sprachen der Wüste – Zeitgenössische arabische Kunst aus den Golfstaaten" ist vom 15.9. – 20.11.2005 im Kunstmuseum Bonn zu sehen.