Moderne Kindergesichter unter alten Perücken

Von Herbert A. Gornik · 16.06.2012
Derzeit gibt es besondere Veranstaltungen in Leipzig unter dem Titel "b@ch für uns!". Die Kinder von heute sollen Lust auf Musik von gestern bekommen, auf die Musik des tiefreligiösen Thomanerkantors. Das Ziel ist sympathisch, aber die Trefferausbeute gering, meint Herbert A. Gornik.
Das Bachfest schafft schöne Auftrittsmöglichkeiten für musizierende Kinder wie z.B in der sogenannten "Orchesterakademie". Jugendsinfonieorchester aus Leipzig und Bologna zeigten ihr beeindruckendes Können; aber im Grunde ist das kein "b@ch für uns", kein "Bach für Bachferne", keine werbende, erklärende Veranstaltung sondern ein schönes Beispiel für eine musikalische Städtepartnerschaft.

Das Bachfest bietet auch Erklärmusik für Kinder wie in der Veranstaltung "Viel Wind um einen großen Klang - Orgelabenteuer". Hier wird launig aber ganz konventionell die Wirkungsweise einer Orgel erklärt - auch das wird keinen Kinder-Run auf Orgelmusik von Messiaen bis Reger erzeugen und ist kein innovatives Programm.

Oder sollten diese Veranstaltungen auf die Hoffnung bauen: Wenn Kinder vor Kindern Bach, Mozart oder Wagner aufführen, werden die Schwellenängste automatisch abgebaut, das Interesse wird selbstverständlich gefördert und das kindliche Verständnis der großen Werke von selbst qua Kindermimik erzeugt? Das dürfte ein Fehlschluss sein.

Die Matthäuspassion, selbst wenn sie von Kinderstimmen gesungen wird, ist dadurch noch kein Hit im Kinderzimmer und kein Musikmagnet. Zumal wenn die angesprochenen Kinder fernbleiben wie beim hochambitionierten Mitmachkonzert "Geheimcode B-A-C-H. Unter 140 Zuhörern in der gähnend leeren Nikolaikirche waren nur 10 unter 14 Jahre alt.

Sowieso richtet sich, das gilt es immer wieder zu betonen, das gesamte Musik-für-Kinder- und Bach-für-Kinder-Angebot an Erwachsene. Adressaten der "Mach-Lust-auf-Musik"-Programme sind Erwachsene. Kinder kaufen keine Konzertkarten. Das gleiche gilt übrigens für Kinderbücher und Kinderbuch-Veranstaltungen. Kinder kaufen keine Bücher.

Deshalb sollte dem neuen Eltern-Trend entsprochen werden. Der heißt: Musik mit der ganzen und für die ganze Familie - Musikgenuss im Rundum-Familienpaket . Dabei benötigen wir aber Familienkonzerte, die versuchen, Bach attraktiv, weil kindlich verstehbar, zu präsentieren. Das nun wiederum, so weiß man heute in der Musikdidaktik, geht gut von "Familienkind" zu "Familienkind" mit Originalmusik - die Kindersoap "little amadeus" transportierte mit der Familiengeschichte seine Musik in die Lebenswelt der heutigen Kinder.

Veranstaltungen mit "Mini John-Sebastian" könnten, im Kreis seiner Familie verortet und aufgesucht und angehört , den Familienkreis der Kids von heute mit einbeziehen; und umgekehrt erleben die jungen Familien heute die jungen Familien Bach&Co und sehen sich in ihnen.

Leider lösen nur die bunten Plakate des Projektes "b@ch für uns" diese Absicht ein, wenn`s denn eine wäre. Unter den alten Perücken stecken moderne, frische, witzige Kindergesichter. Die tiefe Religiosität und Kirchlichkeit des Thomaskantors hatte in "b@ch für uns" schon gar keinen Platz. Auch nicht, wie Kinder an die doch nicht leicht verständlichen Kantaten-und Oratorientexte herangeführt werden können. Das Thema Musik als Medium religiös-christlicher oder ethischer Sozialisation kommt nicht vor.

Dabei lautete das Motto 2012 doch "800 Jahre Thomaner". Die singenden und Antwort gebenden Kinder und Jugendlichen wären die besten Botschafter und die besten Werbeträger für die b@ch-für-uns-Idee. Aber nur in einer kleinen Veranstaltung stellte sich das forum thomanum vor, und der Schwerpunkt lag dabei ganz konventionell auf einem Tag der offenen Tür, Werbung für Kindergarten, Hort, Schulen und Alumnat. Eine verpasste Chance. "b@ch für uns" steht schon beim ersten Mal in Gefahr, zu einem Zyklus über "b@ch ohne uns Kinder" zu werden.
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